Grazer Wegener Center sieht 1,62 Grad Erderwärmung 2024
Nachdem der EU-Klimawandeldienst Copernicus am Montag das Jahr 2024 als das wohl wärmste Jahr der Geschichte bezeichnet hat, kann das Grazer Forschungsteam des Wegener Centers der Uni Graz eine noch genauere Prognose liefern: "Die globale bodennahe Lufttemperatur wird 2024 um 1,62 Grad Celsius - plus/minus 0,05 Grad Schwankungsbreite - im Vergleich zum vorindustriellen Niveau ansteigen", hieß es in einer Aussendung. Ein neues Berechnungsverfahren mache es möglich.
Gottfried Kirchengast, Leiter der Climate Change Indicators-Forschung und -Entwicklung (GCCI), erklärte im APA-Gespräch, warum er und sein Team noch bessere Daten vorlegen können als Copernicus sie bisher habe. Zu den vorhandenen Daten der schon zurückliegenden Monate würden auch noch auf konsistente Weise Jahreszeitenvorhersagen eingerechnet. Laut Kirchengast habe man eine erste Jahresprognose von 1,62 Grad Celsius bereits Ende September gehabt: "Wir waren selbst jetzt überrascht, wie genau das da schon war." Veröffentlichen wollte man im Spätsommer aber noch nicht, weil die Methode das erste Mal angewendet wurde. "Sie ist aber reproduzierbar", sagte der Leiter und kündigte eine entsprechende Publikation für das Frühjahr 2025 an.
"Drastisches Warnsignal"
Kirchengast ist überzeugt, dass Copernicus dieses neue, in Graz entwickelte Verfahren dann auch anwenden könnte. Die Vorhersagen und weitere Daten können im Portal "Graz Climate Change Indicators (GCCI)" eingesehen werden. Basis dieses "ClimateTracers" seien die besten weltweiten Messungen sowie die Datenquellen aus der eigenen Forschung. Mit ihnen werden auch die Prognosen erstellt: "Die globale Erwärmung von 1,6 Grad ist ein drastisches Warnsignal", so Kirchengast weiter. "Auch wenn heuer das Klimaphänomen El Niño einen Anteil am Temperaturanstieg hatte, ist der Großteil von rund 1,4 Grad langfristig und eindeutig von uns Menschen verursacht", so der Wissenschafter. "Dass die weltweiten Emissionen immer noch leicht steigen statt zu sinken, wird auch diese langfristige Erwärmung in einigen Jahren über 1,5 Grad treiben", ist er sich sicher.
"Um die zunehmend katastrophaler werdenden Folgen der globalen Erwärmung zu begrenzen, müssen wir die Emissionen im Sinn der Pariser Klimaziele schon bis 2035 mehr als halbieren", mahnte Kirchengast. Das erfordere konsequente Maßnahmen auf allen Ebenen, von Staaten über Unternehmen bis hin zu Einzelpersonen, sowie eine klimagerechte Vorgangsweise in sämtlichen Produktions- und Konsumaktivitäten von Wirtschaft und Gesellschaft.
Vernebelung ist "keine integere Politik"
Auf APA-Nachfrage nahm er mit durchaus drastischen Worten auch Bezug auf die Regierungsverhandlungen auf Bundes- und Landesebene: "Klare Fakten zu ignorieren ist eine zukunftsvergessene, selbst gewählte geistige Umnachtung." Mit Vernebelung und Falschinformationen rund um den menschenverursachten Klimawandel zu agieren sei "keine integere Politik". Das richte großen Schaden an, sei "zukunftsvergessen, innovationsfaul und wirtschaftsvernachlässigend". Am Beispiel VW in Deutschland oder Magna in der Steiermark sehe man, dass zu lange zugeschaut wurde, wie Prozesse in eine Richtung laufen, die nicht nachhaltig sei.
Kirchengast warnte die Koalitionsverhandler im Bund und im Land, nicht die gleichen Fehler noch einmal zu machen. Besondere Sorge bereite ihm da die geplante Zusammenarbeit zwischen FPÖ und ÖVP in der Steiermark, da es sich um zwei eher rechtsgerichtete Parteien handle: Diese würden sich in ihrer "Klientel-Bubble" weiter verstärken, gefordert sei aber umfassende Gemeinwohlorientierung. "Die Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene sind da etwas vielversprechender." Er mache sich angesichts der bisher kommunizierten Schwerpunkte der angehenden neuen Landesregierung "echte Sorgen um die Zukunft der Jungen". Von den seiner Ansicht nach dringend nötigen Maßnahmen, die gleichzeitig klima-, sozial- und wirtschaftsgerecht sind, sei viel zu wenig die Rede: "Die Innovationsfaulheit, die Wirtschaftsstruktur zu verändern, wird nun Politik", so seine Sorge. Das sei "furchtbar".
Auch Daten zu Wetter- und Klimaextremen sollen bald einfließen
Copernicus hatte am Montag von einer erstmaligen Erwärmung von mehr als 1,5 Grad Celsius gesprochen. Mit eingerechnet ist da bereits der November, der weltweit der zweitwärmste November seit Beginn der Aufzeichnungen war. "Mit den Copernicus-Daten aus dem vorletzten Monat des Jahres können wir nun mit ziemlicher Sicherheit bestätigen, dass 2024 das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen (...) sein wird", fasste Samantha Burgess, stellvertretende Direktorin des Copernicus-Klimawandeldienstes zusammen.
Ab 2025 sollen in den Grazer "ClimateTracer" übrigens auch Daten zu Wetter- und Klimaextremen einfließen. Kein anderes Portal biete diese Zusammenschau in derart hoher Qualität. "Wir liefern zuverlässige Monitoring-Informationen - von 1960 bis in die Gegenwart, samt Zukunftsprojektionen bis 2050", erklärte Moritz Pichler, der im GCCI-Team für die Datenaufbereitung verantwortlich ist. Die Charts geben Auskunft über die Entwicklungen weltweit, in Europa sowie auch spezifisch für Österreich. Sie sollen unter anderem Entscheidungsträgern in der Politik und in Firmen als Grundlage und Motivation für Klimaschutz-Management dienen.
Service: Klimawandel-Portal GCCI - ClimateTracer: https://climatetracer.earth