Chemiker stellen Medikamentbaustein mit gezähmtem Widerspenstigen her
Mit einer neuen Methode zur umweltfreundlichen Herstellung von wichtigen Grundstoffen in der Medikamentenherstellung können Chemiker um Nuno Maulide von der Universität Wien aufwarten. Diese sogenannten Amine lassen sich laut der im Fachblatt "Angewandte Chemie" erschienenen Arbeit auch ohne giftige Zusätze mit einem "gezähmten", sehr reaktionsfreudigen Partner herstellen. Die Forscher sind bereits dabei, ihre Idee mit Unternehmen in größerem Maßstab zu entwickeln.
Die Gruppe um Maulide forscht u.a. unterstützt durch mehrere hochdotierte Förderpreise des Europäischen Forschungsrates (ERC) seit einigen Jahren im Bereich der "Grünen Chemie". Die Vision dahinter ist es, chemische Verfahren mit innovativen Zugängen so ablaufen zu lassen, dass sie möglichst nachhaltig, günstig und mit wenigen involvierten toxischen Stoffen auskommen.
Amine werden in der Medikamentenherstellung benötigt
Bei Aminen handelt es sich um eng mit Ammoniak verwandte Verbindungen, die in ihrer flüchtigen Form etwa für den typischen Fischgeruch verantwortlich zeichnen. Sie werden u.a. in der Medikamentenherstellung benötigt. Es gebe kaum Pharmaprodukte, die ohne diese Verbindungen auskommen, sagte Maulide im Gespräch mit der APA. Sie werden aber auch in Lacken, in Schäumen für Polsterungen aller Art oder als Nahrungsmittelzusatzstoffe eingesetzt. Außerdem können Amine biologische Abläufe anstoßen, etwa als psychotrope Substanzen in Form von LSD oder Mescalin. "1919 wurde Mescalin zum ersten Mal synthetisch hergestellt, und zwar an unserem Institut. Man kann also sagen, dass Wien eine enge Beziehung zu Aminen hat", heißt es in einer Aussendung der Uni Wien am Dienstag.
Die Wiener Wissenschafter gingen nun aber daran, einen Weg zu finden, wie man die wertvollen Verbindungen aus einfachen Alkenen herstellen kann. Seit 2009 setzt das Team bereits auf "hochenergetische, reaktive Intermediate", sagte Maulide. Dahinter verbergen sich Verbindungen, die äußerst rasch mit anderen Substanzen reagieren. "Sie haben eine schlechte Reputation in der organischen Chemie, weil sie zu Reaktionen führen, die nicht kontrollierbar sind. Wir haben da aber eine Methode gefunden, womit man sie 'zähmen' kann", erklärte der Forscher.
Die hier verwendeten Iminiumionen besitzen sehr wenige Elektronen und sind dementsprechend motiviert, sich mit anderen zu verbinden. Daher stellen die Wiener Forscher um Studien-Erstautor Carlos Goncalves diese direkt in einer Lösung her und zwingen sie sofort in eine Reaktion, die aus den Alkenen in nur einem Schritt Amine liefert. "Der Trick ist, dass man die Intermediate nicht lange leben lässt", so Maulide, denn sonst erhält man eine Vielzahl an unerwünschten Verbindungen.
Aktiv abkühlen
Man müsse die extrem reaktionsfreudigen Iminiumionen also quasi aktiv abkühlen, um zu verhindern, "dass sie weiter Mist aufbauen". Das sei mit dem Einbremsen eines Sportwagens zu vergleichen, der keine Bremse mehr hat: "Man führt den Ferrari aber so schnell wie möglich in eine Sackgasse mit einem Polster am Ende, in dem er landet." So komme man zu einem "gut strukturierten Produkt".
Die Möglichkeiten mit dieser Herangehensweise seien extrem vielfältig und beschränken sich nicht nur auf Amine, so die Wissenschafter. In mehreren Industriebereichen ist man nun vor allem an verbesserter Amin-Herstellung interessiert, weil diese relativ teuer ist. Die Alkene und die Reagenzien für die Iminiumionen sind aber sehr günstig.
Dementsprechend arbeiten die Forscher bereits mit Firmen daran, die Methode in größerem Maßstab ablaufen zu lassen. Hier seien noch einige Herausforderungen zu lösen. Letztlich würde man sich so aber erdölbasierte Grundstoffe, Metallkatalysatoren und toxische Reagenzien sparen. Als Ausgangsmaterialien würden sich etwa nachhaltige Rohstoffe im Sinne einer Kreislaufwirtschaft anbieten. Die neuen Produkte könnten dann auch mit anderen interessanten Eigenschaften ausgestattet sein, glaubt Maulide.
Service: https://doi.org/10.1002/anie.202115435