Physik-Nobelpreis: Auszeichnung für Visionär und Grundlagenforschung
Als Auszeichnung für jemanden, der sich "außenseiterisch" und damit visionär mit fundamentalsten Fragestellungen ergebnisoffen auseinandergesetzt hat, werten Kollegen die Zuerkennung des Physik-Nobelpreises an Anton Zeilinger (gemeinsam mit Alain Aspect und John Clauser). Gleichzeitig betonen die von der APA befragten Physiker, dass es ein Preis für die Grundlagenforschung sei und dass es sich lohne, über Jahrzehnte hinweg mutig in diesen Bereich zu investieren.
Der Quantenphysiker Markus Arndt von der Universität Wien sieht in der Zuerkennung des Physik-Nobelpreises "eine großartige Anerkennung für einen Mann mit einer unglaublichen Gabe und Energie, innovative Forschung über Jahrzehnte immer wieder neu anzustoßen, und dabei alles und jeden permanent zu hinterfragen". Zeilinger habe die Gabe, die Wichtigkeit von Themen zu sehen, bevor sie Trend wurden. Er habe sich immer für die scheinbaren Widersprüche der Quantenphysik zur Alltagswelt interessiert und die Frage, warum die Quantenmechanik so anders ist als unsere Alltagswahrnehmung. Diese "Seltsamkeit" habe Zeilinger bereits in vielen verschieden Systemen untersucht, mit Neutronen, Atomen, ultrakalten Quantengasen, Molekülen, Photonen und Festkörpern.
Für den Quantenphysiker Markus Aspelmeyer von der Uni Wien wird "eine Forscherpersönlichkeit ausgezeichnet, die die Wissenschaft und die Physik in ihrer gesamten akademischen Laufbahn stark geprägt hat, durch die Wissenschaft, die sie geschaffen hat, und durch die Art und Weise wie er sie vertritt und kommuniziert". Er sei damals aus der Materialwissenschaft als Postdoc zu Zeilinger gekommen, was zeige, "wie risikobereit und gleichzeitig offen er war, jemanden ohne Erfahrung, aber vielleicht mit neuen Ideen zu nehmen".
Beginn eines Fachgebiets
Die von Aspect, Clauser und Zeilinger durchgeführten Experimente markieren für Rainer Blatt von der Universität Innsbruck und dem Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) "den Beginn des Fachgebietes, das wir heute als 'Quantum information science' kennen". Mit der Auszeichnung würden auch die österreichischen Beiträge zu den Grundlagen der Quantenphysik gewürdigt, die Zeilinger mit seiner Arbeitsgruppe in den vergangenen Jahren geleistet habe. Das sei auch eine Anerkennung für die breite Unterstützung, die die Quantenphysik in Österreich durch den Wissenschaftsfonds FWF und das Bildungsministerium über Jahrzehnte erhalten habe.
Der Quantenphysiker Philip Walther von der Universität Wien verweist darauf, dass sein Doktorvater Zeilinger die mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Experimente zu einem Zeitpunkt gemacht hat, "als diese Art der Forschung als außenseiterisch gegolten hat. Das zeigt wie visionär oder überzeugt er von seiner Forschung war und ist". Walther sieht die Auszeichnung auch als "Inspiration und Bestätigung" dafür, sich "auf die wesentlichen und großen Fragen in der Forschung zu fokussieren. Nur allzu oft gibt es Druck bzw. Vorgaben von Forschungsmittel-Gebern, sich auch auf nahe Ziele wie Anwendungen zu fokussieren".
Auch für Aspelmeyer ist das ein "Nobelpreis für die Grundlagenforschung, vergeben für Forschung, die sich mit den fundamentalsten Fragestellungen auseinandersetzt". Für die Physik zeige es, "dass es sich lohnt, an grundlegende Fragestellungen ergebnisoffen, blue-sky zu arbeiten, für den Wissenschaftsstandort Österreich, dass es sich lohnt, über Jahrzehnte hinweg mutig in Grundlagenforschung zu investieren". Der Quantenphysiker Jörg Schmiedmayer von der Technischen Universität (TU) Wien erinnert daran, dass Zeilinger einmal gesagt hat, man solle stolz darauf sein, etwas zu tun, von dem jeder denkt, dass es keinen Nutzen hat. Die Verschränkung sei eine solch fundamentale Fragestellung, die lange Zeit extrem belächelt worden sei. "Doch die ganz fundamentalen Fragen bringen die meisten Umwälzungen, wenn man sie versteht."
Konnte Leute begeistern
Arndt erinnerte daran, dass in Zeilingers Umfeld "Dutzende wissenschaftliche Karrieren entstanden sind - in einem wissenschaftlichen Umfeld, das extrem kreativ und hoch kompetitiv ist". Für Schmiedmayer hat Zeilinger "ein sehr gutes Händchen gehabt, wer die wirklich guten Leute sind, die wirklich unabhängig denken. Er hat die richtigen Leute angezogen und konnte sie begeistern". Das Wichtigste sei, den jungen Leuten Möglichkeiten zu geben, "und das hat er gemacht".
"Wir alle freuen uns ungemein mit ihm; aber auch darüber, dass diese Leistungen in Österreich, konkret auch in Innsbruck, passiert sind", erklärte der Innsbrucker theoretische Physiker Peter Zoller. Für ihn steht der Nobelpreis für Zeilinger auch symbolhaft dafür, "dass Österreich heute in Quantenphysik über alle Generationen und viele Forscher hinweg wissenschaftlich als ein Zentrum wahrgenommen wird".
Zoller wird übrigens immer wieder als heißer Kandidat dafür genannt, dass es nicht so lange dauern könnte, bis wieder ein Physik-Nobelpreis nach Österreich geht. Der letzte österreichische Physik-Nobelpreisträger war Wolfgang Pauli, der die Auszeichnung 1945 erhalten hat - genau in dem Jahr, in dem Zeilinger geboren wurde.