Forscher attestiert Polizei gute Arbeit in Covid-19-Krise
Unzählige unklare Erlässe erschwerten der Polizei in der Covid-19-Pandemie die Arbeit, sagte der Wiener Sicherheitsforscher Reinhard Kreissl der APA. Mit Augenmaß und Können bewältigte sie die Situation trotzdem gut, attestierte er in einer vom Wissenschaftsfonds (FWF) geförderten Studie. Die Politik solle Vorbereitungen für künftige Krisen treffen und dann besser mit der Exekutive und Bevölkerung kommunizieren, statt wieder "ressort- und parteipolitische Süppchen zu kochen".
"Es ist juristisch relativ unpräzise zu sagen: Man soll vorsichtig sein, darf sich nicht ohne triftigen Grund im öffentlichen Raum aufhalten und muss (zu anderen Menschen, Anm.) Abstand halten", erklärte Kreissl, der das Wiener Zentrum für sozialwissenschaftliche Sicherheitsforschung (VICESSE) leitet. Dies wären "unbestimmte Rechtsbegriffe und Allgemeinformulierungen". Das "schöne Beispiel des Babyelefanten", dessen Maß als Mindestabstand propagiert wurde, zeige, "wie weit es mit dem Recht gekommen ist, wenn man ins Tierreich zurückgreifen muss, um Abstandsmessungen zu machen", so der Soziologe. Auf der Straße als Polizist wäre es kaum möglich gewesen, solche "nicht konkretisierten, diffusen Regulierungen" umzusetzen, sagte er. Erstens können sich die Menschen Baby-Elefanten genau so gut als eineinhalb wie zwei Meter lang vorstellen, und zweitens Exekutiv-Beamte die Abstände in der Praxis nicht mit dem Maßstab kontrollieren.
"Die Landespolizeidirektionen und Stadtkommandanten haben viele der immer neuen Rechtsnormen, die stakkatoartig im Tages- und teilweise sogar Halbtagesrhythmus von der Politik verkündet wurden, gar nicht an die Streifenpolizisten weitergegeben, weil sie nicht rechtskonform oder umzusetzen waren", berichtete Kreissl: "Dies war keine offizielle Strategie, wurde informell aber laut unseren Befragungen so gehandhabt."
In einigen Fällen führten "Erlässe" zur Verletzung von Grundrechten
Solche Rechtsnormen wurden in der Covid-19-Pandemie als "Erlässe" ausgegeben. "Dies sind eigentlich Verwaltungsvorschriften, die sich an eine nachgeordnete Behörde richten", schrieb der Soziologe in einer Aussendung des FWF: "Gemeinsam mit Verordnungen, die ebenfalls von Verwaltungsbehörden erlassen werden, waren sie die zentralen Mittel der Bundesministerien, um in der Pandemiebekämpfung schnell zu reagieren." Für tatsächliche Gesetze wäre dagegen immer auch ein Nationalratsbeschluss nötig gewesen. "Der Output der Ministerien an Erlässen und Verordnungen war enorm", so Kreissl: "In einigen Fällen führte er sogar zur Verletzung von Grundrechten, zum Beispiel beim sogenannten Oster-Erlass."
Dieser sollte Familienfeiern mit vielen Personen in den privaten Wohnungen verhindern. "Die Polizei hätte aber gar nicht die Ressourcen gehabt, dies zu kontrollieren", berichtete er. Deshalb wurde jener Erlass, so wie manche andere, von der Exekutive "schlichtweg ignoriert".
Zusätzlich gab es in der Pandemie Probleme in der alltäglichen Organisation der Polizeiarbeit, erklärte Kreissl: Beispielsweise konnte man nicht gegen SARS-CoV-2 geimpfte und ungeimpfte Exekutivbeamten zusammen als Streife losschicken.
"Unter dem Strich" gute Arbeit
Die Polizisten bewältigten "unter dem Strich" ihre Aufgaben in der Covid-19 Krise aber gut, meinte Kreissl: "Dafür griffen sie auf ihr Standard-Handlungs-Repertoire polizeilicher Arbeit im Alltag zurück", so der Sicherheitsforscher: "Das heißt: Präsent zu sein, für Sicherheit und Ordnung zu sorgen und notfalls, wenn man gerufen wird, Streit zu schlichten." Dabei wären sie pragmatisch und mit Augenmaß vorgegangen. "Auf der Straße erfahrene Polizisten wissen auch, dass sie nicht jede Norm immer genau durchsetzen können", sagte der Experte: "Zum Beispiel solche wirklich bizarren Vorschriften, dass im öffentlichen Raum eine Baby-Elefanten-Länge Abstand zu anderen Personen gehalten werden muss."
Vor allem im ersten Lockdown habe alles gut funktioniert. "Dann haben die von der Politik verwendeten Mittel und Vorschriften einfach an Wirkung verloren", so Kreissl. Er hoffe, dass seine Untersuchung und "eine Reihe von offiziellen Evaluierungen, die die Polizeiarbeit bewerten und einordnen sollten" Lerneffekte bewirken. Eine Lektion, die Politiker und Entscheidungsträger aus der Covid-19-Pandemie mitnehmen sollten, ist besser zu kommunizieren, so der Experte. Es sei zum Beispiel nicht sehr effektiv, wenn der Sprecher des Innenminister etwas verlautbart, der Chef des Roten Kreuzes eine halbe Stunde anderes sagt, und der Gesundheitsminister kurz darauf wieder unterschiedliches verkündet. Zudem sollte man Vorbereitungen für ähnliche zukünftige Situationen treffen, "damit man eine Regelung in der Schublade hat und nicht irgendwie mit heißer Nadel etwas stechen muss", sagte er: "Es wäre auch zu überlegen, ob man nicht einen eigenen Arm der Exekutive für öffentliche Gesundheit entwickeln sollte." Dann wäre man für die Bewältigung der nächsten Krise besser aufgestellt.
Service: Projektseite "Polizei in der Pandemiebekämpfung" im Internet - https://www.fwf.ac.at/forschungsradar/10.55776/P34961