Neues Aerosolobservatorium nimmt Wiener Luft genauer denn je in Blick
Seit 60 Jahren werden am Dach des altehrwürdigen Physik-Gebäudes der Uni Wien in Wien-Alsergrund verschiedene kleine Partikel in der Luft (Aerosole) über der Stadt gemessen. Ein neues Kapitel schlägt man dort nun mit dem ausgebauten und erweiterten "Aerosolobservatorium" auf, dessen Start dieser Tage mit einem internationalen Symposium und einer Tagung begangen wird. Bald will man damit u.a. auch klarer zeigen können, wie viel Mikroplastik die Luft transportiert.
Die Universität Wien wird mit der neuen Infrastruktur auch Teil des ACTRIS-Netzwerkes (Aerosol, Clouds and Trace Gases Research Infrastructure), einem europaweiten Verbund zur Messung von Aerosolen, Spurengasen und Wolkenpartikeln, wie die Leiterin der Forschungsgruppe Aerosolphysik und Umweltphysik an der Universität Wien, Bernadett Weinzierl, gegenüber der APA erklärte. Für das Observatorium habe die Universität durchaus tief in die Tasche gegriffen.
Über den Dächern von Wien
Der Standort auf 35 Metern Höhe über den Dächern der Wiener Gründerzeithäuser sei zum Messen und Weiterentwickeln der Technik ideal. Man befinde sich etwas abseits der großen Straßenzüge, trotzdem in Innenstadt-Lage und so hoch oben, dass sich der Ausstoß des urbanen Lebens schon so vermischt, dass er als weitestgehend repräsentativ angesehen werden könne, erklärte Weinzierl.
Von Rußpartikel, über kleine Mineralstaubteilchen oder biologische Partikel wie Pollen bis hin zu Mikroplastik reicht die Palette an Aerosolen. Aerosolpartikel sind die Voraussetzung dafür, dass Wasserdampf in der Atmosphäre zu Tröpfchen kondensieren kann. Aerosolpartikel und Wolken haben einen entscheidenden Einfluss darauf, wie viel Sonnenlicht die Atmosphäre wieder abstrahlt oder eben aufnimmt.
Partikel werden rund um die Uhr gemessen
Mehr über diese kleinen Teilchen zu wissen, trägt demnach wesentlich zum besseren Verständnis des Klimas und des Klimawandels sowie auch zu diversen gesundheitlichen Fragestellungen bei. Nun werden diese Partikel rund um die Uhr im Bereich zwischen vier Nano- und mindestens zehn Mikrometern gemessen. Für einzelne Kampagnen kann der Messbereich aber bis 300 Mikrometer erweitert werden, erklärte Weinzierl.
Viel an Technik neu- und weiterzuentwickeln gebe es im Bereich der Mikroplastik-Forschung - einem "Hot Topic". Bisher werden in diesem Forschungsbereich hauptsächlich Proben über längere Zeiträume aus der Luft gesammelt, und anschließend analysiert. Weinzierl: "Unser Fortschritt ist, dass wir in Zukunft hier an der Universität Wien wirklich kontinuierlich und auch kleinere Mikroplastikpartikel messen können."
Alleine aus Form und Größe lasse sich vieles herauslesen. Die Wiener Forscher sammeln aber auch Informationen über die chemische Zusammensetzung. Dabei helfen hier entwickelte Auswertealgorithmen.
Was man so alles detektiert, zeigt eines der neuen Messgeräte in Echtzeit auch grafisch bzw. in diesem Fall sogar holografisch. Beim Besuch im Labor schüttelte etwa die Physikerin Lisa-Maria Wieland einen Pullover aus Polyamid vor den Messgeräten aus, was plötzlich vor allem faserige Strukturen auf dem Display aufleuchten und die Kurve der detektierten Schwebestoffe aus der Umgebungsluft steil nach oben schnellen ließ.
Die Infrastruktur- und Methoden-Weiterentwicklung treibt man in den kommenden Jahren u.a. im Rahmen des mit 2,25 Mio. Euro von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG unterstützten "AeroCloud-AT"-Projektes mit der Geosphere Austria und der Technischen Universität Wien auch am Sonnblick Observatorium oder mit den rund 400.000 Euro voran, die der kürzlich von der Weiss Wissenschaftsstiftung und vom Wissenschaftsfonds FWF an Weinzierl vergebene "Weiss-Preis" eingebracht hat. "Dass Plastikpartikel in der Atmosphäre sind, ist klar. Wie viele es tatsächlich sind, weiß aber niemand", betonte Weinzierl. Daher möchte man in den nächsten Jahren deren Anteil in der Wiener Luft bzw. in Abgleich mit den Sonnblick-Daten für ganz Österreich verlässlich abschätzen können, um zu sehen, wie groß das Problem wirklich ist. Aus den Verteilungen wird man dann auch besser auf die Quellen rückschließen können.
Das Wiener Observatorium ist in dem mehr als 110 Messstationen umfassenden ACTRIS-Netzwerk eines der wenigen im innerstädtischen Bereich. Somit sind die hier gewonnenen Werte besonders interessant. Einer von Weinzierls Schwerpunkten liegt aber auch darauf, Informationen aus stationären Messungen mit solchen zusammenzubringen, die sie auf Kooperationsprojekten mit der NASA auf Spezialflugzeugen in bis zu 22 Kilometern Höhe sammelt. So können Modelle zum Transport und zur Konzentration von verschiedenen Partikeln über die Erde hinweg in verschiedenen Höhenlagen verbessert werden, was zum Beispiel auch für Berechnungen zum Klimawandel entscheidend ist.
Service: Aerosol- und Umweltphysik an der Uni Wien: https://www.aerosols.univie.ac.at, Forschungsprojekt "AeroCloud-AT": https://projekte.ffg.at/projekt/4795912; ACTRIS-Forschungsverbund: https://www.actris.eu