Management vs. Demokratie: Wie NPOs ihre Ziele erreichen
Non-Profit-Organisationen erfüllen wichtige gemeinnützige und gesellschaftliche Aufgaben. Seit einigen Jahren ist in diesem Sektor ein Trend zu betriebswirtschaftlichen Tools und Strukturen zu beobachten. Das hat Vorteile für die Organisationen, untergräbt aber das demokratische Fundament, auf dem sie aufbauen, wie aktuelle Erhebungen der Non-Profit-Forscherin Florentine Maier zeigen.
Gemeinnützige Organisationen und ehrenamtliches Engagement tragen wesentlich zur sozialen Infrastruktur und zum wirtschaftlichen Wohlstand eines Landes bei. Der Non-Profit-Sektor ist damit ein Gradmesser für demokratische Stabilität. Die Betriebswirtin Florentine Maier beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren mit Non-Profit-Organisationen und deren Entwicklung. "Bereits seit den 2000er-Jahren sorgt eine Beobachtung für kritische Stimmen unter den Expert:innen", erzählt die Forscherin im Gespräch mit scilog. "In den NPOs haben sich Organisationskulturen und -praktiken an Vorbilder aus der Unternehmenswelt angeglichen." Wie sich dies mit ihrem gesellschaftlichen Auftrag vereinbaren lässt, war umstritten. Es fehlten jedoch empirische Daten, um die Bedenken zu untermauern.
Datenerhebung der österreichischen NPO-Landschaft
In einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Forschungsprojekt haben Maier und ihr Team an der Wirtschaftsuniversität Wien nun die erste statistisch repräsentative Erhebung im Non-Profit-Sektor der Stadtregion Wien durchgeführt. Als Teil eines internationalen Netzwerks an Forschenden von den USA (Stanford) über China bis Australien versuchten die Wissenschaftler:innen Antworten auf die Frage zu erhalten, ob es zum Nachteil der zentralen Aufgaben von Non-Profit-Organisationen ist, wenn sie verstärkt Managementpraktiken anwenden.
Mit Umfragedaten von knapp 600 Non-Profit-Organisationen untersuchten die Forschenden, wie betriebswirtschaftliche und demokratische Praktiken mit den drei Kernfunktionen - Erbringung von Dienstleistungen, Interessenvertretung und Gemeinschaftsbildung - zusammenhängen. Es zeigte sich, dass viele Befürchtungen unbegründet waren. Managementpraktiken wirken sich sogar positiv auf alle drei Funktionen aus, am wenigsten jedoch auf die Gemeinschaftsbildung.
Partizipative transparente Systeme
Umgekehrt fördern demokratische Praktiken die Gemeinschaftsbildung besonders stark, können aber den Fokus auf die Dienstleistungserbringung schwächen. Folglich unterstützt die Kombination beider Arten von Praktiken ein ausgewogenes Funktionsprofil. Die Wissenschaftlerin bestätigt dies: "Ein Patentrezept, das überall passt, gibt es nicht. Viele Organisationen verbinden erfolgreich demokratische und hierarchische Elemente. Zum Beispiel die freiwilligen Feuerwehren oder das Rote Kreuz. Die Strukturen in solchen Organisationen sind denen einer klassischen föderalen Republik sehr ähnlich. Die Leitungs- und Aufsichtsfunktionen werden demokratisch gewählt."
Es werden aber auch neue Formen agiler Organisationsdemokratie entwickelt. Maier nennt den Pflegebereich als Beispiel: "In einem dezentralen System können sich Pflegekräfte in der Gruppe selbst führen. Damit wird derzeit viel experimentiert, weil es nicht nur die Produktivität steigert, sondern auch Pflegeberufe attraktiver macht und so dem Fachkräftemangel entgegenwirkt."
