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Porträt

Maik und die Mäuse

Maik Dahlhoff, Leiter des Instituts für In-vivo und In-vitro-Modelle an der Veterinärmedizinischen Universität Wien
Anna Riedler

Der Campus der Veterinärmedizinischen Universität (Vetmed) liegt fast verlassen im Sonnenschein, nur vereinzelt taucht ein Fußgänger im Blickfeld auf. Ausgerechnet während einer Pandemie hat sich Maik Dahlhoff auf den Weg von München nach Wien gemacht, um eine Professur am Institut für In-vivo- und In-vitro-Modelle anzutreten. APA-Science hat sich mit dem Genetiker über Forschung, Freizeit und Mäuse in Strohhalmen unterhalten.

„Finger weg!“ steht in großen Buchstaben auf einer ominösen Styropor-Box auf der Fensterbank im Labor. Im Hintergrund sind die roten Backsteinbauten der Uni zu sehen. Links von der Box gluckern fünf Liter 70-prozentiger Ethanol in einem kleinen Plastiktank friedlich vor sich hin. Das Verbotene ist anziehend, und ähnlich wie die Aufschrift „Vorsicht, Gift!“ oder ein Bild von einem stilisierten Totenkopf lenkt auch die ansonsten recht unscheinbare Box sofort den Blick auf sich – was sicher nicht im Sinne des Beschrifters gewesen ist, denn es geht nicht darum, vor gefährlichen Chemikalien zu warnen, sondern lediglich, Besitzansprüche zu deklarieren. Ähnlich wie ein Post-It am eigenen Joghurt im Gemeinschafts-Kühlschrank in einer WG ist die Kernaussage lediglich: „Meins!“ Gute Behälter sind halt schwer zu finden.

Im Büro von Maik Dahlhoff nebenan ist es weniger persönlich. „Das ist alles von meinem Vorgänger“, erklärt der Experte für Genetisch Modifizierte Organismen (GMO) mit Blick auf Schreibtisch und Bücherregale. Statt weißen, klinisch sauberen Arbeitsflächen, Glasbehältern und blinkenden Geräten wie im Labor dominiert hier Holz. Seit September 2020 ist Dahlhoff in Wien, am 1. Oktober trat der 45-Jährige die Professur an der Vetmed an. Eines der wenigen persönlichen Dinge im Büro ist bisher sein alter Füllfederhalter aus den 50er Jahren.

Facts

Maik Dahlhoff ist seit dem 1. Oktober 2020 der Leiter des Instituts für In-vivo und In-vitro-Modelle an der
Veterinärmedizinischen Universität in Wien. Der gebürtige Warenberger ist Experte für Genetisch Modifizierte Organismen (GMO) und begeisterter Radfahrer. Seine Forschungsschwerpunkte sind weißer und schwarzer Hautkrebs sowie das Pankreaskarzinom und mögliche Therapien.

Campus-Blick und Comic-Maus

Die ominöse Styropor-Box, im Hintergrund der verlassene Campus

Comic-Mäuse auf der Türe von Dahlhoffs Büro klären Besucher vorab über seine Stimmung auf

Hier verbringt der Genetiker den Großteil seiner Arbeitszeit

Vom Pferd über das Krokodil hin zur Maus

Obwohl ihn die Genetik bereits in der Schule fasziniert hat, wollte er ursprünglich Tierarzt werden, „ganz klassisch in der Praxis, mit Hund, Katze und Pferd, und Nutztieren natürlich“. Geboren in Warendorf, der deutschen „Stadt des Pferdes“, lag der Schluss nahe, sich auf Pferde zu spezialisieren, gegen Ende des Studiums an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München galt seine Leidenschaft dann den Zootieren, „ich habe aber festgestellt, dass die Anzahl an Arbeitsplätzen in Zoos sehr limitiert ist. Also bin ich meiner Leidenschaft aus der Schule nachgegangen, der Genetik“.

