Wiener Teilchenphysiker tüfteln an Zukunft von LHC und Co
Mit Spannung blicken Teilchenphysiker in Richtung Large Hadron Collider (LHC) am Europäischen Kernforschungszentrum CERN bei Genf, der Ende März nach rund drei Jahren Wartung hochgefahren wird. Vom Neustart erhofft man sich u.a. deutlich mehr Daten über seltene Erscheinungen. Die "Werkzeuge" zum aufwendigen Nachweis der Elementarteilchen - die Detektoren - werden auch in Wien entwickelt. In einer Onlinekonferenz diskutieren Experten gerade über die Zukunft der Sensoren.
Die Detektoren, mit denen jene Teilchen aufgezeichnet werden, die bei den Kollisionen der Protonen im 27 Kilometer langen unterirdischen LHC-Ring oder in ähnlichen Anlagen entstehen, sollen selbst immer intelligenter werden, wie Marko Dragicevic vom Institut für Hochenergiephysik (HEPHY) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) der APA erklärte: "Die Struktur, mit dem ich das Teilchen detektiere, war früher getrennt von den Teilen, mit denen das Signal verstärkt, geformt oder so aufbereitet wird, dass es dann ausgelesen werden kann."
Den Sensor und den Auslesechip will man künftig noch enger zusammenbringen. "Das ist technisch eine sehr große Herausforderung", sagte Dragicevic im Vorfeld der noch bis Freitag (25. Februar) laufenden "Vienna Conference on Instrumentation" (VCI 2022) zur APA. Gelingt das, hofft man, jene Spuren der geladenen Teilchen künftig noch präziser und schneller filtern zu können, die wirklich einen Erkenntnisgewinn verheißen.
Kooperation zwischen Wissenschaft und Industrie
Dazu brauche es vor allem enge Zusammenarbeit zwischen der Wissenschaft und der Industrie. Ein ambitioniertes Projekt zur Sensoren-Produktion gab es auch in Österreich in Kooperation mit dem Halbleiterhersteller Infineon in Kärnten. Man sei bereits sehr weit gewesen, letztlich wurde aber klar, dass man preislich mit dem wichtigsten Anbieter aus Japan wohl nicht mithalten wird können.
Das HEPHY ist seit Beginn der Planung des 2008 fertiggestellten Teilchenbeschleunigers an einem der vier großen LHC-Experimente beteiligt - dem CMS-Experiment. Anhand von Daten der ATLAS- und CMS-Detektoren wurde auch das Higgs-Teilchen nachgewiesen, das den Materieteilchen Masse verleiht. Für die theoretische Vorhersage der Teilchen gab es 2013 den Physik-Nobelpreis. Der Trigger, also die zentrale Elektronikeinheit, die millionenfach pro Sekunde entscheidet ob ein Zerfallsereignis tatsächlich neue Erkenntnisse bringen könnte, stammt von den Wiener Physikern.
Über 50.000 neue Halbleitersensoren
Da die Detektoren dem direkten Teilchenbeschuss über lange Zeit ausgesetzt sind, verschleißen sie. Derzeit arbeiten die Wiener Wissenschafter an der Entwicklung und Produktion von über 50.000 neuen Halbleitersensoren, die vermutlich ab dem Jahr 2029 Teilchenspuren und -energien messen werden.
Näher liegt die aktuelle Generalüberholung des LHC, durch die es ab dem Frühsommer bereits mehr Kollisionen geben wird als in früheren Betriebsphasen. Daher trachte man danach, dass in den nächsten Sensoren-Generationen "in den Modulen, im Detektor selbst, noch genauer auf die Signale geschaut wird, ob dort etwas Interessantes passiert", sagte Dragicevic: "Wie immer eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten." Das Wiener Team sei bei den "extrem komplexen Detektoren" das erste, das sich schon in der Test- und Bauphase befinde.
Aber auch schon mit dem nunmehrigen CERN-Update könnte mittelfristig zum Beispiel die Frage geklärt werden, ob es vielleicht noch "andere Higgs-Teilchen" gibt. Dazu kann man ersten Erkenntnissen nachgehen, die von den Annahmen des Standardmodells der Physik abzuweichen scheinen, das zwölf Materieteilchen und deren Wechselwirkungen beinhaltet. Je mehr Kollisionen der Beschleuniger produziert, desto häufiger können seltene Ereignisse beobachtet werden, die neue Einsichten versprechen. "Man sieht dann vielleicht in der Statistik auch Dinge, die vorher versteckt waren", zeigte sich Dragicevic überzeugt.
All das sei schlussendlich aber auch eine Kostenfrage. So machen die Preissteigerungen und Verzögerungen in der Chiperzeugung auch vor der Teilchenphysik mit ihren besonderen Anforderungen nicht Halt. Zudem sei es zunehmend schwer, Jungforscher zu halten, da die Industrie hier viele Leute abwerbe. Vor allem für Nachwuchsforscher in den international meist sehr breit aufgestellten Projekten sei es in den vergangenen Pandemie-Jahren entsprechend schwierig gewesen, sich zu präsentieren und Kontakte zu knüpfen, bedauert der HEPHY-Forscher.
Service: https://vci2022.hephy.at/