Forscher warnen vor Vermenschlichung von Pflanzen
Bäumen werden in mehreren, in den vergangenen Jahren veröffentlichten Büchern menschliche Fähigkeiten zugeschrieben, etwa dass sie zu Gefühlen fähig seien oder wie Mütter für ihren Nachwuchs sorgen. Wissenschafter warnen nun im Fachjournal "Trends in Plant Science" davor, Pflanzen zu vermenschlichen. Dies könne zu "Missverständnissen und falschen Interpretationen führen und letztendlich dem lobenswerten Ziel der Erhaltung der Wälder eher schaden als helfen".
Die Gruppe internationaler Pflanzen- und Forstwissenschafter unter der Leitung von David Robinson von der Universität Heidelberg (Deutschland), der auch Hubert Hasenauer, Professor für Waldbau an der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien, angehörte, hat die Aussagen in zwei populären Büchern wissenschaftlich abgeklopft. Darin ist vom angeblich verborgenen Leben der Bäume und sogenannten "Mutterbäumen" die Rede. Sie kommen dabei zum Schluss, dass "hier Mutmaßungen mit Fakten gleichgesetzt werden".
Anlass für den Artikel der Wissenschafter sind das 2015 erschienene, 2020 für die Kinos verfilmte Buch "Das geheime Leben der Bäume: Was sie fühlen, wie sie kommunizieren - die Entdeckung einer verborgenen Welt" des deutschen Försters und Autors Peter Wohlleben und das 2021 erschienene Buch "Finding the Mother Tree" der kanadischen Forstwissenschafterin Suzanne Simard, das 2022 in der deutschen Fassung unter dem Titel "Die Weisheit der Wälder. Auf der Suche nach dem Mutterbaum" erschienen ist. In diesen Büchern würden Bäumen menschliche Eigenschaften und Verhaltensweisen zugeschrieben, etwa die Fähigkeit, Schmerz oder Glück zu empfinden, miteinander zu kommunizieren oder altruistisch zu handeln.
Wissenschaftlich nicht haltbar: Bäume unterstützen sich gegenseitig
Die Wissenschafter weisen in ihrer nun veröffentlichten Arbeit anhand vorhandener Forschungsliteratur detailliert nach, dass solche Aussagen wissenschaftlich nicht haltbar sind. "Das ist naturwissenschaftlich durch nichts bewiesen", erklärte Hasenauer gegenüber der APA. So werde beispielsweise die Behauptung, wonach Bäume einer Art sich gegenseitig unterstützen und am Leben halten, durch zahlreiche Forschungsarbeiten zur Bedeutung innerartlicher Konkurrenz klar widerlegt, betonen sie.
Auch das "Mutterbaum"-Konzept ist für die Pflanzen- und Forstwissenschafter nicht haltbar. Publikationen, die vermeintlich einen gezielten Transfer von Kohlenstoff von älteren zu jüngeren Bäumen mittels Pilzgeflechten (Mykorrhizzen) belegen sollen, halten sie u.a. wegen fehlender Kontrollvarianten für inkorrekt. "Und dort, wo die Daten einen solchen Transfer tatsächlich nahelegen, ist die ausgetauschte Kohlenstoffmenge so gering, dass sie für den empfangenden Baum physiologisch völlig irrelevant ist", erklärte Robinson in einer Aussendung. Was es tatsächlich gebe, sei der Stockausschlag, wenn ein gefällter Baum aus dem Stumpf wieder austreibe. "Das ist aber die gleiche Wurzel, das hat nichts mit dem 'Mutterbaum' zu tun", so Hasenauer.
In beiden Büchern würden zudem für bestimmte Aussagen Quellen als Belege verwendet, die kein qualitätssicherndes Begutachtungsverfahren durchlaufen haben. Vielfach sei hier "der Wunsch Vater des Gedanken", meinte Hasenauer. Die Wissenschafter wollten mit ihrer Publikation solche Behauptungen zurechtrücken, "denn Schweigen heißt zustimmen", so der Boku-Professor. Wenn politische Weichenstellungen nicht auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern auf "der Grundlage wohlklingender, aber falscher Botschaften" getroffen werden, könnte dies fatale Folgen für die Anpassung der Wälder an den Klimawandel haben, so Robinson.
Service: https://doi.org/10.1016/j.tplants.2023.08.010