Diskrepanzen zwischen betriebswirtschaftlichen und demokratischen Praktiken
Trotz dieser Vorteile gibt es relativ wenige Non-Profit-Organisationen, die organisationsinterne Demokratie und betriebswirtschaftliche Professionalität harmonisch miteinander verbinden. Häufiger ist zu beobachten, dass ein Mehr an Betriebswirtschaft mit einem Weniger an Partizipation einhergeht. Dabei ist die Begeisterung für betriebswirtschaftliche Methoden durchaus nachvollziehbar. Die aktuell erhobenen Daten zeigen deutlich, dass Managementpraktiken für Non-Profit-Organisationen mit größerer finanzieller Stabilität, Wachstum und einer intensiveren Fokussierung auf vielfältige gesellschaftliche Rollen einhergehen.
Problematisch ist, dass auf dem Weg zur betriebswirtschaftlichen Professionalisierung häufig demokratische Strukturen wegrationalisiert werden. "Je mehr Non-Profit-Organisationen wie Unternehmen agieren, desto geringer wird die Rolle der Mitglieder und Ehrenamtlichen, also der typisch zivilgesellschaftlichen Elemente dieser Organisationen."
Partizipation und innovative Modelle fördern
Besonders zwiespältig ist diese Entwicklung im Bereich der Interessenvertretung. Eine effektive Interessenvertretung - auch für benachteiligte Gruppen und Umweltschutz - muss immer professioneller organisiert werden, um politisch wirksam zu sein. Dies geht nicht selten zulasten demokratischer Strukturen innerhalb der Organisationen, was insgesamt zu einer Verengung der Erfahrungsräume führt, in denen Menschen lernen, wie gemeinsames Handeln mit Kompromissen und Selbstorganisation funktioniert.
Selbstkritisch meint die Forscherin, dass partizipative Methoden, die nicht mit übermäßigem Aufwand verbunden sind, in der Lehre stärker vermittelt werden sollten. Die Praxis reagiert, wie so oft, schneller, denn sie steht unter Erfolgsdruck. Innovative Organisationen lernen aus ihren Schwierigkeiten und entwickeln Modelle, die sowohl auf partizipativen und transparenten Beteiligungsmöglichkeiten basieren als auch die zeitlichen und finanziellen Ressourcen der Organisationen schonen.
Gemeinnützige Arbeit als Prophylaxe gegen Demokratieabbau
Wenn Non-Profit-Organisationen Demokratie auch intern leben, entsteht der größte Nutzen nicht für die Organisation selbst, sondern für die Gesellschaft als Ganzes und die beteiligten Individuen. Es gibt also positive externe Effekte. Menschen, die sich ehrenamtlich oder beruflich in demokratischen Strukturen engagieren, sind tendenziell glücklicher. Und sie entwickeln mehr demokratische Kompetenzen und Einstellungen, was die Gesellschaft insgesamt stärkt. In Zeiten politischer Polarisierung kommt den Non-Profit-Organisationen als "Schulen der Demokratie" daher eine entscheidende Rolle zu. "Eine vielfältige und demokratisch organisierte Zivilgesellschaft wirkt wie ein Immunsystem gegen autoritäre Entwicklungen", so die Expertin.
Zur Person
Die Wirtschaftswissenschaftlerin Florentine Maier ist Leiterin des Forschungsinstituts für Kooperation und Genossenschaften und Senior Researcher am Institut für Nonprofit Management und Governance an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien. Sie forscht zu den gesellschaftlichen Auswirkungen demokratischer und betriebswirtschaftlicher Formen des Organisierens. Im Rahmen des Civic Life of Cities Lab untersucht sie Zivilgesellschaft in Städten. Sie lehrt funktionsübergreifendes Management und Nonprofit Management.
Publikationen
Hohensinn L., Litofcenko J., Maier F., Cornips L.: Talking the Talk, or Walking the Walk? How Managerial Practices Relate to Nonprofit Organizations’ Role as Schools of Democracy, in: Nonprofit and Voluntary Sector Quarterly 2024
Terzieva B., Burkart C., Maier F., Meyer M.: Democracy and Management: Organizational Practices and Nonprofits’ Contributions to Society, in: Nonprofit and Voluntary Sector Quarterly 2024
Österreichischer Wissenschaftsfonds FWF Ingrid Ladner, Redaktion scilog Telefon: +43 676 83487 8117 E-Mail: ingrid.ladner@fwf.ac.at Website: https://scilog.fwf.ac.at