Wenn Wissenschaft in Zweifel gezogen wird
Menschen in Österreich haben im EU-Vergleich wenig Interesse an Wissenschaft und Technologie. Und auffallend viele zweifeln Forschungsergebnisse an, über die wissenschaftlicher Konsens besteht. Zu diesem Befund kommt die jüngste Eurobarometer-Umfrage. Was hinter der Wissenschaftsskepsis steckt und wie man sie zurückdrängen könnte, darüber sprechen drei Wissenschaftler/innen der ÖAW.
Hinterfragen und nicht alles glauben, was man hört - das ist im Alltag eine vernünftige Grundhaltung. Und auch in der Wissenschaft geht es nicht ohne Zweifel. Widerspruch, Kontroverse und Kritik sind Teil der wissenschaftlichen Praxis. Auf diese Weise werden neue Erkenntnisse gewonnen und wissenschaftliche Beweise erbracht. Problematisch wird es aber, wenn Forschungsergebnisse, über die sich die Scientific Community einig ist, medial in Frage gestellt und politisch instrumentalisiert werden - gegenwärtig in der Debatte über den Klimawandel wie auch im Umgang mit der Corona-Pandemie zu beobachten.
"Wenn flächendeckend die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft geschädigt wird, hat das Folgen für alle", sagt Matthias Karmasin. Er ist Kommunikationsforscher und Direktor des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Klagenfurt. Das zeigt auch die jüngste Eurobarometer-Umfrage: "In Ländern, in denen ein großes Vertrauen in die Wissenschaft besteht, ist die Impfquote deutlich höher."
Boom der Esoterik
"Die Ergebnisse der Eurobarometer-Umfrage sind für das Land beschämend und werfen auch auf den Forschungsstandort Österreich ein schlechtes Licht", sagt Helga Nowotny. Die Wiener Wissenschaftsforscherin war von 2010 bis 2013 Präsidentin des European Research Council (ERC) und ist seit 2015 Ehrenmitglied der ÖAW. Worin die Gründe für diese wiederholt attestierte skeptische Haltung der österreichischen Bevölkerung zur Wissenschaft liegen? "Ein Teil der Gründe ist sicher historisch. Schon in der Monarchie wurde Kultur mit ihren Möglichkeiten zu repräsentieren mehr geschätzt als Wissenschaft", so Nowotny.
Erklärungsansätze für die hierzulande grassierende Wissenschaftsskepsis bis hin zu -feindlichkeit sieht sie auch in der im deutschsprachigen Raum besonders gut gedeihenden Esoterik. "Dazu gehören der Glaube an Homöopathie, an Bachblüten etc., aber auch der Zuspruch zu einem Entwurmungsmittel zur Bekämpfung von Covid-19." Für Nowotny steht fest: Der Anteil der Esoterik muss zurückgedrängt werden. Angesichts des boomenden Geschäftes mit Gurus, Heilern und Co. ist das allerdings kein leichtes Unterfangen.
Unterdrückte Wissenschaft
Dass die Geringschätzung der Wissenschaft in Österreich eine lange Tradition hat, davon ist auch Wolfgang Lutz, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Demographie der ÖAW, überzeugt. Für die verbreitete Skepsis gegenüber dem rationalen Denken ist historisch auch die katholische Kirche verantwortlich. Lutz: "Die mit dem Schwert durchgeführte Gegenreformation sah in den Wissenschaften eine Gefahr für den Machtanspruch." Ein Grund, weshalb auch die Akademie der Wissenschaften in Österreich erst 1847 und nur auf bürgerlichen Druck hin gegründet wurde. Zum Vergleich: Die Leopoldina, die Nationale Akademie der Wissenschaften in Deutschland, besteht schon seit 1652, also rund 190 Jahre länger.
Eine lange Geschichte hat hierzulande jedenfalls die ablehnende Haltung gegenüber dem Impfen. "Bereits der Tiroler Rebell Andreas Hofer hatte sich am Anfang des 19. Jahrhunderts den Kampf gegen den Zwang zur Pockenimpfung auf die Fahne geschrieben," erinnert Lutz. Auch für Matthias Karmasin gibt es für die skeptische Haltung der österreichischen Bevölkerung zur Wissenschaft geschichtlich betrachtet eine Tiefenstruktur - von der mangelnden Akzeptanz der Aufklärung bis zu den furchtbaren Folgen des Nationalsozialismus. "Zudem haben wir - das ist einer historischen Entwicklung geschuldet - eine europaweit einzigartige Konzentration an Boulevardmedien, was Folgen für die Qualität des öffentlichen Diskurses hat", sagt Karmasin.
Antworten gesucht
So wie es ist, kann es nicht bleiben. Das Thema muss dringend angegangen werden. Darin sind sich die Forscher/innen einig. Was also tun?
Eine der Lösungen liegt im Wissenschaftsjournalismus, also der medialen Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse, Entwicklungen und Diskurse. "Dem muss jedoch eine Einsicht zugrunde gelegt werden, die für die gesamte Scientific Community gilt: Es kommt weniger darauf an, die fertigen, großartigen Produkte der Wissenschaft anzupreisen, sondern es müssen die oft schwierigen Prozesse aufgezeigt werden, die zu den Ergebnissen führen", sagt Helga Nowotny. Diese beinhalten: "Scheitern, Neuanfang und den richtigen Umgang mit Ungewissheit. Der Bevölkerung muss vermittelt werden, dass Forschung ein oft langwieriger Prozess mit ungewissem Ausgang ist, dem wir jedoch enorme Fortschritte verdanken."
Mediale Veränderung nötig
Dieses grundlegende Verständnis, nicht nur für die Form der Wissenschaft, sondern auch zur Frage, wie wissenschaftliches Wissen entsteht, sollte nicht zuletzt in den Schulen vermittelt werden. Wichtig ist für Kommunikationsforscher Karmasin dabei auch verstärkt zu diskutieren, "warum ein Artikel in einem wissenschaftlichen Journal etwas anderes ist als ein kurzes Aufblinken auf Facebook und Instagram, was Wahrscheinlichkeit und wissenschaftlicher Fortschritt sind und warum es immer abweichende Stimmen, aber eben auch einen großen Konsens gibt, der sich evidenzbasiert auch verändert."
Deshalb ist ein Wandel im medialen Bereich wünschenswert. Wer seine Nachrichten nur mehr über soziale Medien konsumiert und sich dabei nicht bewusst ist, dass diese durch werbeoptimierende Algorithmen gesteuert werden, spricht schnell auf Desinformation und Propaganda an. Und mit Blick auf kursierende Falschinformationen und Verschwörungsmythen stellt Karmasin klar: "Es gibt kein Recht auf falsche Tatsachenbehauptung unter dem Vorwand der Meinungsfreiheit."
Was es zudem bräuchte? Eine aktivere Rolle der Wissenschaft in einer mediatisierten Gesellschaft, sagt Karmasin, etwa als Plattformen für kuratiertes Wissen. Ähnlich sieht das Wolfgang Lutz: "Die Wissenschaft ist bei uns sehr stark in der Defensive." Dabei ist es der technologische Fortschritt, der Arbeitsplätze bringt. "Tourismus - und unsere schöne Landschaft - als starker Wirtschaftsfaktor scheint Österreich aber wichtiger zu sein als wissenschaftliche Innovationen", so Lutz.
Quelle: ÖAW Newsletter