Als Whatsapp so groß wie eine Telefonzelle war
Sprachnachrichten aufzunehmen und an die Liebsten zu verschicken, das war bereits im vergangenen Jahrhundert möglich, etwa mit dem Voice-O-Graph in einer Telefonzelle. Ein Forschungsprojekt der ÖAW untersucht jetzt solche historischen Hörbriefe, die sozusagen die Großeltern heutiger Messengerdienste wie WhatsApp sind.
Rauschen, Knistern und Knacken. "Ich spreche in das Grammophon", schrieb Bertha von Suttner 1905 in ihr Tagebuch. Die Schriftstellerin und Friedensnobelpreisträgerin hatte in den 1910er-Jahren ein privates Aufnahmegerät zuhause und schätzte es, ihre ausgesprochenen Gedanken auf Wachswalze festzuhalten. Ähnlich Arnold Schönberg. In einem sogenannten Hörbrief aus 1935 schickte der im US-amerikanischen Exil lebende Komponist Geburtstagsglückwünsche an die in Wien verbliebene Schwiegermutter, aufgenommen mittels Selbstschnittplatte.
Was heute nur noch Wenige wissen: Auf Schallplatten festgehaltene Hörbriefe waren damals ein durchaus gängiges Kommunikationsmittel. "Die frühen ersten Hörbriefe waren auf Wachswalze und wurden auch per Post verschickt. Anfang des 20. Jahrhunderts hatte man dafür sogar eigene Verpackungen entwickelt", erzählt die Zeithistorikerin Eva Hallama. Gemeinsam mit Katrin Abromeit, die sich auf die Restaurierung von Tonträgern spezialisiert hat, leitet sie das interdisziplinäre Projekt SONIME "Sonic Memories - Audio Letters in Times of Migration and Mobility" - eine Forschung im Rahmen des "Heritage Science Austria"-Programms der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und eine Kollaboration zwischen Österreichischer Mediathek und Phonogrammarchiv der ÖAW.
Von der Wachswalze zur Direktschnitplatte
Der Wunsch, die menschliche Stimme einzufangen und deren Klang wiederzugeben, ist alt. Erstmals gelang dies 1877 dem US-Amerikaner Thomas Alva Edison mit der Erfindung des Phonographen. Seither wurde die eigene Stimme auf verschiedene Tonträger gebannt, etwa um Geburtstags- oder Weihnachtsgrüße an entfernt lebende Freund/innen oder Verwandte zu verschicken.
Diese analogen Audiobriefe - von 1900 bis 1990, also bis zur Verbreitung der digitalen Datenträger - zu sammeln, zu restaurieren und wissenschaftlich zu untersuchen, ist Teil des vierjährigen Forschungsprojekts von Abromeit und Hallama. "Es soll eine repräsentative Sammlung von Hörbriefen werden - und gleichzeitig eine repräsentative Sammlung von Tonträgern", sagt Abromeit vom Phonogrammarchiv der ÖAW.
Das Spektrum der Audiomedien, die für die Selbstaufnahme geeignet waren, reichte von der Wachswalze über den Tondraht bis zu den Direktschnittplatten. "Diese Direktschnittplatten hatten eine unheimliche Materialvielfalt", so die ÖAW-Forscherin. Das Repertoire umfasste Kartonträger wie Kunststoffträger, verschiedene Lackschichten inklusive. "Lange Zeit wurde experimentiert, welche Materialien sich für die Tonaufnahme am besten eignen würden. Man kam zu unterschiedlichen Lösungen."
Akustische Grußbotschaften aus der Ferne
Selbstschnittfolien wurden etwa in den 1930er-Jahren für die sogenannten sprechenden Feldpostbriefe verwendet, also von Soldaten aufgenommene Nachrichten, die von der Front oder aus dem Lazarett verschickt wurden. Wer die Möglichkeit hatte, konnte die eigene Stimme nachhause versenden - und so gleichsam mit den Seinen sprechen. Eine andere Gelegenheit bot der ab den 1950er-Jahren verbreitete Voice-O-Graph, ein Audio-Aufnahme-Automat in der Größe einer Telefonzelle. Ähnlich einem Passbildautomaten, ging nach Münzeinwurf ein Licht an, man konnte eine Nachricht auf eine Kunststoffscheibe sprechen und mit dazu passendem Briefpapier verschicken. Einer dieser Voice-O-Graphen stand etwa in der Wiener Burggasse Nummer 60.
