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Porträt

„Mensch und Technik? Da geht noch was…“

Manfred Tscheligi, Professor an der Universität Salzburg und Center-Leiter am AIT
Rita Skof

Der Umgang mit Technik ist – gerade in Zeiten einer Pandemie – zum Alltag vieler Menschen geworden. Von der reinen Benutzbarkeit bis zum freudvollen Einsatz ist es aber ein weiter Weg, so Manfred Tscheligi, der hierzulande wie kaum ein anderer für die Themen Human-Computer-Interaction und User Experience steht. Was Materialien und intelligente Umgebungen damit zu tun haben und wieso er sich als interdisziplinärer Brückenbauer sieht, erklärt der Experte im Gespräch mit APA-Science.

Das Zusammenspiel zwischen Mensch und Computer hat ihn immer schon fasziniert. Am Beginn seiner beruflichen Laufbahn an der Universität Wien war allerdings noch die technische Sichtweise vorherrschend. Erst mit dem Einzug des „Personal Computer“ kam etwas Bewegung in die Sache. „Da ist man draufgekommen, dass herkömmliche Benutzerinnen und Benutzer gewisse Schwierigkeiten haben, beispielsweise mit Befehlssprache umzugehen“, sagt Tscheligi, der sich selbst ein bewusst schlechtes Zahlengedächtnis attestiert, „weil ich mir keine Zahlen merken will“.

Nische gefunden und gleich besetzt

Als erste Gruppen im internationalen Umfeld damit begonnen haben, die Synergie von menschlichen Bedürfnissen mit zukünftiger Computertechnologie zu untersuchen, war für den Assistenten am Institut für Statistik und Informatik klar, welche Nische er besetzen wollte. „Zu dem Zeitpunkt glich das einer leeren Landkarte. Es gab auch kaum Literatur dazu“, erinnert sich der gebürtige Kärntner. Er vernetzte sich international, besorgte sich Materialien und entwickelte eine eigene Sichtweise auf dieses Gebiet.

„Dann ist sukzessive begonnen worden, erste Elemente in die Informatikausbildung einzubauen. Es ging um ein grundsätzliches Verständnis von Mensch-Computer-Kommunikation und kognitiv-psychologische Aspekte bei der Verwendung von Technologie. Wie funktioniert der Mensch? Das war in der Informatik noch gar nicht vorhanden“, so Tscheligi. Es folgten erste Projekte rund um das Thema Usability, „weil es immer wichtiger geworden ist, sich auch mit der Qualität der Interaktion zwischen Mensch und Technik auseinanderzusetzen“.

Facts

Manfred Tscheligi ist Professor für Human-Computer Interaction & Usability an der Universität Salzburg und leitet das Center for Technology Experience am AIT Austrian Institute of Technology in Wien. Außerdem gründete er CURE – Center for Usability Research & Engineering und die Beratungsgesellschaft USECON. Vor kurzem wurde er für seine Forschungsleistung im Bereich der Mensch-Computer-Interaktion mit dem prestigeträchtigen „IFIP TC13 Pioneer Award“ ausgezeichnet.

Interaktion braucht Qualität

Neue Interaktionsansätze...

...und Studien über die Nutzung...

ermöglichen innovative Designs

Eines der ersten Usability-Labore in Europa

In der Forschung ging es vor allem um die Konzeption von Schnittstellen und neue Interaktionsansätze. Es wurden Benutzungsstudien durchgeführt und Versuche unternommen, diese Themen in Kooperationsprojekten mit der Industrie umzusetzen. „Wir haben auch ein Usability-Labor aufgebaut, eines der ersten in Europa. Weitergegangen ist es mit einer Vielfalt an internationalen Aktivitäten und der Verankerung in der Wissenschaftscommunity“, beschreibt der 59-jährige Experte, der im Jahr 2004 als Professor für Human-Computer Interaction & Usability an die Universität Salzburg berufen wurde, die Anfänge.

Sehr rasch war klar, dass es verschiedene Formate braucht, um das Gebiet zu strukturieren. Es sollten Forschungsvorhaben organisiert und Projekte abgewickelt werden können, außerdem wollte man eine Marke etablieren. Also wurde das CURE – Center for Usability Research & Engineering gegründet, das stark in europäischen Projekten verankert war, um dem Thema einen gewissen Stellenwert zu verleihen. Dazu kam USECON als Beratungsgesellschaft und kommerzieller Arm, der entsprechende Ansätze und Lösungen lieferte.

„Letztendlich habe ich versucht, eine Brücke zu bauen zwischen der Grundlagenforschung an der Universität, der angewandten Forschung im Sinne des Transfers in die Industrie am CURE und der Consulting-lastigen USECON, um das Gesamtgebiet in seiner Vielfalt zu sehen, Bedürfnisse zu erheben und alle Bereiche abdecken zu können“, so Tscheligi, der erst kürzlich für seine Forschungsleistung im Bereich der Mensch-Computer-Interaktion mit dem prestigeträchtigen „IFIP TC13 Pioneer Award“ ausgezeichnet wurde.

Brückenbauer auf der Weststrecke

Nachdem er im Jahr 2013 zusätzlich die Leitung des Center for Technology Experience am AIT Austrian Institute of Technology in Wien übernommen hat, wurde die angewandte Forschung sehr stark in diese Richtung verlagert. Die Aktivitäten bei USECON und CURE wurden inzwischen reduziert. „Die Brücke ist aufrecht geblieben, aber die Pfeiler dieser Brücke sind die Grundlagenforschung an der Uni Salzburg und die angewandte Forschung am AIT Center for Technology Experience“, erklärt Tscheligi. Beide Bereiche mit jeweils 35 bis 40 Personen haben selbst auf internationaler Ebene gesehen eine wesentliche Dimension.

