#CoronaAlltag: "Micha, wir fangen an zu testen"
Es muss schon viel passieren, um einen Wissenschaftler vom Forschen abzuhalten. Eine Pandemie alleine reicht noch nicht, es brauchte schon den Chef, der Freitagmittag durchs Institut lief und alle höchstpersönlich nach Hause schickte. "Jetzt steht erst mal die Gesundheit an erster Stelle! Das mit dem Arbeiten klären wir später!" Zwei Stunden später zog die Regierung nach. Es war der 13. März.
Seitdem befinden sich die fast 100 Forscherinnen und Forscher des Ludwig Boltzmann Instituts für klinische und experimentelle Traumatologie (kurz "LBI Trauma") im Home Office. Dort gibt es auch immer genug zu tun: man wertet Daten aus, verfasst Artikel, durchstöbert Fachjournale. Oftmals Arbeit, die sonst ohnehin zu lange aufgeschoben wird.
Dennoch wusste ich, dass ich nicht lange untätig zuhause sitzen könnte. Als Teil der Molekularbiologiegruppe gehört PCR, also Polymerase-Ketten-Reaktion, zu meinem Arbeitsalltag. Unser Labor wäre für die Durchführung von Covid-19 Tests bestens ausgerüstet - und nun nach Stilllegung aller laufenden Experimente noch dazu uneingeschränkt verfügbar.
Gleich am Montag nach dem Lock-Down ging ich im Anschluss an unser Gruppenmeeting - diesmal natürlich online - auf unseren Institutsleiter, Prof. Johannes Grillari, zu und bot meine Hilfe an. Er dankte mir für mein Angebot und meinte, da gebe es vorher noch einiges zu klären. Doch wenig später läutete schon mein Telefon. "Micha, wir fangen an zu testen."
Das war der Startschuss, auf den ich gewartet hatte. Eine Woche lang beschäftigte ich mich intensiv mit aktuellen Tests, Protokollen, Kits und Erfahrungsberichten anderer Institute. Reagenzien wurden bestellt, die Suche nach Freiwilligen unter den pipettierfreudigen KollegInnen begann.
Unser Ziel ist hoch gesteckt: zusätzlich zu Covid-19-Verdachtsfällen soll die gesamte Belegschaft unseres Unfallkrankenhauses in regelmäßigen Abständen durchgetestet werden, um MitarbeiterInnen, die positiv getestet werden, sofort in Quarantäne zu schicken. Nur mit gesundem Personal kann garantiert werden, dass das Klinikum weiterhin für alle Unfallpatienten zur Verfügung steht.
Tests müssen also vor allem zwei Dinge sein: schnell und verlässlich. Nach ausgiebigem Tüfteln mit bestehenden Protokollen konnten wir die gesamte Dauer - von der RNA-Isolation bis zur abgeschlossenen PCR - auf 2 Stunden reduzieren.
Das derzeit gängigste Testprotokoll wird auch hinsichtlich seiner Verlässlichkeit verbessert. Interne Kontrollen werden etabliert, die sicherstellen sollen, dass genug RNA umgeschrieben wurde. So können falsch-negative Ergebnisse vermieden werden. Bei vielen PatientInnen gibt es eine Phase im Krankheitsverlauf, in der die Schleimhäute derart ausgetrocknet sind, dass sich in ihnen keine virale RNA nachweisen lässt. Eine negative interne Kontrolle bedeutet, dass erneut eine Probe genommen werden muss. Geben die Schleimhäute keine Informationen her, können auch Stuhlproben für den Test herangezogen werden.
Zusätzlich zum RNA-Nachweis planen wir auch die Etablierung von Antikörpertests. Sie zeigen an, ob jemand zu einem früheren Zeitpunkt bereits erkrankt war - möglicherweise, ohne es zu bemerken. ExpertInnen gehen davon aus, dass bereits genesene PatientInnen fortan gegen das Virus immun sind.
Letztendlich hält nichts WissenschaftlerInnen lange vom Labor fern. Die Test-Initiative stieß unter meinen Kolleginnen und Kollegen auf Begeisterung. Sofort hatten wir genug Freiwillige, um sechs Teams zusammenstellen zu können. Nach und nach trudelten die derzeit heiß begehrten Reagenzien ein. Und auch wenn die Beschaffung mancher Testkits noch einem Abenteuer glich, war letztendlich alles beisammen. Seit Beginn der Osterwoche wird bei uns getestet.
Ich bin stolz, mit einem so motivierten Team aus jungen Freiwilligen zusammenarbeiten zu dürfen! Ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle nochmals an die wie immer hervorragende Kooperation mit der Ludwig Boltzmann Gesellschaft, mit der ärztlichen Direktion und der Generaldirektion der AUVA, der Leitung des Lorenz Böhler Unfallkrankenhauses und unseren Kooperationspartnern an der FH Technikum Wien, und an die BOKU für die Unterstützung mit Gerät und Helfern, und natürlich an alle in Österreich Lebenden, die zurzeit Distanz wahren und uns so vor dem ganz großen Ausbruch bewahren. Gemeinsam schaffen wir das!
Zur Person: Ing. Michaela Stainer ist Chemikerin und seit 2010 am Ludwig Boltzmann Institut für Experimentelle und Klinische Traumatologie tätig, wo sie seither molekularbiologische Analysen durchführt. Sie war und ist an Projekten im Bereich der Intensivmedizin, Neuroregeneration und Altersforschung beteiligt.
Service: Dieser Gastkommentar ist Teil der Rubrik "Corona - Geschichten aus dem Krisen-Alltag" auf APA-Science: http://science.apa.at/CoronaAlltag. Die inhaltliche Verantwortung liegt beim Autor/der Autorin.