Im Laufe der Jahrzehnte wurden die Tonträger immer erschwinglicher und es wurde einfacher analoge Sprachnachrichten zu verschicken. In den frühen 1970er-Jahren wurde die Platte vom Medium Kompaktkassette abgelöst. Genützt wurde sie vor allem von Migrant/innen als transnationales Kommunikationsmittel zwischen den Familienmitgliedern. Dass dabei auch auf bereits bespielte Musikkassetten gesprochen wurde, sei ein Verweis auf die begrenzten Ressourcen, die man zur Verfügung hatte, sagt Historikerin Hallama, die an der Österreichischen Mediathek forscht.
Stimme als Erinnerungsobjekt
Was bei den privaten Tonaufnahmen deutlich wird: Stimme vermittelt viel mehr als das gesprochene Wort. Sie ist die Spur des oder der Sprecherin. "Diese Intimität, wenn jemand zu einem geliebten Menschen spricht, der weit weg ist, ist mit der Stimme sofort da", so Hallama. Herauszufinden, inwiefern diese Hörbriefe auch Erinnerungsobjekte waren und welche kulturelle Bedeutung ihnen zukommt, ist ebenfalls Anliegen des Forschungsprojekts "Sonic Memories".
Und: Es geht nicht nur um Erinnerungen auf der individuellen Ebene, sondern auch um das Archiv als Erinnerungs- und Gedächtnisspeicher. Zwar existieren in beiden Archiven - im ÖAW-Phonogrammarchiv und in der Österreichischen Mediathek - Audiobriefe, sie waren aber nie Teil der Sammlungsstrategie, sondern wurden eher als Sonderbestand behandelt, erzählen die Forscherinnen.
Beitrag zur Restaurierungsforschung
Aber warum? Zum einen hätten Audioquellen generell einen schlechteren Stand als Film-, Text-, Bildquellen, sagen Abromeit und Hallama. Während das Briefeschreiben als Praxis in der Geschichtswissenschaft oder der Soziologie ausführlich erforscht wurde, galt das bis dato nicht bei Audiobriefen. Sound Studies als wissenschaftliche Disziplin sind in Österreich zudem wenig etabliert. Und zum anderen stand Alltagspraxis an sich für das Sammeln in den großen Archiven lange Zeit nicht im Vordergrund.
Restauratorin Abromeit sieht noch einen weiteren Grund: Viele Plattenformate zur Selbstaufnahme sind im Schichtaufbau sehr empfindlich, ebenso die Abspieltechnik. "Wenn es in der Rille von Schallplatten einen Ausbruch gibt, dann besteht die Gefahr, dass beim Abspielgerät die Nadel abbricht", sagt sie. Die Folge: Viele Formate wurden nicht angehört oder als Platten falsch kategorisiert, weshalb sie nicht mehr recherchierbar und unsichtbar werden. Das soll sich jetzt ändern. Abromeit will neue Restaurierungsstrategien entwickeln und sieht ihre Arbeit auch als einen Beitrag zur Materialanalyse und Restaurierungsforschung.
Aufruf zum partizipativen Archiv: Jetzt mitmachen
Was den Forscherinnen darüber hinaus wichtig ist? "Wir wollen Formen des partizipativen Archivs erarbeiten und Aufrufe starten, dass Menschen uns Audiobriefe übergeben", rufen Abromeit und Hallama zum Mitmachen auf. Eine Rolle werden dabei auch Interviews spielen und die Fragen: Was haben diese Objekte in ihrer Familiengeschichte bedeutet?
Interessierte können sich an die beiden Forscher/innen wenden unter: sonime(at)mediathek.at oder telefonisch unter +43 1 4277 - 29612 sowie auf Facebook und Twitter.
Quelle: ÖAW Newsletter