#CoronaAlltag: Sozialwissenschaftliche Feldforschung vor methodischen Herausforderungen
Die Corona-Krise wirkt sich in den Sozialwissenschaften gegenwärtig wie künftig auf die verfügbaren methodischen Möglichkeiten aus, und damit auch auf die Bandbreite von bearbeitbaren Problemstellungen. Je nach Zielsetzung gibt es zwar auch Forschungsaktivitäten, die weniger stark betroffen sind. Wo etwa ohnehin Online-Surveys oder Inhaltsanalysen geplant waren, kann vieles relativ problemlos im Homeoffice fortgeführt werden. Überall jedoch, wo Feldforschung nötig ist, stehen die Sozialwissenschaften vor großen Herausforderungen.
Aktuell sind infolge von Corona Feldforschungsaktivitäten entweder ausgesetzt oder sie müssen in digitale Räume verlagert werden. Letzteres eröffnet immer wieder auch Chancen und es werden mitunter neue innovative Wege gefunden. Je nach Forschungsthema passiert es aber auch, dass eine digitale Durchführung nicht möglich ist, weil die zentralen Erkenntnisse aus Faktoren wie Interaktion, gemeinsames Tun oder unmittelbare Beobachtung erwachsen. Drei konkrete Beispiele aus unserer Forschung können diesen Gedanken illustrieren.
Förderung von Medienkompetenz durch Citizen-Science-Methoden
Im OeAD-Projekt "Gemeinsam in der digitalen Gesellschaft" entwickeln Schüler*innen Online-Lernmaterialien über Auswirkungen von Digitalisierung weiter. Dadurch soll sowohl ihre eigene Medienkompetenz als auch die Medienkompetenz der späteren Nutzer*innen gefördert werden. Der Prozess wird intensiv sozialwissenschaftlich begleitet, um Erfahrungswerte für die künftige partizipative Gestaltung von Lernmitteln abzuleiten. Während mehrtägiger Hackathons an Schulen arbeiten die Schüler*innen mit professionellem Video-Equipment und setzen ihre Ideen, unter Anleitung und Beratung durch das Forschungsteam, um - vom Storyboarding über die Dreharbeiten bis hin zum Schnitt. Die sozialwissenschaftliche Begleitung erfolgt u.a. durch teilnehmende Beobachtung.
Wir hatten das Glück, dass diese Hackathons noch im Februar stattfanden, knapp vor Beginn der Corona-Krise in Österreich. Veranstaltungen, die im März noch Teil der sozialwissenschaftlichen Evaluierungen gewesen wären, mussten abgesagt bzw. auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Durch die kurze Laufzeit des Projektes (Projektende im September) ist unklar, ob und in welcher Form sie nachgeholt werden können. Aber der Großteil des Datenmaterials für die sozialwissenschaftliche Analyse ist erhoben und die Videos konnten unkompliziert in die FH-interne Postproduktion gehen - unser Projekt wird erfolgreich abschließen. Hätten wir die Hackathons nicht mehr durchführen können, stünden wir in diesem Projekt allerdings vor dem Nichts.
Selbst nach der Rückkehr zu einer teilweisen Normalität, die noch von Corona geprägt sein wird, erscheint die Durchführung eines solchen Projektes schwierig. Kaum werden etwa bei gemeinsamen Drehs von Schüler*innen, beim gemeinsamen und abwechselnden Hantieren mit Geräten stets Sicherheitsabstände oder hygienische Vorsichtsmaßnahmen eingehalten werden können. Generell stellt sich die offene Frage, ob, wann und unter welchen Vorkehrungen in der Kindheits- und Jugendforschung die Kooperation mit Schulen, d.h. die Zusammenarbeit mit ganzen Klassen oder großen Schüler*innengruppen, wieder möglich sein wird.
Ethnographische Forschung auf internationalen Medienmessen
In zwei abgeschlossenen Projekten beschäftigten wir uns mit internationalen Handelsmessen im Medienbereich. "Trading Cultures" ist der Titel des FWF-geförderten Dachprojektes, in dessen Verlauf sechs internationale Handelsmessen aus der Buch-, Musik- und Fernsehbranche besucht wurden. Handelsmessen sind die internationalen Knotenpunkte der jeweiligen Branche, an der Frankfurter Buchmesse etwa nehmen ca. 280.000 Besucher*innen aus über 160 Ländern teil. Die Rolle solcher Messen für den globalen Strom von Content und für die Branchenidentität wurde durch teilnehmende Beobachtung beforscht. Im Rahmen des TOP-Citizen-Science-Projektes "Inside Trading Cultures" besuchten wir die Frankfurter Buchmesse gemeinsam mit 12 Citizen Scientists ein zweites Mal, um die Perspektive der Sozialwissenschafter*innen um vielfältige Perspektiven aus verschiedensten Hintergründen zu erweitern.
Unsere Feldforschung erstreckte sich von Ende 2015 bis Ende 2017; derzeit wäre sie unmöglich. Die großen Buchmessen etwa, die im Frühjahr stattgefunden hätten, wurden abgesagt; die Organisator*innen der Frankfurter Buchmesse halten an ihrem Termin im Herbst fest, aber es ist offen, ob sich bis dahin die Corona-Lage soweit entspannt hat, dass großdimensionierte internationale Veranstaltungen abgehalten werden können. Auch hier ist die Frage, inwieweit angesichts der Masse von Aussteller*innen und Besucher*innen Sicherheitsabstände und andere Vorkehrungen verlässlich integrierbar sind.
Zukunftsprognosen: Corona wird uns noch länger prägen - auch in den Sozialwissenschaften
Von Lernmitteln zum Lizenzhandel, von der lokalen Kooperation mit Schulen zu internationalen Handelsmessen - völlig unterschiedliche Projekte eint die Problematik, dass sie unter den gegebenen Bedingungen nicht durchführbar wären.
Corona wird uns voraussichtlich begleiten, bis ein wirksames Medikament oder ein Impfstoff gefunden wurde. Für eine Wissenschaft, deren zentraler Forschungsgegenstand das soziale Leben ist, bedeutet dies spürbare Einschnitte. Gemeinsam mit bestimmten Methoden fallen über längere Zeit auch verschiedene Forschungsfragen mangels Umsetzbarkeit weg. Andererseits werfen gerade Wandlungsprozesse im sozialen Leben, die durch Corona stattfinden, wichtige gesellschaftliche Fragen auf, die wir als Sozialwissenschafter*innen aufgreifen können und sollten. Es kann aber auch hier passieren, dass digitale Erhebungsmöglichkeiten an ihre Grenzen stoßen.
Zur Person: Mag. (FH) Mag. Dr. Astrid Ebner-Zarl forscht am Institut für Medienwirtschaft der FH St. Pölten.
Service: Dieser Gastkommentar ist Teil der Rubrik "Corona - Geschichten aus dem Krisen-Alltag" auf APA-Science: http://science.apa.at/CoronaAlltag. Die inhaltliche Verantwortung liegt beim Autor/der Autorin.