Mütterliche Ernährung könnte Gesichtsmerkmale des Kindes beeinflussen
Die Ernährung der Mütter während der Schwangerschaft könnte individuelle Gesichtszüge der Kinder beeinflussen, berichtet der Wiener Entwicklungsbiologe Igor Adameyko im Fachjournal "Nature Communications". Untersuchungen seiner Forschungskollegen bei abgetriebenen menschlichen Embryos und Experimente mit trächtigen Mäusen zeigten, dass bestimmte Signale (mTORC1) den Gesichtsschädel mitformen. Sie steuern Körperprozesse je nach der Nahrungszufuhr.
Ein Team um Igor Adameyko vom Zentrum für Hirnforschung der Medizinischen Universität (Meduni) Wien und Andrei Chagin von der Universität Göteborg (Schweden) untersuchte, welche "Gen-Ableseverstärker" aktiv in den Gesichtern von menschlichen Embryos abgelesen werden. Sie fanden vor allem Komponenten des sogenannten "mTORC1-Signalweges". Er ist unter anderem bekannt dafür, das Wachstum von Zellen zu steuern.
Embryos aus Abtreibungen als Forschungsobjekte
Forscher haben bei 16 menschlichen Embryos aus Abtreibungen drei bis zwölf Wochen nach der Empfängnis "Gesichter herauspräpariert", wie es in der Fachpublikation heißt. Dies wäre ein Zeitfenster, in der sich das Antlitz formt, und wo "möglicherweise die Individualität des menschlichen Gesichts beeinflusst wird". Die Proben, also die Embryos, waren allesamt nicht krankhaft verändert, wurden anonymisiert und stammten von "aus freiem Willen basierenden Abtreibungen", erklärten sie. Die Spenderinnen hätten eingewilligt, dass damit wissenschaftliche Forschung betrieben wird. Die Versuche wurden vom Ethikkomitee der Kasaner Föderalen Universität in Russland autorisiert.
An der Meduni Wien habe man ausschließlich bioinformatische Computeranalysen an anonymisierten Sequenzierungsdaten durchgeführt, aber keine experimentellen Untersuchungen, hieß es auf Anfrage der APA: "Die experimentellen Arbeiten der Kooperationspartner wurden den jeweils rechtlichen Voraussetzungen entsprechend durchgeführt und von den lokalen Ethikkommissionen genehmigt."
Fehlbildungen auf der Spur
"Die Ergebnisse der bioinformatischen Analysen des österreichischen Teams werden dazu beitragen, die Entstehung und Entwicklung von angeborenen kraniofazialen (den Schädel und das Gesicht betreffenden, Anm.) Fehlbildungen zu verstehen, zu denen auch die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte zählt", betonte die Meduni den Nutzen der Forschung: "Diese machen ein Drittel aller angeborenen Defekte bei Neugeborenen aus und können die Entwicklung und das Aussehen eines Kindes, sowie wichtige Sinne wie Sehen, Hören, Riechen und Schmecken stark beeinträchtigen."
Auf die Frage, ob solche Experimente mit Embryonen aus Abtreibungen auch in Österreich möglich wären, antwortete die Meduni: "Forschung mit Embryonen ist in Österreich nicht möglich."
Was mit abgetriebenen Embryos zu passieren hat, ist hierzulande nicht gesetzlich vorgeschrieben. "Es gibt keine explizite Regelung zur Rechtsstellung der abgetriebenen Föten", erklärte Maria Kletecka-Pulker vom Ludwig Boltzmann Institute for Digital Health and Patient Safety in Wien, die auch Mitglied der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt ist, der APA: "Hinzu kommt, dass für Abtreibungen keine Meldepflicht gibt." Abgetriebene Föten würden "in der Praxis als 'medizinischer Sondermüll' behandelt und entsprechend entsorgt", so die Juristin.
Ethische Fragen
Der Wiener Medizinethiker Ulrich Körtner äußerte sich zur Forschung an Embryos (Föten) pragmatisch: "So bedauerlich es ist, wenn überhaupt Föten abgetrieben werden: Wenn das nun mal eingetreten ist, sehe ich es als ethisch vertretbar, das Gewebe zu Forschungszwecken zu verwenden", sagte Körtner, der am Institut für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien arbeitet, im Gespräch mit der APA: "Natürlich muss sichergestellt sein, dass die Abtreibung nicht zum Zwecke erfolgte, dass eben Gewebe für Forschungszwecke gewonnen werden sollte."
Zusätzlich führten die Forscher Versuche bei trächtigen Mäusen und ihren Embryos durch. Wenn sie den mTORC1-Signalweg bei den Tieren übermäßig stark aktivierten, wurden Teile des Gesichtsschädels der Embryos größer und die Nasenknorpel dicker. Hemmten sie die Signale, bekamen die Mäuse längere Schnauzen. Die selben Effekte konnten sie bei Zebrafischen beobachten. Demnach steuert der mTORC1-Signalweg bei Wirbeltieren wie Säugetieren und Fischen die Entwicklung des Gesichtsschädels.
Weil bekannt ist, dass der Eiweißgehalt der Nahrung die Aktivität des mTORC1-Signalwegs beeinflusst, fütterten sie trächtige Mäuse mit unterschiedlich eiweißreichem Futter. Bei stark mit Eiweiß angereicherter Diät waren die "Nasenkapseln" und Unterkieferknochen ihrer Embryonen größer als bei sehr eiweißarmer Kost. Die Ernährung der Mütter während der Schwangerschaft könnte demnach "die komplexe genetische Maschinerie beeinflussen, die eine große Bandbreite individueller Gesichtsmerkmale kreiert", meinen die Forscher.
Service: Internet: http://dx.doi.org/10.1038/s41467-024-46030-3