Auf Tuchfühlung mit der Sonne
Unser Heimatgestirn ist gut erforscht. Doch vor allem die Korona, der heiße Strahlenkranz um die Sonne, wirft Fragen auf. Astrid Veronig erforscht, woher die Sonnenatmosphäre ihre Energie nimmt und wie Sonnenstürme entstehen. Die Sonnenphysikerin ist an der Raumsonde Solar Orbiter der ESA beteiligt, die unseren nächsten Fixstern umkreist.
Die Bedeutung der Sonne für die Erde kann kaum überschätzt werden. Nicht nur verdanken wir dem Stern die Existenz unseres Planeten, sondern auch das Leben wäre ohne Sonne undenkbar - zumindest in der uns bekannten Form. Verständlich also, dass die Sonne seit Menschengedenken im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses steht. Dementsprechend kennen wir unser Heimatgestirn sehr gut, wissen über seine Größe, Temperatur und Alter Bescheid, verstehen, welche thermonuklearen Prozesse in seinem inneren Kern zur Energieerzeugung ablaufen. Und wir wissen, dass die Sonne bereits knapp die Hälfte ihrer voraussichtlichen Lebensdauer von zehn Milliarden Jahren verlebt hat. Nichtsdestoweniger gibt sie Wissenschaftler:innen noch immer Rätsel auf.
Rätselhafter Strahlenkranz
Mitunter führen die offenen Fragen der Sonnenphysik bis nach Österreich, etwa wenn heuer in manchen Nächten selbst hierzulande Nordlichter zu sehen waren. Die spektakulären Leuchterscheinungen entstehen, wenn der Sonnenwind mit dem Erdmagnetfeld wechselwirkt und energiereiche Teilchen die Sauerstoff- und Stickstoffatome in der Atmosphäre zum Leuchten anregen.
Dieser als Sonnenwind bezeichnete Teilchenstrom weht nicht immer gleich stark: In Zeiten, wo die Sonne besonders aktiv ist, fegt er stärker durchs All - und kann Polarlichter bis in unsere Breiten auslösen. Doch woher kommt der Sonnenwind? "Wir wissen, dass der Sonnenwind aus der Korona kommt. Das ist jener Bereich um die Sonne, der bei einer totalen Sonnenfinsternis als weißer Strahlenkranz sichtbar wird", erklärt Astrid Veronig, Professorin für Sonnenphysik an der Universität Graz.
"Die Korona hat Temperaturen von ein bis zwei Millionen Grad Celsius, während es auf der Sonnenoberfläche mit etwa 5.500 Grad deutlich kühler ist", so Veronig weiter. "Es gibt also Prozesse, die die Bewegungsenergie von der Oberfläche der Sonne auf die Korona übertragen - und so letztlich auch die Energie zur Beschleunigung des Sonnenwinds bereitstellen."
Astrid Veronig erforscht die Physik der Sonne und der Heliosphäre an der Universität Graz und ist Direktorin des Observatoriums Kanzelhöhe.
Kosmische Heimat
Der Sonnenwind sorgt aber nicht nur für atemberaubende Nordlichter. Die ständig von der Sonne nach außen strömenden Teilchen bilden gemeinsam mit dem Magnetfeld der Sonne eine gigantische Blase um das Sonnensystem, die sogenannte Heliosphäre. Der Druck des Sonnenwinds hält energiereiche Teilchen aus dem interstellaren Raum ab und wirkt wie eine schützende Hülle um unsere kosmische Heimat. Doch das Wetter in der Heliosphäre kann auch rau sein: Getrieben vom dynamischen Magnetfeld der Sonne, kommt es regelmäßig zu Strahlungsausbrüchen, sogenannten Flares. Sind diese besonders stark, können sich Teile des Sonnenmagnetfelds abschnüren und große Mengen des Sonnenplasmas mit ins All reißen.
