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Porträt

APA-Science-Porträt: „Ich wollte nie mit Puppen spielen”

Anamarija Pejic, Aerospace Systems Engineer bei TTTech
TTTech

“Du siehst die Rakete, zählst die Sekunden bis zur Null. Dann kommt ein gigantischer Blitz, der dich blendet. Nach zwei Sekunden hörst du es erst, und die Rakete erhebt sich in die Luft. Und nach fünf Sekunden beginnt der Boden zu beben.” Anamarija Pejic war am 6. Februar 2020 in Baikonur, als eine Sojus-Rakete Richtung Internationale Raumstation ISS startete. Mit APA-Science hat die Systemingenieurin für die Luft- und Raumfahrtindustrie über ihre Faszination für den Weltraum, Mobbing und tanzende Haie gesprochen.

“Als Kind wollte ich Dinosaurier ausgraben”, erzählt Pejic begeistert. “Ich liebe Dinosaurier! Ich habe als Kind ganz viele Dokumentationen darüber angesehen, und meine Mama meinte immer ’Geh spiel mit Puppen!’”. Pejic spielte lieber mit den Lego-Bausteinen und Autos, die sie von ihren männlichen Cousins geerbt hatte, und baute im Hinterhof ihre Städte. Heute ist sie 31 Jahre alt und Aerospace Systems Engineer bei TTTech, also Systemingenieurin für die Luft- und Raumfahrtindustrie. Ihre Abteilung entwickelt Bestandteile für Flugzeuge und Raketen. Pejic behält den Überblick über die verschiedenen Sektionen des Produkts und darüber wie Hardware und Software zusammenarbeiten, sie ist sozusagen “der Kleber zwischen den Teams”.

Von Dinosauriern und Lego-Städten zur Raumfahrt benötigte es mehrere Zufälle. “Als ich zehn war habe ich aus irgendeinem Grund eine Dokumentation über Nanoelektronik und Nanoroboter angesehen. Ich habe nichts davon verstanden – aber ich habe den kleinen Roboter gesehen, der einer Zelle Medizin injiziert und wie sich die Menschen danach besser fühlen, und das wollte ich auch machen.” Aus diesem Grund studierte die gebürtige Kroatin später Mikroelektronik an der Universität Zagreb. Dem Bachelor ließ sie einen Master in Elektrotechnik an der Universität Toronto folgen, wo sie ein Stipendium erhielt. Nach dem Abschluss sei es aber schwierig gewesen, einen Job zu bekommen, weshalb sie das erste Angebot, das sie bekam, annahm: als Systems Validation/Verification-Ingenieurin für Kommunikationssatelliten für ein Subunternehmen der Airbus Oneweb Satellites. “Da habe ich mich verliebt – in Satelliten, Raketen, Flugzeuge, alles was über unseren Köpfen ist. Es ist so faszinierend, der Schwerkraft und der Physik zu trotzen.”

Stolz darauf, eine Frau zu sein

Im November erhielt Pejic für ihre Arbeit den FEMtech-Award des Wissenschaftsministeriums, eine monatliche Auszeichnung, mit der die Leistung von Frauen in Forschung und Technologie hervorgehoben und die Chancengleichheit gefördert werden soll. Die Auszeichnung zu erhalten, habe so gutgetan, betont Pejic, die besonders während ihrer Studienjahre in einem von Männern dominierten Umfeld hart zu kämpfen hatte. Bei TTTech arbeiten insgesamt rund 25 Prozent Frauen, der Anteil in den verschiedenen Departments variiert – in ihrem Team ist Anamarija die einzige Frau. Das mache ihr nichts aus, erklärt sie, denn sie verstünde sich mit ihren Kollegen und ihrem Chef sehr gut.

