Landfläche zur Produktion von Biotreibstoffen kann um vierzig Prozent effizienter genutzt werden
Brasilien ist weltweit der zweitgrößte Produzent von Biotreibstoffen hinter den USA. Ohne auch nur einen Quadratmeter mehr Land bestellen zu müssen, könnte dort die Produktion erneuerbarer Treibstoffe um über 40 Prozent gesteigert werden. Das ergibt eine neue Studie der BOKU Wien in Kooperation mit Forschenden aus Brasilien, Schweden und Belgien. Anwendung kann dieses Modell nicht nur in Brasilien finden und so einen wichtigen Beitrag zur Erreichung globaler Klimaziele leisten.
Zucker galt lange als eines der wichtigsten Exportgüter Brasiliens. Seit den 70er-Jahren wird Zuckerrohr zusätzlich zur Produktion von Ethanol verarbeitet, das seither als Treibstoff in brasilianischen Fahrzeugen eingesetzt wird. Durch die globalen Klimaziele und um die CO2-Emissionen im Verkehrssektor zu reduzieren, setzen auch andere Weltregionen - vor allem Europa - seit den 2000er-Jahren vermehrt auf den Handel mit erneuerbaren Treibstoffen. Die brasilianische Ethanolproduktion erfuhr dadurch einen Schub. Mittlerweile werden in Brasilien über 40.000 km2 Agrarland allein für diesen Zweck verwendet, was etwa der Hälfte der Fläche Österreichs entspricht.
"Tatsache ist, dass die agroindustrielle Zuckerrohr-Ethanolproduktion mit einer Vielzahl von sozial-ökologischen Problemen verbunden ist. Zum einen steht sie aufgrund des zunehmenden Wettbewerbs um Ackerland in direkter Konkurrenz zur Nahrungs- und Futtermittelproduktion, was in Folge Landkonflikte beispielsweise mit traditionellen Nutzungen von kleinbäuerlichen Familienbetrieben bewirkt. Zum anderen birgt der großflächige Monokulturanbau eine Serie von ökologischen Gefahren", erklärt Michael Klingler vom Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung an der Universität für Bodenkultur Wien. Zwar könne der Zuckerrohranbau in Biodiversitätshotspots wie dem Amazonas derzeit noch verhindert werden, aber durch die Verdrängung von Weideflächen trage er indirekt zur Entwaldung von nativem Regenwald bei. Angesichts der Prognosen über stark ansteigende Nachfragen, sowohl nach erneuerbaren Treibstoffen als auch nach verfügbarem Land, stellt sich die BOKU-Studie die Frage, wie in Zukunft diesem Dilemma technologisch effizienter begegnet werden kann.
"Derzeit erzeugt die Ethanolproduktion hohe Überschüsse an CO2 bei der Fermentation. Wenn Wasserstoff zur Verfügung stünde, könnte man diesen mit dem CO2 kombinieren und daraus Methanol erzeugen", erklärt Luis Ramirez Camargo, BOKU-Wissenschafter und Hauptautor der Studie. Methanol ist ein flüssiger Kraftstoff, der derzeit vor allem in der Chemieindustrie zum Einsatz kommt, der aber in Zukunft auch etwa in Schiffsmotoren verwendet werden könnte. Um den dafür benötigten Wasserstoff nachhaltig zu gewinnen, könnten Elektrolyseure, in denen Wasserstoffe gewonnen wird, mit Strom aus Photovoltaik- oder Windkraftanlagen betrieben werden. Würde man also einen kleinen Teil der Zuckerrohrplantagen für diese Anlagen nutzen (siehe Foto), könnte aus dem überschüssigen CO2 aus der Ethanolproduktion und dem Wasserstoff, Methanol synthetisiert werden. "Wir konnten zeigen, dass diese Kombination eine Erhöhung der Produktion von mindestens 43 Prozent erlaubt, ohne dass zusätzliche Flächen verwendet werden und damit einer land-neutralen Expansion entsprechen", so Ramirez Camargo.
Am besten schneidet die Flächeneffizienz von Windkraft ab. Mit dieser Technologie könnte der Output sogar um 49 Prozent gesteigert werden. Der Grund: Windräder benötigen wenig Platz am Boden. Allerdings ist die kostengünstigste Variante an den meisten Standorten eine Kombination von Photovoltaik- und Windkraftanlagen.
Dennoch hat auch diese Technologie ihren Preis: Große erneuerbare Stromerzeugungsanlagen, Elektrolyseure und CO2- und Wasserstoffspeicher müssten installiert werden. Zur Zeit der Studie hätte die Vermeidung einer Tonne CO2 mit diesem Verfahren rund 200 Euro gekostet - mehr als das Doppelte des Großhandelspreises für CO2-Emissionen in Europa. Die jüngsten Anstiege fossiler Energiepreise ließen allerdings auch den Methanolpreis stark ansteigen. Zu jetzigen Konditionen wäre der europäische Großhandelspreis für CO2-Emissionen ausreichend, um die Technologie zu finanzieren. Unter der Annahme weiter fallender Kosten von Photovoltaik und Elektrolyseuren, könnten die Kosten in den nächsten zehn Jahren außerdem um 40 Prozent sinken.
"Unsere Analyse zeigt, dass klassische Bioenergienutzung in Kombination mit modernen Wasserstofftechnologien großes Potential hat, Landflächen zu sparen. So können Biodiversität und traditionelle Landnutzungen erhalten, sowie die Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion reduziert werden. Dazu muss es allerdings eine Politik geben, welche aktiv die alternativen Landnutzungen schützt und fördert. Ansonsten können auch synthetische Treibstoffe negative Konsequenzen nach sich ziehen", so Johannes Schmidt vom Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung der BOKU.
"Politische Entscheidungsträger*innen sowie nationale und internationale Institutionen sind gefordert, soziale und ökologische Handelsstandards für eine land-neutrale Expansion dieser neuen, klimafreundlichen Technologien zu schaffen. Insbesondere die umstrittene Frage der großflächigen Landkontrolle durch internationale Akteure, das Land Grabbing, und damit verbundene Landnutzungskonflikte sind in diesem Kontext zu adressieren", ergänzt Klingler.
Die Studie ist aktuell im Fachmagazin Nature Communications erschienen:
https://www.nature.com/articles/s41467-022-30850-2
Kontakt
Assoc.Prof. Dr.nat.techn. Johannes Schmidt Universität für Bodenkultur Wien Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung E-Mail: johannes.schmidt@boku.ac.at Tel.: +43 1 47654 73118 Mag. Astrid Kleber-Klinger Leitung Öffentlichkeitsarbeit / Head of Communications Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) / University of Natural Resources and Life Sciences, Vienna Gregor Mendel-Straße 33, 1180 Wien (Vienna), Austria T: +43 (0)1 476 54 10423 M: +43 (0) 664 8858 6533 www.boku.ac.at