Nitratabfluss aus der Landwirtschaft simulieren
Die Landwirtschaft ist eine der Quellen, durch die Nitrat, Phosphor und Sedimente in Gewässer gelangen. Wie sich die Wasserqualität in Österreich durch den Klimawandel verändern wird und auf welche Weise sie durch alternative Bewirtschaftungsweisen verbessert werden kann, untersucht die Hydrologin Bano Mehdi-Schulz, indem sie hydrologische und sozial-ökologische Modelle kombiniert.
Bano Mehdi-Schulz ist Ökohydrologin von Beruf. Am Institut für Hydrologie und Wasserwirtschaft der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien erforscht sie in diesem Fachgebiet seit vielen Jahren die Qualität von Oberflächengewässern. Im Zentrum ihrer Studien stehen die Mengen an Nitrat, Phosphor oder Sedimenten, die von landwirtschaftlichen Flächen abgeschwemmt werden oder ins Grundwasser sickern und in der Folge in Flüsse und Seen gelangen. Welche Kulturen angebaut werden, in welcher Form Felder bearbeitet werden, wie und in welcher Menge gedüngt wird – all das sind Faktoren, die die Menge an sogenannten Austrägen beeinflussen. Die Art der Bewirtschaftung wiederum gründet auf sozioökonomischen Faktoren wie Betriebsgröße, Familienstruktur, Werthaltung, Arbeitsbelastung, erzielbaren Preisen, Förderungen oder gesetzlichen Regelungen.
Auf EU-Ebene gebe es zur Steuerung der Einflüsse der Landwirtschaft auf die Gewässer gute Maßnahmen, wie zum Beispiel die Nitratrichtlinie oder die Wasserrahmenrichtlinie, findet Bano Mehdi-Schulz, und sie fragt sich: „Wie können wir prognostizieren, wie sich die Veränderungen durch den Klimawandel und Veränderungen der Landnutzung künftig auf die Qualität der Gewässer auswirken werden?“ Ihre Antwort auf die komplexen Zusammenhänge lautet: mithilfe von Modellen und Simulationen.
Fallbeispiel Region Eisenwurzen
Für ihr Forschungsprojekt „Agricultural land use change for sustainable intensification (ALUCSI)“, also „Landnutzungsänderung für nachhaltige Intensivierung“, das vom Wissenschaftsfonds FWF gefördert wird, arbeitet sie mit Kolleg:innen vom Institut für Soziale Ökologie der BOKU zusammen. Die dort tätige Forscherin Veronika Gaube hat als Elise-Richter-Stipendiatin des FWF vor einigen Jahren gemeinsam mit Kolleg:innen ein sogenanntes agentenbasiertes Modell (ABM) namens SECLAND konzipiert und entwickelt es laufend weiter, mit dem Entscheidungen von Landwirt:innen für die Landnutzung durchgespielt werden können. Das Modell basiert auf statistischen Daten, Fragebögen und Interviews mit Expert:innen zur Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe in der Region Eisenwurzen, die sich über Teile von Niederösterreich, Oberösterreich und der Steiermark erstreckt.
„Das Modell kann für jedes Jahr räumlich explizit die Landnutzungsintensität darstellen“, erklärt Veronika Gaube. So kann man zum Beispiel simulieren, welche Auswirkungen die Zunahme von Extremwetterereignissen oder die Einführung einer bestimmten Förderung auf die Entscheidungen einzelner landwirtschaftlicher Betriebe haben. Diese könnten sein: Der Betrieb schließt, er intensiviert, er ändert die Kulturen oder die Fruchtfolge oder stellt von Ackerbau auf Agroforst um, einer Kombination von Ackerbau, Tierhaltung und Forstwirtschaft. Daraus lässt sich ableiten, welche Auswirkungen die Veränderungen in Summe auf die Region haben werden. „Wir haben dieses Modell schon mit mehreren Ökosystemmodellen wie Biodiversität, Kohlenstoff oder Stickstoff gekoppelt“, erzählt die Sozialökologin.
Auswirkungen von Landnutzungsänderungen vorhersagen
Für das Forschungsprojekt ALUCSI wurde SECLAND nun für das Einzugsgebiet des Flusses Enns verwendet, das sich teils mit der Region Eisenwurzen deckt. Mit ihrem Modellierungsrahmen hat Bano Mehdi-Schulz die Sozial- und Naturwissenschaften verbunden: Ausgehend von verschiedenen sozioökonomischen und politischen Veränderungen sollen über das agentenbasierte Modell die Auswirkungen auf die Landnutzung gezeigt werden und mit dem hydrologischen Modell SWAT (Soil & Water Assessment Tool) die daraus resultierenden Einträge von Nitrat in die Gewässer. SWAT ist ein Modell für Wassereinzugsgebiete unterschiedlicher Größe, das zur Simulation der Qualität und Quantität von Oberflächen- und Bodenwasser und zur Vorhersage der Umweltauswirkungen von Landnutzung, Landbewirtschaftung und Klimawandel eingesetzt wird. Man kann damit die Prävention von Bodenerosion oder die Verschmutzung durch diffuse Quellen analysieren.
