Science Talk zu Verhältnis von Arbeit und Freizeit: Bedingungen fürs Arbeiten müssen passen
Ob die richtige Balance zwischen Arbeit und Freizeit nur ein Wunschtraum ist, es überhaupt ein Gleichgewicht geben kann und junge Menschen noch arbeiten wollen, diskutierten Experten bei einem "Science Talk" des Wissenschaftsministeriums am Montag Abend in Wien. Es ging darum, die titelgebende Frage "Arbeit und Freizeit im Ungleichgewicht?" wissenschaftlich zu beleuchten.
Eine in zehn europäischen Ländern durchgeführte Studie von Bernhard Kittel vom Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien zur Bedeutung von Arbeit hat vor ein paar Jahren einen besonders für Österreich interessanten Befund geliefert: "Österreich war das Land, in dem Freizeit den größten Stellenwert gegenüber Arbeit hatte", so der Wirtschaftssoziologe. Gleichzeitig sei es das Land gewesen, das den höchsten Anteil von Menschen hatte, die weiterarbeiten würden - "auch wenn sie das gar nicht müssten, also wenn sie zum Beispiel im Lotto gewinnen würden. Diese Balance zwischen Arbeit und Freizeit ist den Österreichern wichtig" und auch nicht erst seit der Corona-Pandemie von Bedeutung, so der Forscher.
Work-Life-Balance, Workation, Work-Life-Blending & Co.
Auf ein Arbeits- und Privatleben im gesunden Einklang zielt der oft verwendete Begriff "Work-Life-Balance" ab. Doch nicht zuletzt auch neuere Wortgeburten wie "Workation" (aus "work" und "vacation", Arbeit und Urlaub) oder auch "Work-Life-Blending" deuten auf das zunehmende Verschwimmen der Grenzen hin. Dabei stelle sich die Frage, was Arbeit und Freizeit überhaupt ist bzw. ob dieser Gegensatz überhaupt funktioniert: "Ich bin ein Skeptiker, was die 'Freizeit' als Begriff anbelangt", sagte Wolfgang Mayrhofer von der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien. "Findet Freizeit statt, wenn wir uns erholen? Ich und meine Frau hätten uns sehr gewundert, wenn wir in unserer Freizeit unsere vier Kinder großgezogen hätten", so der Wirtschaftsforscher: "Das war für uns Familienarbeit."
Für viele wird es reichen, zu Erholungszwecken einfach ins Grüne zu gehen. Andere haben teure Hobbys, die sie sich erst durch Arbeit leisten können. Und wieder andere haben keine Zeit, über solche Dinge überhaupt nachzudenken. "Wir haben eine Armutsquote in Österreich von 25 bis 30 Prozent", so Kittel. Es gebe also einen eher großen Anteil von Menschen, die arbeiten müssen, um zu überleben. Ihnen mangle es an Geld, "um etwas in der Freizeit zu tun".
Acht-Stunden-Tag ist verträglich
Klar belegt ist: Zu viel Arbeit und zu wenig Ausgleich machen krank. Das zeigten auch Untersuchungen von Gerhard Blasche vom Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien: "Es hat sich gezeigt, dass ein Acht-Stunden-Tag im Schnitt verträglich ist. Jenseits der zehn Stunden wird es dann zu viel; man kann sich nicht mehr ausreichend erholen und es kommt zu einem Ermüdungsstau." Doch gebe es hier aber auch eine Reihe weiterer Einflussfaktoren, etwa Betreuungspflichten in Bezug auf Kinder oder kranke Angehörige sowie vor allem auch die Qualität der Arbeit, die zu berücksichtigen seien.
Wichtiger als die Arbeitszeit seien die Arbeitsbedingungen und eine Differenzierung zwischen den Tätigkeiten, so die Experten. "Ich kann mir meine Arbeit einteilen, ich kann Pausen machen, wann ich will. Ich arbeite mit hoher Motivation. Wenn man das mit jemandem vergleicht, der zum Beispiel in einem Supermarkt arbeitet, ist letzteres wesentlich stärker ermüdend. Es hat wenig Sinn, mit fixen Arbeitszeiten zu argumentieren, wenn die Bedingungen völlig andere sind", verwies Kittel auf die Notwendigkeit für eine differenzierte Betrachtung. Eine "gute Mischung" zwischen der Anzahl der Arbeitsstunden, der Qualität der Arbeit und Möglichkeiten, bei diesen Faktoren mitzuentscheiden, sei zentral, so auch Mayrhofer.
Von wegen Generationenkonflikt
Dass es - wie immer wieder thematisiert - besonders jüngere Menschen sind, die sich kürzere Arbeitszeiten und mehr freie Zeit wünsche, entschärften die Experten. Es gehe weniger um einen Generationenkonflikt, so Kittel, sondern vielmehr um unterschiedliche Lebensphasen mit unterschiedlichen Bedürfnissen: "Jemand, der mit 20 Jahren einfach drauf los leben kann, ein bisschen was dazu verdient, hat sicherlich eine andere Einstellung zu Arbeit als jemand, der sich im Alter von 30 Jahren ein Haus baut. Insofern spielen in das, was wir Generationen nennen, auch Alterseffekte hinein." Beleg für einen Wertewandel sieht der Experte darin keinen: "Es verschiebt sich zwar zeitlich, aber nicht von den Werten her." Man solle ich nicht fürchten, so Mayrhofer. Was die junge Generation viel mehr beschäftige, seien die seit der Corona-Pandemie verschwimmenden Grenzen zwischen Arbeitsstätte und dem Zuhause mit Homeoffice.
Auch die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich - als möglicher Schlüssel für ein besseres Verhältnis von Arbeit und Freizeit bzw. Privatleben - und die damit zusammenhängende Frage, ob dies gesamtwirtschaftlich leistbar ist, waren ein Thema. "Im Schnitt zeigt die Statistik Austria, dass wir in Österreich 30 Stunden arbeiten", so Mayrhofer: "Die Arbeitszeitverkürzung haben wir also schon schleichend." Natürlich sei sie möglich, aber man müsse sich gesellschaftlich überlegen, bei was man im Gegenzug nachgibt. "Ist es etwa tatsächlich so wichtig, jedes Jahr ein Bruttoinlandsprodukt von zwei oder drei Prozent zu haben?"
Digitalisierung, die Lehren aus der Pandemie, aber etwa auch die stärkere Position der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die vor dem Hintergrund von Arbeitskräftemangel auch selbstbewusster auftreten können - und Unternehmen wiederum fordern, ein attraktives Arbeitsumfeld anzubieten - untermauern die Bedeutung, so die Experten, "Arbeit" gesamtgesellschaftlich neu zu betrachten. Ein solcher Diskurs müsse breit aufgesetzt sein und hinterfragen: "Sind wir auf dem richtigen Pfad?"