Das Faszinierende daran, so Dahlhoff, sei, dass man das ganze Genom, den gesamten Bauplan eines Organismus mit vier Basen bilden könne. „Bis heute sind noch viele Gene unentschlüsselt, man weiß nicht, welche Funktion sie haben“, was ein Gen im Organismus macht und was passiert, wenn es entartet. Diesen Rätseln will Dahlhoff auf den Grund gehen. Seine Forschungsschwerpunkte sind weißer und schwarzer Hautkrebs sowie das Pankreaskarzinom und mögliche Therapien. „Natürlich träumen wir davon, Krebs zu heilen, aber ich gehe nicht davon aus, dass wir das Allheilmittel so schnell finden werden“, so Dahlhoff. Er beschäftigt sich mit der Interaktion von Liganden und Rezeptoren (Zielproteinen). Liganden sind Stoffe, die an Zielproteine binden, und sie entweder aktivieren oder deaktivieren beziehungsweise in ihrer Funktion hemmen. „Es gab zum Beispiel vor ein paar Jahren ein Protein, von dem man gesagt hat, wenn das gehemmt wird, stoppt es den Krebs“, erklärt er, „das ist meines Wissens nach aber nicht gelungen“.

Maus im Strohhalm

 

Statt an Pferden oder Zootieren forscht Dahlhoff nun an Mäusen – beziehungsweise an Zellkulturen. „Wir versuchen, alternative Methoden zum Tierversuch zu machen, wie zum Beispiel Organoide (Anm.: organähnliche Mikrostrukturen, die in der Zellkultur entwickelt werden) aufzustellen. In den Bereichen, wo ich forsche – das ist vor allem die Dermatologie – gibt es extrem viele ex vivo Experimente, wo man in der Zellkultur Haut züchten kann.“ Eine gute Alternative zu lebenden Mäusen wäre für ihn die Anschaffung eines 3D-Gewebedruckers, mit dem man – vergleichbar einem normalen 3D-Drucker – Organe aus Zellen nachbilden kann. Aktuell werde aber noch sowohl in vivo als auch in vitro geforscht, daher der Name des Instituts.

Am Gang des Laborkomplexes steht ein weißes Fahrrad, mit dem Dahlhoff seine Wege zurücklegt. In einer fast typisch wienerischen Willkommensgeste wurde Dahlhoffs erstes Rad gleich nach seiner Ankunft in der Stadt gestohlen – sein zweites Rad stellt er deshalb lieber drinnen ab. Erst auf den zweiten Blick fällt die Türe auf, neben der das Fahrrad steht. Sie trägt die Aufschrift „Spermienarchiv“, und dahinter befinden sich die Münchner Mäuse, die Dahlhoff nach Wien übersiedeln ließ. Wer Käfige voller kleiner Nagetiere erwartet, wird allerdings enttäuscht. Stattdessen befindet sich in der kleinen Kammer ein Kanister, gefüllt mit Stickstoff bei minus 180 Grad. „Alle Linien werden routinemäßig als Sperma weggefroren“, erklärt er, „sodass wir jederzeit das Sperma auftauen und damit Eizellen befruchten können, um diese Mäuse zu revitalisieren. Es ist natürlich viel einfacher, eine große Box mit Strohhalmen zu übersiedeln als lebende Mäuse“.

Ein Blick ins Maus-Archiv

Das Fahrrad, mit dem Dahlhoff alle seine Wege zurücklegt, steht direkt ...

... neben dem Spermienarchiv. Hier lagern unter anderem die Mäuse, die er aus München mitgebracht hat ...

... und zwar in Stickstoff tiefgekühlt.

Das erleichtert Transport und Aufbewahrung, denn ...

... jede Maus passt im Endeffekt in einen Strohhalm.

Negative Reaktionen, weil er mit Versuchstieren arbeitet, habe er in den 15 Jahren, die er am Institut für Molekulare Tierzucht und Biotechnologie der LMU München verbrachte, keine erfahren. „Ich habe aber auch nicht direkt den Kontakt zu einer Tierschutzorganisation gesucht, um mit ihnen zu diskutieren“, gibt er offen zu.

