Neue Bücher - Updates zu Zeitgeschichte, Cultural Studies und Gastein
Sie sind keine leichte Kost, aber niveauvolle Lektüre. Führende Wissenschafter erörtern in zwei Neuerscheinungen den Stand der österreichischen Zeitgeschichtsforschung und den etwas ins Abseits geratenen Zweig der Soziologie, die "Cultural Studies", bei denen sich nicht alle Träume erfüllten. Dies gilt auch für Bad Gastein, dessen Architekturgeschichte nun vor der nächsten großen Transformation in einem Fotoessayband nachgezeichnet wird.
Zeitgeschichte Update
Der neu im Böhlau-Verlag erschienene und immerhin fast 900 Seiten dicke sowie 1,7 Kilo schwere Wälzer "Österreichische Zeitgeschichte - Zeitgeschichte in Österreich" versucht, eine umfassende Standortbestimmung dieser Disziplin vorzunehmen. Sie befindet sich nämlich in einer Umbruchsituation, wie die beiden in der Branche profilierten Herausgeber Marcus Gräser (Institutsvorstand und Professor für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Johannes Kepler Universität in Linz) und Dirk Rupnow (Professor am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck und Dekan der Philosophisch-Historischen Fakultät) meinen. Die Gegenwart der Zeitgeschichte sei geprägt durch "die Herausforderung durch internationale Perspektiven, die Rolle der Wissenschaft im öffentlichen Leben, die Karriereprofile in der Wissenschaft und das beständige Ringen um Aufmerksamkeit und finanzielle Mittel."
Die Herausgeber nahmen das zum Anlass, um eine Vielzahl prominenter österreichischer Zeithistorikerinnen und Zeithistoriker unterschiedlicher Generationen zu Wort kommen zu lassen. In Beiträgen über Epochen, Zäsuren, spezielle Felder und Themen der Zeitgeschichte in Österreich werden gleichermaßen Bilanzen gezogen und Perspektiven eröffnet. Dabei kommen auch speziell österreichische Spezifika zum Tragen: Hierzulande sei die Zeitgeschichtsforschung in den vergangenen Jahren nicht zuletzt durch Jahrestage und Jubiläen vorangetrieben worden, etwa "der beiden Weltkriege, der beiden Republiken, der Verfassung, der Formulierung der Menschenrechte, aber etwa auch der Salzburger Festspiele oder der "Gastarbeiter"-Anwerbeabkommen in den 1960er-Jahren ebenso wie der Abschaffung der Demokratie und des Endes der Ersten Republik, des "Anschlusses", des Novemberpogroms..."
Das garantierte zwar öffentliche und mediale Aufmerksamkeit, wird konstatiert, widerspricht aber doch häufig der Logik der Forschung. Zudem sei in Österreich ein gängiges Missverständnis vorhanden, Historikerkommissionen als "Allzweckwaffe" einzusetzen. Diese Konzentration auf Schwerpunktthemen oder Daten impliziere auch die Gefahr einer "Musealisierung der österreichischen Zeitgeschichte". Kurzfristig werde Jubiläen hinterhergehechelt, meinen die Autoren und nennen etwa das "übervollen Erinnerungs- und Gedenkjahr 2018" als Beispiel, danach würden die Themen wieder einmal für Jahre ad acta gelegt. Dem vorzubeugen war ein Anstoß für das opulente Werk...
Service: Marcus Gräser/Dirk Rupnow (Hrsg): "Österreichische Zeitgeschichte - Zeitgeschichte in Österreich. Eine Standortbestimmung in Zeiten des Umbruchs", Böhlaus Zeitgeschichtliche Bibliothek Band 41., Böhlau Verlag Wien 2021. 872 Seiten; 67 Euro. ISBN 978-3-205-20928-7
Cultural Studies revisited
Vor 25 Jahre fanden die ersten großen europäischen Cultural-Studies-Kongresse in Tampere (Finnland) und in Birmingham (Großbritannien) statt. Das nahmen Experten wie die Universitätshistoriker Matthias Marschik und Roman Horak oder die Kommunikationswissenschafterin Johanna Dorer zum Anlass, die Frage zu stellen, was seither im Bereich der Cultural Studies geschehen ist. Viel und doch zu wenig, könnte eine Conclusio heißen.
