Warum ein mysteriöses Hai-Sterben höchstwahrscheinlich nie stattfand
Mit einem vermeintlichen Hai-Massensterben vor rund 19 Millionen Jahren sorgte ein US-Forschungsteam im Juni für gehöriges Aufsehen. Ein Team um Iris Feichtinger vom Naturhistorischen Museums (NHM) Wien meldete nun starke Zweifel an dem Schluss der Wissenschafterinnen an. In einem technischen Kommentar zu der im Fachblatt "Science" erschienene Arbeit zeigen die Forscher, warum sie den Schluss der US-Kolleginnen für eine Fehlinterpretation halten.
Über 90 Prozent der Tiefseehaie hätte vor ungefähr 19 Mio. Jahren in relativ kurzer Zeit der Tod ereilt. So interpretierten Elizabeth Sibert von der Yale und der Harvard University und Leah Rubin vom State University of New York College und vom College of the Atlantic (alle USA) Proben aus Tiefseebohrkernen, wo in Ablagerungen aus jener Zeit plötzlich deutlich weniger Haischuppen zu finden waren als unmittelbar vor dem angenommenen Event. Aufgegriffen wurde das spektakuläre Ergebnis rasch von zahlreichen Medien. Gerade die Haie gelten nämlich mit ihrer Verweildauer auf der Erde von bisher rund 400 Millionen Jahren als relativ konstanter Faktor auf unserem immer wieder von Massenaussterben heimgesuchten Heimatplaneten.
Keine weiteren Hinweise auf Massensterben
Auf ein Massensterben der Knorpelfische vor 19 Mio. Jahren gab es jedoch abseits des Befundes von Sibert und Rubin keinerlei Hinweise. Das rief die NHM-Paläontologin Feichtinger auf den Plan, die sich die Ergebnisse nicht erklären konnte. "In mehreren durch den Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekten haben wir in Italien, Griechenland, der Türkei, Tansania, Indien, Sri Lanka und dem Oman gleich alte Meeresablagerungen untersucht. Nirgends gab es Hinweise auf ein Aussterbeereignis vor 19 Millionen Jahren", so auch der Leiter der Geologisch-Paläontologischen Abteilung am NHM und Mitautor der Replik, Mathias Harzhauser.
Vor diesem Hintergrund wurde der Artikel von Sibert und Rubin "gleich wild diskutiert in der ganzen Branche", sagte Feichtinger im Gespräch mit der APA. Nach der mehrmaligen Lektüre und dem Studium der Rohdaten zu der US-Arbeit hegte die Paläontologin große Zweifel an den Erkenntnissen. Und nicht nur sie: Denn beinahe zeitgleich hat eine weitere Forschungsgruppe, die sich mit heute lebenden Haien beschäftigt, einen zweiten Kommentar zu diesem Thema eingereicht. Diese Forscher kamen ebenfalls zu dem Schluss, dass sich ein derartiges Aussterbeereignis kaum anhand von Hai-Hautschuppen feststellen lassen kann, da diese nicht arttypisch seien und innerhalb einzelner Individuen stark variieren können.
In Abstimmung mit vielen führenden Forschern in dem Bereich aus der Paläontologie wurde schnell klar, "dass das so nicht ganz stimmen kann. Man muss immer skeptisch sein, wenn es plötzlich zu so einer Sensation kommt, auf die es davor überhaupt keine Hinweise gegeben hat", meint Feichtinger. Genau zu jener Zeitepoche - dem Miozän (in etwa vor 23 bis fünf Mio. Jahren) - würde sehr viel geforscht. Noch dazu gebe es in keiner anderen Organismengruppe einen dokumentierten Fall eines solchen Sterbens. Warum also nur die Hai betroffen gewesen sein sollten, sei völlig offen.
Die US-Forscherinnen beschreiben eine Abnahme an Haischuppen im Verhältnis zur Konzentration an Fischzähnen in ihren Proben. Zur gleichen Zeit kam es aber zu vermehrtem Eintrag an Sand und Schlamm in das Gebiet im Südpazifik, aus dem die Sedimentkerne stammen. Die Fossilien wurden also der Ansicht Feichtingers und vieler Kollegen nach in dieser Zeit sozusagen einfach "verdünnt". Das sei offenbar nicht richtig berücksichtigt worden. Trotzdem sei der Ansatz, mit Bohrkernen aus der Tiefsee zu arbeiten, "sehr innovativ", konstatierte die Wiener Expertin. Wie dies aber dann zu interpretieren ist, sei offenbar noch nicht ganz ausgereift.
Zudem würden hier weitreichende Schlüsse aus nur wenigen Gramm an Material gezogen. In einem der verwendeten Kerne fehlte überdies gerade jene Schicht, die die Zeit vor rund 19 Millionen Jahren repräsentiert. "Es ist total verwunderlich, wie man so etwas als Beleg der Story heranziehen kann", sagte Feichtinger.
Auch in Österreich gibt es Hai-Überbleibsel
Dass wiederum sie und die elf weiteren Experten mit ihrer Analyse falsch liegen, sei höchst unwahrscheinlich, da man sich auf sehr viel fossiles Material aus jener Zeit stützen könne. Alleine aus Österreich habe man zahlreiche Hai-Überbleibsel aus Tonnen von Ablagerungen aus der Epoche. Sibert und Rubin jedenfalls blieben nun in einer weiteren Entgegnung trotz allem bei ihrer Interpretation der Daten, erklärte Feichtinger, die es als wichtig ansieht, auf mögliche Fehler hinzuweisen, und Artikel mit etwaigen Überinterpretationen von Daten zu hinterfragen.
Service: Die Arbeit von Sibert und Rubin: https://dx.doi.org/10.1126/science.aaz3549; Das Kommentar der Forscher um Feichtinger: https://dx.doi.org/10.1126/science.abk0632)