Gorillas tragen DNA von ausgestorbenen Verwandten in sich
Im Erbgut von Gorillas hat ein Forscherteam mit Hilfe moderner statistischer Methoden und neuronaler Netzwerke Überreste der DNA einer lange ausgestorbenen Linie entdeckt. Der Fund dieser sogenannten Geisterpopulation gibt Einblicke in die Evolutionsgeschichte der Gorillas. Er zeigt, dass ein solcher Genfluss auch funktionelle Auswirkungen haben kann. Die Studie unter Beteiligung der Universität Wien ist jüngst in der Zeitschrift "Nature Ecology and Evolution" erschienen.
Gorillas setzen sich aus zwei Arten, Westlichen und Östlichen Gorillas, zusammen, die wiederum aus zwei weiteren Unterarten bestehen. Im Rahmen der Untersuchung wurde das Genom von Individuen aller vier Unterarten analysiert. Dabei fanden die Wissenschafterinnen und Wissenschafter heraus, dass es - wie beim modernen Mensch - bei den zwei Unterarten des Östlichen Gorillas, also dem Östlichen Flachlandgorilla und dem Berggorilla, im Laufe der Evolution durch Verpaarung mit Individuen heute bereits ausgestorbener Gruppen zur Vermischung von DNA kam.
"Bis zu drei Prozent des Genoms der heutigen Östlichen Gorillas tragen Überreste von Genen dieser 'Geisterpopulation', die sich vor mehr als drei Millionen Jahren von den gemeinsamen Vorfahren aller Gorillas getrennt haben", erklärte Evolutionsgenetiker Martin Kuhlwilm der Universität Wien in einer Aussendung.
Wenige fossile Überreste
Bis jetzt seien Untersuchungen zu dem Thema selten. Grund dafür sei, dass es von unseren nächsten Verwandten im Gegensatz zum Menschen nur wenige fossile Überreste gibt, aus denen "alte" DNA zur Analyse gewonnen werden könne, hieß es weiter. Das sei von besonderer Bedeutung, weil die Tiere vom Aussterben bedroht sind. Unter den Proben befanden sich auch neu sequenzierte Genome von Berggorillas aus dem Bwindi-Nationalpark in Uganda, einem der beiden einzigen Orte weltweit, an dem noch lebenden Exemplare der Unterart zu finden sind.
Die Genome der heute lebenden Individuen zu analysieren, ist also die einzige Möglichkeit, die Entwicklungsgeschichte der Gorillas zu rekonstruieren. Darüber hinaus sei es "wichtig, die Diversität einer Art zu verstehen, um deren Diversität auch zu erhalten", so Kuhlwilm gegenüber der APA. "Dabei waren die neuronalen Netzwerke ein Tool zum besseren Verständnis." Jene hätten die komplexe statistische Auswertung der Proben übernommen.
Neben wichtigen Erkenntnissen zur Entwicklungsgeschichte der vom Aussterben bedrohten Spezies zeigen die Ergebnisse auch, dass der Genfluss solcher ausgestorbenen Vorfahren Einfluss auf die Genfunktionen haben kann. Demnach wurde ein Gen, das für einen Bittergeschmacksstoffrezeptor codiert, von der "Geisterpopulation" in die heutigen Östlichen Gorillas eingebracht. Das hilft ihnen vermutlich bis heute dabei, bitter schmeckende Nahrung, die womöglich giftig ist, zu vermeiden. "Ähnliches gilt auch für Neandertaler-Mutationen, die die Immunfunktion beim Menschen beeinflussen", sagte Kuhlwilm der APA. Das sei ein Muster, dass es sicher auch bei vielen anderen Arten gibt.
Service: https://doi.org/10.1038/s41559-023-02145-2