#CoronaAlltag: Daten auswerten statt Experimente
In den letzten zwei Wochen wurden wie auch zuvor Meetings und interne Besprechungen am Institut für Schallforschung (ISF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) abgehalten - doch finden sie nicht physisch am Institut statt, sondern im virtuellen Raum.
Teile der wissenschaftlichen Arbeit beinhalten von vornherein viel Arbeit am Computer oder konzeptuell mit Papier und Stift, das ist auch jetzt ohne Einschränkungen möglich. Kooperationen mit anderen Institutionen lassen sich, wie immer, via File-Sharing und Tele-Diskussionen durchführen.
Hier wird aber auch deutlich, dass Diskussionen per Videochat oder Argumentationen in einer Textdatei ein möglicher, jedoch nur eingeschränkter Ersatz für die gemeinsame inhaltliche Auseinandersetzung vor einer Tafel oder mit einem Blatt Papier sind.
Keine Kongresse, keine Messungen aber mehr Datenauswertung
Dies ist wohl auch einer der Gründe, warum mir wissenschaftliche Kongresse so wichtig sind, die derzeit jedoch der Reihe nach abgesagt werden. Einige davon finden auch online statt, dennoch ist dies kein wirklicher Ersatz. Der direkte Kontakt, das persönliche Gespräch, die gemeinsame Diskussion sind gewichtige Gründe, diese Treffen in der Nach-Corona-Zeit wieder aufzunehmen.
Da der Zugang zum Labor extrem eingeschränkt ist, sind derzeit Messungen de facto unmöglich. Die bisher gesammelten Daten lassen sich andererseits jetzt in der nötigen Ruhe aufarbeiten, eine Chance zur Entschleunigung gegenüber dem sonst oftmals stressigen Berufsalltag. Insgesamt mag uns diese Pause auch Zeit zum Nachdenken, Nachlesen und Ausarbeiten neuer Ideen geben, für deren Entwicklung sonst die Zeit fehlt.
Grundlagenforschung für das Unvorhersehbare
Die derzeitige Krise zeigt die Bedeutung anwendungsorientierter Wissenschaft, in diesem Fall virologischer Forschung, aber auch wie wichtig zudem neugiergetriebene und rein auf Wissensvermehrung ausgerichtete Grundlagenforschung ist: denn nur dadurch kann man auf Unvorhergesehenes vorbereitet sein. In der Medizin waren viele Forschende in der Vergangenheit dadurch motiviert, zu verstehen, wie der menschliche Körper funktioniert, nicht immer wollten sie eine konkrete Krankheit heilen.
Medizinische Grundlagenforschung führte zum Verständnis, dass der Körper aus Zellen besteht, die von Viren befallen werden können. Eine Verbindung zum Bereich Medizin gibt es auch am ISF der ÖAW in unserem Forschungsschwerpunkt zu Cochleaimplantaten. Das sind Hörhilfen, die ins Innenohr implantiert werden und sogar tauben Menschen erlauben, wieder zu hören. Auch unser Forschungsschwerpunkt "Lärm" ist medizinisch relevant, da neuere Untersuchungen zeigen, dass länger andauernder Lärm zu psychischen und physischen Beeinträchtigungen führt und sogar den Tod verursachen kann.
Methodische Nähe zur Coronaforschung
Insgesamt gibt es fachlich natürlich auf den ersten Blick wenig direkten Bezug der Thematik des Instituts mit der Corona-Situation. Es gibt jedoch methodische Überschneidungen. Diese Methoden können natürliche Sprachsignale von synthetisch erzeugten unterscheiden, eine Anwendung, die relevant sein könnte, da das Thema Fake-News derzeit oft diskutiert wird. Weiters sind die Simulationen der Corona-Ausbreitung methodisch eng verwandt mit statistischen Methoden wie Punktprozessen, die in anderen Anwendungen, z.B. bei der Kompression von Sprachsignalen am ISF, genutzt werden. Resultate aus der Grundlagenforschung zur Informationstheorie sind bedeutsam für die Entwicklung optimaler Virus-Teststrategien für größere Bevölkerungsgruppen und können so bei der Bewältigung der derzeitigen Krise helfen.
Zusammenfassend sind wir als Wissenschaftler/innen zwar durchaus, im Vergleich zu anderen Berufsgruppen aber weitaus weniger durch die Pandemie und die Maßnahmen zu deren Eindämmung an unserer Arbeit gehindert. Unsere besten Wünsche gehen daher an jene, für die das nicht gilt, sowie Personen der Risikogruppe. Unser Dank gilt insbesondere auch jenen, die sich dafür einsetzen, dass das Leben trotzdem weitergeht - sie setzen sich dabei einem erhöhten Infektionsrisiko aus und stellen die Infrastruktur dafür bereit, damit unter anderem wir weiterarbeiten können.
Zur Person: Peter Balazs hat an der Universität Wien Mathematik studiert und dort 2005 promoviert. Nach Aufenthalten in Frankreich und Belgien gründete er 2008 am Institut für Schallforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) die Arbeitsgruppe Mathematik und Signalverarbeitung in der Akustik. Im Jahr 2011 wurde er an der Universität Wien habilitiert und mit einem START-Preis des Wissenschaftsfonds FWF ausgezeichnet. Seit 2012 ist Peter Balazs Direktor des Instituts für Schallforschung der ÖAW.
Er bedankt sich beim Team des Instituts für Schallforschung für die rege Diskussion und den daraus resultierenden Artikel, auf dem dieser Text basiert.
Service: Dieser Gastkommentar ist Teil der Rubrik "Corona - Geschichten aus dem Krisen-Alltag" auf APA-Science: http://science.apa.at/CoronaAlltag. Die inhaltliche Verantwortung liegt beim Autor/der Autorin.