Wiener Physiker beobachteten Ionen-Einschlag in Superzeitlupe
Was im Detail passiert, wenn ein geladenes Teilchen (Ion) auf eine Oberfläche, etwa aus dem nur eine Atomschicht dünnen Material Graphen, trifft, haben Wiener Physiker erstmals nachvollziehen können. Dazu mussten sie eine neue Methode entwickeln, die ihnen erlaubte, dem unglaublich schnell ablaufenden Ereignis indirekt beizuwohnen. Der Superzeitlupen-Ansatz beruht auf dem Detektieren von Elektronen, die beim Impakt auf atomarer Skala herumgewirbelt werden.
Bei ihren Analysen zur Aufklärung dieser extrem kurzlebigen Vorgänge setzen die Wissenschafter um Anna Niggas vom Institut für Angewandte Physik der Technische Universität (TU) Wien auf Atome, denen sie im Labor gleich zwischen 20 bis 40 Elektronen entreißen. Im Fall der aktuellen Untersuchung handelte es sich um Xenon-Atome, die im Normalfall 54 Elektronen besitzen. Gehen diesen derart viele negativ geladenen Teilchen ab, sind sie entsprechend stark positiv geladen. Diese Ionen hungern dann nach Elektronen-Nachschub.
Mit diesen beschossen die Physiker in der nun im Fachjournal "Physical Review Letters" vorgestellten Arbeit extrem dünne Schichten aus Graphen oder Molybdändisulfid. Obwohl das aus einem gleichmäßigen Netz aus Kohlenstoffatomen bestehende Graphen nur eine Atomlage stark ist, war bereits aus früheren Untersuchungen bekannt, dass nach dem Aufprall und Durchdringen der Struktur mit dem Ion dessen Elektronenhaushalt wieder ausgeglichen ist - es also zu einem starken Austausch der Teilchen kommt: "Der Elektronentransport in Graphen ist extrem schnell", so Niggas in einer Aussendung der TU.
Vorgang lässt sich nicht direkt beobachten
Dieses Faktum ist entscheidend. Direkt beobachten lässt sich der in einer Femtosekunde - dem millionsten Teil einer Milliardstel Sekunde - ablaufende Vorgang nämlich nicht. Der Schlüssel dazu liegt in der Analyse der Elektronen, die dabei ihre Plätze tauschen bzw. aus dem Verbund geschleudert werden. "Wir konnten die Anzahl und die Energie dieser Elektronen sehr genau messen, die Ergebnisse mit theoretischen Berechnungen vergleichen, die unsere Ko-Autoren von der Universität Kiel beisteuerten, und auf diese Weise konnten wir auf Femtosekunden-Skala entschlüsseln, was hier genau passiert", erklärte die Forscherin.
In Windeseile laufen hier folgende Schritte ab: Nähert sich das Ion der Oberfläche, zieht seine stark positive Ladung bereits an den Elektronen im Kohlenstoff-Netzwerk. Dadurch sammeln sich noch vor dem Aufprall an der Stelle viele Elektronen, wo die Berührung dann stattfindet. Ebenfalls noch vor dem Impakt verstärkt sich der Effekt weiter, sodass einzelne negativ geladene Teilchen schon auf das Ion übergehen.
Nachrückende Elektronen erzeugen starke Ströme
Dann durchschlägt es die dünne Struktur in Rekordzeit. Dabei wirft es einige Elektronen so kraftvoll aus dem Verbund, dass diese von der Wabenstruktur des Graphens auch nicht wieder eingefangen werden. Die davonfliegenden Teilchen können dann aufgezeichnet werden, was den Forschern erlaubt, den Ablauf zu rekonstruieren. Im Material selbst wird das Manko an negativ geladenen Teilchen rapide wieder ausgeglichen: Die nachrückenden Elektronen erzeugen dabei kurzfristig starke Ströme.
Mit der neuen Methode habe man einen Zugang, "der ganz fundamentale neue Einblicke erlaubt. Die Ergebnisse helfen uns zu verstehen, wie Materie auf sehr kurze und sehr intensive Strahlungseinwirkung reagiert - nicht nur auf Ionen, sondern letztlich auch auf Elektronen oder Licht", so Richard Wilhelm von der TU Wien. Das sei etwa bei der Kernfusionsforschung wichtig, wo die Wände eines Fusionsreaktors ständig mit energiereichen Ionen beschossen werden.
Service: https://doi.org/10.1103/PhysRevLett.129.086802