Herausgekommen ist ein wohl vor allem an Fachleute gerichteter, wissenschaftlicher Band namens "Cultural Studies revisited", der analysiert, "wie Cultural Studies unser Denken und wissenschaftliches Handeln" in den vergangenen Jahren "geprägt" haben. Von Großbritannien aus verhießen nämlich insbesondere die für diese Disziplin typische "Offenheit der Crossroads", die im Deutschen "als Kreuzung, Querstraße, Abzweigung oder eben als Schnittpunkt" übersetzt werden können, neue Wege und Blickwinkel.
Doch wurden offenbar nicht alle Erwartungen erfüllen. Ein Fazit zu ziehen, fiel offenbar auch den Autorinnen und Autoren nicht immer leicht. Eine Erkenntnis war wohl, dass das Feld tiefgreifender, transdisziplinärer kultureller Studien so weit ist, dass es noch viel zu beackern gibt.
Service: Johanna Dorer/Roman Horak/Matthias Marschik (Hrsg.): "Cultural Studies revisited Nordlicht/Revontulet - Aufbruch in Österreich und internationale Entwicklung", Springer Fachmedien Wiesbaden 2021, 342 Seiten; 51,95 Euro. ISBN 978-3-658-32082-9
Die Transformation Bad Gasteins im Rückblick
Bad Gastein gehört fraglos zu den ungewöhnlichsten Orten Österreichs. Ein letztlich kleines Bergtal, das geprägt ist von Großbauten des Historismus, Bausünden der 1970er und seit Jahrzehnten vor allem vom Verfall. Mittlerweile wird aber wieder gebaut in dem Kurort in den Salzburger Alpen - wieder einmal, möchte man sagen. Denn schließlich hat das Demolieren eine lange Tradition in Gastein, das sich vom einst beschaulichen "Wildbad" zu einem der mondänsten Kurorte des Kontinents und letztlich zur Investorenruine wandelte, und wo seit Frühjahr am Straubingerplatz rund um den Wasserfall das Grand Hotel Straubinger, die Alte Post und das Badeschloss entkernt und revitalisiert werden - und durch einen 13-stöckigen Hotelturm ergänzt.
Für Gastein steht also die nächste Transformation an, und vor deren Vollendung hält die Wiener Architektin und Architekturkritikerin Judith Eiblmayr einen Rückblick auf die vergangenen Wandlungen des Ortes unter dem Titel "Bad Gastein. Ab/An/Aufgebaut". Sie zeichnet dabei die baugeschichtliche, aber auch die kulturhistorische Entwicklung dieses vom Tourismussprech als "Manhattan in den Alpen" vermarkteten Ortes nach. Der Bogen spannt sich von der frühen dörflichen Bebauung über erste klassizistische Villen, von der gründerzeitlichen Bauwut und Ignoranz gegenüber dem Vorhandenen über die nächste Welle in den 1970ern mit dem heute verfallenden Betonungetüm des 1974 eröffneten Kongresszentrums oder dem Felsenbad.
Bei der reinen Essayistik belässt man es dabei nicht, sind den Texten doch zahlreiche Illustrationen beigestellt wie etwa die Zeichnung des Berliner Architekturgottes Karl Friedrich Schinkel aus 1811 oder die älteste Fotoaufnahme des damaligen Wildbad Gastein aus 1858. Vor allem aber untermalen augenzwinkernd-kritische Fotos von Philipp Balga das Philosophieren über das Wesen des Alpenortes, jener Mischung aus Schlucht und Großstadtästhetik.
Service: Judith Eiblmayr/Philip Balga: "Bad Gastein. Ab/An/Aufgebaut", JJ Edition Wien 2021, 208 Seiten, 29 Euro. ISBN 978-3-2000-76587