Umzug und Anzug

So wie bei den Mäusen war Dahlhoff auch bei seinen persönlichen Habseligkeiten nicht mit viel Gepäck unterwegs, als er den Umzug wagte. „Ich bin mit relativ wenig gekommen, ein Möbelwagen hat gereicht.“ Aus einer 40 Quadratmeter kleinen Wohnung in München, wo im Herbst die Gastronomie Pandemie-bedingt bereits geschlossen hatte, ging es ins relativ offene Wien. Auch als die Corona-Regeln schärfer wurden, änderte sich wenig an seiner Arbeit. „Für mich persönlich hat sich nicht viel geändert, weil ich dieses Büro alleine verwenden kann“, erzählt er –  für seine fünf wissenschaftlichen Mitarbeiter und die Tierpfleger sei es schon schwieriger. Dennoch „haben wir Glück im Unglück“, weil viel Arbeit im Homeoffice erledigt werden kann, und sich die Pfleger und Forscher auf mehrere Büros und Tierställe aufteilen können. Eine Maske zu tragen sei auch kein Drama, das müsse man in der Tierhaltung (zusätzlich zu Handschuhen, Haarnetz und Overall) sowieso, um ein Eindringen von Keimen zu verhindern.

Trotzdem sei es schwierig. „Man versucht, das Beste draus zu machen, aber nein, es ist nicht die beste Zeit, um zu arbeiten. Es ist ja nicht so, dass wir gerne allein in einem dunklen Raum sitzen und vor uns hin forschen, die Interaktion mit anderen Leuten ist schon wichtig.“

Auch was die Lehre betrifft, wünscht sich Dahlhoff für die Zukunft mehr Präsenz. Bis jetzt fielen seine Vorlesungen immer in die Zeit des Lockdowns, seine Studierenden kennt er bisher nur von Bildschirmen. „Bei der Online-Lehre bekommt man kein gutes Feedback, man redet gegen einen Monitor. Man sieht keine Gesichter, keine Mimik, keine Reaktionen. Man weiß nicht, wie die Vorlesung ankommt. Es kommt kein richtiger Austausch zustande.“ Seine nächste Vorlesung hat er erst im Wintersemester, wo er darauf hofft, die Studierenden auch abseits von Bildschirmen kennenlernen zu können.

Alles in allem ist es kein 40-Stunden-Job, den Dahlhoff macht. Die meisten Arbeitstage beginnen vor 8 Uhr und enden gegen 18 Uhr. „Ich arbeite auch gerne am Wochenende. Sonntag zum Beispiel bin ich gerne hier, man ist ungestört“, so Dahlhoff.

„Der Job nimmt sehr viel Zeit in Anspruch, aber ich liebe ihn, es macht Spaß und ist das, was ich immer machen wollte, Wissenschaft und Forschung. Es gibt jeden Tag etwas Neues zu entdecken. Meisten sind es ja Rückschläge, die man als Wissenschafter hat, aber wenn man dann mal weiterkommt und irgendetwas Positives entdeckt oder eine Theorie belegen kann, davon zehrt man.“

Sport und Kunst als Ausgleich

Das bisschen, was an Freizeit bleibt, verbringt er gerne in Bewegung. „Sport ist der absolute Ausgleich“ zur Arbeit, so der Forscher, auch wenn sich das im Lockdown mit geschlossenen Fitnesscentern und Schwimmbädern schwierig gestaltet habe. Sobald es (zeitlich, aber auch von den Einschränkungen her) möglich ist, möchte er einmal pro Woche das Floridsdorfer Bad besuchen.

Ein weiteres Hobby von Dahlhoff ist die Kunst, weshalb er auch sobald es möglich war, der Albertina einen Besuch abgestattet hat. „Mehr Museen werden folgen“, freut er sich. Nebenbei wird außerdem noch ein bisschen gezeichnet. Was er so zeichnet? „Alles möglich, meistens Landschaften, aber es ist alles dabei. Die Arbeit hat damit allerdings nichts zu tun, es wird keine DNA-Doppelhelix gemalt. Auch keine Mäuse.“

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