Für uns sind solche koronalen Massenauswürfe mitunter gefährlich: "Zunächst ist Infrastruktur, die sich im All befindet, dem Sonnensturm direkt ausgeliefert, also Satelliten", sagt Veronig. Im Informationszeitalter bereits eine Katastrophe, kann es noch schlimmer kommen, wie Veronig weiß: "Verschmilzt das vom Sonnensturm mitgeführte Magnetfeld mit dem der Erde, kann das Erdmagnetfeld für einige Stunden bis Tage geschwächt werden. Dadurch können einerseits hochenergetische Teilchen in die Atmosphäre eindringen, andererseits induziert das schwankende Magnetfeld starke Ströme im Erdboden und in Leitungen."
Gerade Letzteres macht solche geomagnetischen Stürme für unser Stromnetz und die IT-Infrastruktur so gefährlich. Sonnenstürme zu verstehen, ist also nicht nur im Interesse der Grundlagenforschung, sondern hilft uns auch nachzuvollziehen, unter welchen Umständen im Weltraum Stürme aufziehen.
Flares im Visier
Veronig und ihr Team wollen daher erforschen, welche Prozesse genau Energie in die Sonnenatmosphäre der Korona pumpen. Dazu fokussieren sie sich auf Flares, also helle Strahlenausbrüche, mit denen sie dank des Solar Orbiters auf Tuchfühlung gehen können.
Der Solar Orbiter ist eine Raumsonde der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA, die die Sonne in stark elliptischen Bahnen umkreist. Dabei fliegt die Sonde bis auf ein Drittel des Abstands zwischen Sonne und Erde an unser Heimatgestirn heran und kommt damit der Sonne näher als der Planet Merkur. Mit an Bord sind zehn wissenschaftliche Instrumente, die die Sonne gut geschützt hinter einem Hitzeschild ins Visier nehmen.
Hinter einem der Beobachtungsfenster sitzt STIX, ein Röntgenteleskop, an dem Veronig beteiligt ist. "STIX kann Bilder der Sonne im Röntgenbereich aufnehmen und die abgestrahlten Wellenlängen analysieren. Da aber die Wellenlänge von Röntgenstrahlung so kurz und energiereich ist, können wir keine gewöhnliche Optik mit Linsen oder Spiegeln wie bei herkömmlichen Teleskopen einsetzen", erläutert Veronig.
Dementsprechend ist STIX ein ungewöhnliches Teleskop. Veronig: "Wir nutzen eine Anordnung aus über dreißig feinen Wolfram-Gittern und rechnen aus dem Muster, das eine Röntgenquelle auf die dahinterliegenden Detektoren wirft, auf den Ort und die Struktur der Quelle zurück." Zusätzlich kann STIX das Spektrum der Quelle aufnehmen, also wie die Strahlung auf verschiedene Wellenlängen verteilt ist.
Beschleunigte Elektronen
"Wir messen zwar das Strahlungsspektrum, daraus können wir aber auf die Energieverteilung der hochenergetischen Elektronen schließen, die diese Strahlung hervorrufen. Dabei interessiert uns besonders, wo und wie die Energie freigesetzt wird", sagt Veronig. Die beobachtete Röntgenstrahlung entsteht nämlich, wenn im Zuge eines Strahlungsausbruchs Elektronen in der Korona vom Magnetfeld der Sonne beschleunigt werden.
An diesem Prozess nehmen zwei Teilchenpopulationen teil: Die von STIX beobachtete Strahlung wird von hochenergetischen Elektronen ausgelöst, die aus der Korona Richtung Sonnenoberfläche geschleudert werden. Treffen sie dort auf das dichtere Plasma, geben die Teilchen Röntgenstrahlung ab. Ähnliches passiert bei Röntgengeräten, wo Elektronen mit elektrischer Spannung auf eine schwere Wolframschicht beschleunigt werden und beim Auftreffen sogenannte Bremsstrahlung abgeben.
"STIX sieht einerseits die Bremsstrahlung der Elektronen, die entlang geschlossener Feldlinien zurück zur Sonne gelangen. Andererseits besteht die Stärke des Solar Orbiters darin, dass die Sonde auch Instrumente besitzt, die In-situ-Messungen erlauben", sagt Veronig. Damit können die Messgeräte der Raumsonde die zweite Teilchenpopulation erfassen, die entlang offener Feldlinien von der Sonne weg beschleunigt wird.