“Aber es war nicht immer so. Als ich zu studieren begonnen habe, waren 95 Prozent der Studierenden männlich. Alle Professoren, alle Assistenten, männlich. Ich wurde ausgeschlossen, nicht nur von sozialen Gruppen, sondern von Projekten. Ich habe viele gemeine Kommentare gegen meinen Körper erhalten. Von einem Professor wurde mir gesagt, Frauen gehören in die Küche. Ich war schockiert und ich wusste nicht, mit wem ich darüber reden könnte – denn an der Universität waren ja alle Männer. Nach zwei Jahren voll solcher Erfahrungen habe ich begonnen, mich wie ein Mann zu kleiden, ich habe meine Haare geschnitten, ich habe mich nicht mehr geschminkt. Ich hatte das Gefühl, Depressionen zu bekommen, weil ich versucht habe, zu verändern, wer ich bin. Aber an einem bestimmten Punkt habe ich mir gesagt, genug! Sei stolz darauf, eine Frau zu sein! Mir wurde klar, dass ich mich nicht darum kümmern darf, was andere sagen, sondern mich auf mein Ziel fokussieren muss.”

Dann kam der Abschluss und es wurde besser. “Aber nach all den Nächten, die ich weinend in meinem Bett verbracht habe, fühlte es sich wirklich, wirklich gut an, den Award zu bekommen.” Die dunklen Zeiten hat sie überwunden, hat sich durchgekämpft. Natürlich gebe es Momente der Frustration, aber “ich gehe glücklich zur Arbeit, ich gehe glücklich schlafen. Das Beste ist, wenn ich in den Urlaub fliege und mir denke: In diesem Flugzeug sind Teile, die mein Unternehmen entwickelt hat!”

Mit Haien tanzen

Im Urlaub geht es an exotische Orte. Scuba Diving ist Pejics große Leidenschaft. “Letzte Weihnachten sind wir nach Hawaii geflogen, um mit Walen und Haien zu tauchen. Wir sind in eine Höhle gekommen, voll schlafender Haie, einer neben dem anderen. Der Ozean hat sie bewegt – es sah aus, als würden sie im Schlaf tanzen.” Am Tisch vor ihr liegt ein “Cheatsheet”, wie sie sagt, ein Zettel mit Notizen. Es helfe ihr gegen Nervosität, zu wissen, dass es im Notfall etwas gebe, woran sie sich halten könne. Schwer zu glauben, dass irgendetwas die Frau im Sessel gegenüber nervös machen kann. Ob sie vor gar nichts Angst habe? Doch, lacht sie – “vor Bienen!”

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Anamarija Pejic ist 31 Jahre alt und Aerospace Systems Engineer bei TTTech, also Systemingenieurin für die Luft- und Raumfahrtindustrie. Ihre Abteilung entwickelt Bestandteile für Flugzeuge und Raketen.

Raketenstart aus nächster Nähe

Auch beruflich hat Pejic schon einiges von der Welt gesehen. Die Arbeit mit Airbus Oneweb Satellites brachte sie nach Toulouse, zu den großen Launch Pads der NASA in Cape Canaveral (Florida) und sogar bis nach Kasachstan, zum größten Weltraumbahnhof der Welt: dem Kosmodrom Baikonur.

 

“Ich war im Winter dort, bei minus fünfzehn Grad und starkem Wind. Jeden Tag saßen wir über eine Stunde lang in einem ungeheizten, eiskalten Bus, um von der Stadt zum Kosmodrom zu kommen. Wenn die Sonne aufging und wir durch die beschlagenen Scheiben schauten, sahen wir Kamele im Schnee spielen.”

In Baikonur hatte sie auch die Chance, den Live-Launch einer Sojus-Rakete zu beobachten, aus nur einem Kilometer Entfernung. “Das war eines der besten Dinge, die ich jemals erlebt habe!”

Wohin zieht es sie als nächstes? Auf den Mond? Auf eine Marskolonie? “Oh nein, ich liebe die Erde zu sehr! Am Mars gibt es kein Scuba Diving, keine Berge mit Schnee. Wenn ich die Möglichkeit bekomme, zur ISS zu fliegen und die Erde vom Weltall aus zu sehen, das würde ich machen – und dann wieder zurückkommen. Es gibt keinen Ort wie die Erde.”

Über TTTech

TTTech wurde 1998 als Spin-off der Technischen Universität Wien gegründet. Kernkompetenz ist die Entwicklung von sicheren vernetzten Rechnerplattformen und Ethernetlösungen. Eine solche Lösung ist beispielsweise der hier abgebildete TTE-End System Controller Space, ein integrierter Kommunikationscontroller aus Gold, untergebracht in einem hermetischen Gehäuse. Dadurch ist seine Zuverlässigkeit auch in rauen Umgebungen wie dem Weltraum gegeben.

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