Klimawandelszenarien für Österreich
Um die Modelle miteinander zu verbinden, wurde das Untersuchungsgebiet in einzelne Landnutzungsbereiche, sprich je ein Feld mit einer Fruchtart, unterteilt. Für den Wasserablauf in SWAT und damit auch den Austrag von Nitrat, Phosphor oder Sediment sind auch die Hangneigung und die Bodeneigenschaften relevant, deshalb wurde das Modell auch mit diesen Daten gefüttert. Untersucht wurden zehn verschiedene Fruchtarten (z. B. Körnermais, Gemüse, Winter- oder Sommergetreide, Knollenfrüchte, Wein, Obst, Grasland) unter vier verschiedenen Klimawandelszenarien für Österreich. Diese können für die Pflanzen Stress durch Trockenheit oder Hitze und mehr oder weniger Wasserabfluss durch Starkniederschläge oder Dürrephasen bedeuten. Das Ganze wurde über 30 Jahre Klimaveränderung in der Zukunft modelliert, von 2041 bis 2070, wobei als Referenzzeitraum für den Niederschlag die Jahre 1981 bis 2010 dienten. Beim Klimamodell mit der höchsten Menge an Niederschlag sind der Abfluss von Wasser von der Oberfläche und lateral (seitlich) und damit auch die Nitratausträge am höchsten, wobei bei Knollenfrüchten wie Kartoffeln und Zuckerrüben besonders hohe Nitratverluste vorkommen.
Mischkulturen senken Nitrateintrag ins Gewässer
Ein erstes interessantes Ergebnis der Modellberechnungen mit einer Veränderung der Landnutzung ist, dass der Verlust von Nitrat aus einer landwirtschaftlichen Fläche und der Nitratabfluss ins Gewässer dort am höchsten war, wo Ackerland in Weideland umgewandelt wurde. Dies ist auf die gleichmäßige Verteilung der Düngemittelausbringung (vier Gaben von Stickstoff) über die gesamte Vegetationsperiode zurückzuführen. Die größte Verringerung des Nitrateintrags in das Gewässer wurde beim Anbau von Knollenfrüchten in einer Fruchtfolge anstatt in einer Monokultur festgestellt. Knollenfrüchte wurden im Modell zu einem frühen Zeitpunkt, nämlich zwischen Mitte und Ende Mai, mit 95 Kilogramm Stickstoff pro Hektar gedüngt. Da es zu dieser Zeit häufig regnet, führt das zu einer höheren Wahrscheinlichkeit, dass Nitrat in den Boden gespült und in die Gewässer transportiert wird, bevor die Pflanzen es aufnehmen können. In einer Fruchtfolge erhalten die anderen Kulturen etwas später und geringere Mengen an Stickstoff im Frühjahr.
Kombinierte Modelle wichtige Basis für Prognosen
Das Projekt „Landnutzungsänderung für nachhaltige Intensivierung“ läuft im Juli 2023 aus, die Arbeit mit den kombinierten Modellen wird aber wohl weitergehen. Denn für die Ökohydrologin Bano Mehdi-Schulz bieten sie eine wichtige Erweiterung ihres Faches: „Ich verwende seit Dekaden hydrologische Modelle. Wenn wir Hydrolog:innen Zukunftsszenarien einspielen, wie zum Beispiel Klimawandelszenarien für ein Einzugsgebiet, wird die Landnutzung prinzipiell statisch gehalten. Das heißt, wir gehen davon aus, dass sich die Landnutzung nicht ändert, was aber natürlich nicht der Realität entspricht.“
Ihr Modellierungskonzept könnte über die wissenschaftlichen Erkenntnisse hinaus auch als Grundlage für politische Entscheidungen über Fördermaßnahmen oder Marktregulierungen in Richtung nachhaltige Intensivierung dienen. Bei diesem relativ neuen landwirtschaftlichen Konzept werden die Ernteerträge beibehalten oder sogar erhöht, die Einträge in das System – wie Düngemittel oder Pestizide – und damit die negativen Umweltfolgen jedoch verringert.
Zu den Personen
Bano Mehdi-Schulz ist Assistenzprofessorin im Department für Wasser-Atmosphäre-Umwelt an der Universität für Bodenkultur in Wien. Sie erforscht ökohydrologische Prozesse unter veränderten Umweltbedingungen. 2019 erhielt sie ein Elise-Richter-Stipendium des Wissenschaftsfonds FWF für die Erforschung nachhaltiger landwirtschaftlicher Bewirtschaftungsoptionen, die bei künftigen Klima- und Landnutzungsänderungen zu geringeren Stickstoffverlusten führen.
Veronika Gaube ist Senior Scientist am Institut für Soziale Ökologie an der Universität für Bodenkultur in Wien. Sie beschäftigt sich theoretisch und methodisch mit der Interaktion zwischen sozialen und natürlichen Systemen, insbesondere mit dem Themenbereich Landnutzung. 2012 erhielt sie ein Elise-Richter-Stipendium des FWF, um Entscheidungen von Landnutzer:innen unter verschiedenen Rahmenbedingen zu erforschen.
Publikationen
Egger C., Plutzar C., Mayer A., Dullinger I., Dullinger S. et al.: Using the SECLAND model to project future land-use until 2050 under climate and socioeconomic change in the LTSER region Eisenwurzen (Austria), in: Ecological Economics 2022
Gaube V., Haberl H., Mehdi-Schulz B., Tappeiner U.: Understanding linkages between stocks, flows, services and practices using agent-based and ecohydrological models, in: IMC2022, Registered Abstracts, Session ID31: Integrated socioecological and ecohydrological modelling 2022
Mehdi B., Schurz C., Grath B., Schulz K.: Storm event impacts on in-stream nitrate concentration and discharge dynamics: A comparison of high resolution in-situ measured data with model simulations, in: Science of The Total Environment 2021
Rückfragehinweis: Ingrid Ladner Österreichischer Wissenschaftsfonds FWF Redaktion scilog Telefon: +43 676 83487 8117 E-mail: ingrid.ladner@fwf.ac.at Website: https://scilog.fwf.ac.at/