Neue Einblicke ...
Der Solar Orbiter zieht bereits seit 2020 seine Bahnen um die Sonne. Welche Erkenntnisse hat die Mission bisher geliefert? "Aufgrund unserer Beobachtungen wissen wir, dass in Flares durch das Verschmelzen des Magnetfelds in der Korona sehr viel Energie aus dem Magnetfeld freigesetzt wird", erklärt Veronig. "Dadurch heizt sich das Sonnenplasma kurzfristig auf viele Millionen Grad auf und Teilchen können beschleunigt werden."
Zudem fanden Veronig und ihr Team heraus, dass Flares mit sehr energiereichen Röntgenspektren dann entstehen, wenn sich einer der Fußpunkte der magnetischen Bögen direkt in einem Sonnenfleck befindet. "Sonnenflecken sind dunkle Bereiche auf der Sonnenoberfläche, die eine niedrigere Temperatur als die Umgebung haben. In diesen Bereichen ist aber das Magnetfeld besonders stark", erläutert Veronig. Ist nun ein Flare über ein Ende mit einem Sonnenfleck verbunden, können selbst kleinere Ausbrüche ein hartes Spektrum besitzen und Teilchen stark beschleunigen. Außerdem konnten die Forscher:innen um Veronig neue Methoden entwickeln, die Vorgänge im Magnetfeld zu modellieren - und den Ort der Energiefreisetzung eingrenzen.
... und Ausblicke
"Die Energie wird in der Korona freigesetzt, wo wir aufgrund der geringen Dichte und hohen Temperaturen das Magnetfeld nicht direkt messen können. Das gelingt uns nur an der Sonnenoberfläche, sodass wir auf Modelle angewiesen sind. Unsere Modellrechnungen etwa zeigen gut, wo Energie gespeichert ist und durch welche Umstrukturierungen sie plötzlich freigesetzt wird", fasst Veronig die Ergebnisse zusammen.
Für den Solar Orbiter beginnt indes ein spannender Missionsabschnitt: Im Rahmen mehrerer Fly-by-Manöver an der Venus sammelt die Sonde Energie, die sie über die Ekliptik hinaustragen wird. Dabei handelt es sich um die gedachte Ebene, auf der in etwa alle Planeten des Sonnensystems kreisen. Indem der Solar Orbiter die Ekliptik verlässt, kann die Raumsonde in etwa zwei Jahren die Pole der Sonne unter die Lupe nehmen. Von diesen Beobachtungen versprechen sich Fachleute weitere Einblicke in das komplexe Magnetfeld unseres Heimatgestirns - und womöglich weitere Rätsel.
Zur Person
Astrid Veronig ist Professorin für die Physik der Sonne und der Heliosphäre an der Universität Graz. Zudem ist sie die Direktorin des Observatoriums Kanzelhöhe. Nach Studien in Astronomie, Physik, Philosophie und Germanistik promovierte sie 2002 über Sonnenflares. Nach einem Forschungsaufenthalt am Goddard Space Flight Center der NASA habilitierte sich Veronig 2009 an der Universität Graz, wo sie 2020 ihre Professur antrat. Veronig ist mit Unterstützung des Wissenschaftsfonds FWF an führender Stelle am STIX-Instrument an Bord des Solar Orbiters der ESA beteiligt.
Publikationen
Purkhart St., Veronig A.M., Kliem B., Jarolim R. et al.: Multipoint study of the rapid filament evolution during a confined C2 flare on 28 March 2022, leading to eruption, in: Astronomy & Astrophysics 2024
Gou T., Liu R., Su Y. et al.: High-Resolution Observation of Blowout Jets Regulated by Sunspot Rotation, in: Solar Physics 2024
Österreichischer Wissenschaftsfonds FWF Ingrid Ladner, Redaktion scilog Telefon: +43 676 83487 8117 E-Mail: ingrid.ladner@fwf.ac.at Website: https://scilog.fwf.ac.at