In normaleren Zeiten pendelt er auf der Weststrecke von seinem Lebensmittelpunkt im oberösterreichischen Mondsee mal nach Wien ans AIT, mal ins nahe Salzburg an die Uni, „um die Gruppen bestmöglich zu überblicken und an beiden Orten eine Grundphilosophie der Interpretation des Themenfeldes voranzutreiben“. Derzeit wird natürlich vieles virtuell abgewickelt. Größter Antrieb sind seinen Angaben zufolge Neugier und Interdisziplinarität: „Ich versuche neue Wege zu gehen und Richtungen zu finden, Dinge neu zu denken und auszuprobieren, auch wenn sie nichts werden. Mich interessiert das ‘beyond the normal‘.“

„Mich interessiert das ‘beyond the normal‘.“

Dazu zählt auch die Beschäftigung mit Themen, die man vielleicht nicht sofort der Human-Computer-Interaction zuordnen würde. „Beispielsweise beschäftigen wir uns mit Materialität, sowohl grundlegend, als auch aus praktischer Sicht. Letztliche geht es darum: Wie empfinden Menschen Materialien? Der Mensch hat, wenn er etwas in die Hand nimmt, eine gewisse Assoziation und geht damit eine gewisse Beziehung ein – das kann Freude oder Abneigung sein“, so Tscheligi.

Umgebungen reagieren auf die Menschen

Ein anderer Bereich ist Human Building Interaction, also der Mensch in Interaktion mit dem Gebäude und die Reaktion der beiden aufeinander. „Das mag etwas abgehoben klingen, aber es ist ein Thema, das durch die größer werdende Intelligenz von Umgebungen eine immer stärkere Rolle spielen kann. Das Gebäude ist keine tote Materie, sondern reagiert auf mich – Türe, Wände, Fußböden“, ist der Experte überzeugt. Bei Industrie 4.0 wiederum dreht sich viel um die Zusammenarbeit mit Robotern. „Vor ein paar Jahren gab es nur den Ruf nach Automatisierung. Da wurde noch gefragt, was die menschliche Betrachtung dabei soll.“

Am faszinierendsten empfindet Tscheligi bei der Mensch-Computer-Interaktion die „extreme Interdisziplinarität“. Er verweist auf „die große Menge von Facetten, die das Gebiet hat – vom Design, der Psychologie, Soziologie bis zur Philosophie. Auch Anthropologie, Ethnomethodologie, Verhaltenswissenschaften und Soziologie spielen da eine Rolle. Auf der einen Seite steht der Mensch mit seiner Vielfalt, Geschichte und Herangehensweise, auf der anderen Seite die Technologie. Darum ist mir auch nie langweilig geworden“, schwärmt der Fachmann.

Langweilig wird es auch in der Pandemie nicht. „Wir sind im vergangenen Jahr stärker von Technik abhängig geworden. Die Berufswelt kann sich weiter drehen, wir können kommunizieren und Virtualitäten nutzen. Ohne das wären wir mit der Krise anders umgegangen. Die pragmatische Sicht auf den Nutzen ist stärker geworden, wenn man etwa an Videokonferenzen denkt. Trotzdem brauchen wir bei diesen Dingen eine entsprechende Qualität, um das Wohlfühlen mit Technik zu steigern. Da sind wir nicht dort, wo wir sein könnten“, verweist Tscheligi auf sein zweites Steckenpferd, die User Experience.

User Experience ist mehr als „nackte, kühle Benutzbarkeit“

Nicht die „nackte, kühle Benutzbarkeit“ steht hier im Vordergrund – die wird vorausgesetzt, sondern sich zurechtzufinden, Vertrauen und positive Erlebnisse. „In der Literatur gibt es rund 200 Faktoren, die das beeinflussen können. Davon werden vielleicht zehn regelmäßig betrachtet. Man postuliert, dass der Mensch im Mittelpunkt steht, aber am Ende des Tages wird es noch nicht genug gelebt und zu wenig strukturiert umgesetzt. Da geht schon noch etwas“, verweist Tscheligi auf entsprechenden Nachholbedarf etwa im Unternehmensbereich.

 

Die Zukunft liegt aus seiner Sicht jedenfalls in hybriden Technologien – eine Synergie aus Virtualität und Realität. „Diese Mischung ist technologisch eine große Herausforderung. Es wird sich viel tun, weil wir auch nach Corona in hybriden Arbeits- und Lernwelten verbleiben. Manche Personen sind real da und manche virtuell. Da braucht es eine hohe soziale und kooperative, aber auch eine hohe technische Qualität“, meint Tscheligi, der davon ausgeht, dass man den Menschen stärker als Gesamtkunstwerk wahrnehmen wird.

Podcast
Manfred Tscheligi im Wordrap

„Es geht bei der Nutzung nicht nur um Augen und Hände, sondern Gefühle, Emotionen und Gedanken. Die Betrachtung des Menschen in all seinen Aspekten, soweit man das messen und in eine technologische Welt transportieren kann, wird künftig einen anderen Stellenwert haben. Vielleicht können wir Interaktion riechbar zu machen. Derzeit mangelt es noch am Verstehen und dem Transfer in intelligente Umgebungen. Aber in zehn Jahren könnte das anders sein“, prognostiziert der Experte.

 

TSCHELIGI IM WORDRAP

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5

Welche Technologie hätte besser nie das Tageslicht erblickt?

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Was war das benutzerfreundlichste Produkt oder Service, das Ihnen untergekommen ist?

Radiowecker

Was war das benutzerunfreundlichste Produkt oder Service, das Ihnen untergekommen ist?

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Service: Diese Meldung ist Teil der Reportage-Reihe „Im Porträt“ auf APA-Science: http://science.apa.at/portrait

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