Webb-Teleskop findet völlig andere Umgebung für Planetenentstehung
Eine völlig andere Umgebung für die Planetenentstehung hat ein internationales Forscherteam mit österreichischer Beteiligung mit Hilfe des James Webb-Weltraumteleskops (JWST) entdeckt. Wie die Wissenschafter im Fachjournal "Science" berichten, fand sich in der planetenbildenden Scheibe rund um einen mehr als 600 Lichtjahre entfernten massearmen Stern die reichhaltigste Kohlenwasserstoffchemie, die bisher in einem solchen Planetenentstehungsgebiet beobachtet wurde.
Astronomen und Astronominnen aus elf europäischen Ländern untersuchen im Projekt MINDS mit Hilfe des Mid-Infrared Instruments (MIRI) an Bord des JWST die Bedingungen in den inneren Bereichen protoplanetarer Scheiben um junge Sterne. Diese Scheiben bestehen aus Gas und Staub, aus denen sich Gesteinsplaneten bilden können. Speziell Sterne mit sehr geringer Masse - weniger als ein Drittel der Masse unserer Sonne - beherbergen häufiger als andere Sterntypen solche erdähnlichen (terrestrische) Planeten in ihrer Umlaufbahn.
Deshalb haben die Forscher um Aditya Arabhavi von der Universität Groningen (Niederlande) die chemische Zusammensetzung der Staub- und Gasscheibe um "ISO-Chal 147", ein Stern mit 0,11 Sonnenmassen, im Sternentstehungsgebiet Chamäleon I mit dem MIRI untersucht. Der Astrophysiker Manuel Güdel von der Universität Wien war an der Entwicklung dieses JWST-Instruments federführend beteiligt, ebenso wie an der aktuellen Analyse.
Vielzahl von kohlenstoffhaltigen Molekülen
"Wir sind erstaunt über die zahlreichen Kohlenwasserstoffe in der protoplanetaren Scheibe. Insgesamt haben wir im Gas 13 verschiedene kohlenstoffhaltige Moleküle identifiziert, darunter Ethan, Ethylen, Propylen und Benzol", erklärte Güdel gegenüber der APA. Dies sei die reichste Ausbeute an Kohlenwasserstoffen in einer solchen Scheibe, "so etwas haben wir noch nie gesehen". Ethan wurde überhaupt erstmals in einer planetaren Umgebung außerhalb des Sonnensystems entdeckt.
Diese Zusammensetzung der planetenbildenden Region unterscheidet sich grundlegend von jener in Scheiben um sonnenähnliche, also massereichere Sterne. Während dort Wasserdampf (H2O) und Kohlendioxid (CO2) dominieren, gab es in dem untersuchten Planetenentstehungsgebiet keine Anzeichen für diese sauerstoffreichen Moleküle. "Dort ist eine Chemie, die extrem auf Kohlenstoff basiert ist, und nicht auf Sauerstoff. Die Frage ist, wieso und was geht hier vor", sagte Güdel. Die Forscher sind daher auf der Suche nach einem Mechanismus, mit dem Sauerstoff unterdrückt und Kohlenstoff verstärkt wird.
Eine Möglichkeit wäre, dass sauerstoffhaltige Moleküle in der Scheibe rasch von Außen nach Innen gebracht werden und schließlich im Stern aufgehen. Dies könnte etwa dadurch passieren, dass Wasser- und CO2-Eis gemeinsam mit bis zu Zentimetergröße zusammengepackten Festkörpern - die Forscher schreiben in der Arbeit von "pebbles" (Kieselsteinen) - in der Gasscheibe abgebremst werden und so rasch immer weiter in Richtung Stern wandern und auf ihn hinunterfallen. "So könnte Wasser und CO2 sukzessive aus der Scheibe entfernt werden und zurück bleibt eine sauerstoffarme Umgebung mit viel Kohlenstoff", sagte der Astrophysiker.
Jedenfalls dürften sich in einer solchen Umgebung Planeten bilden, "die eine exotische Art von Atmosphäre besitzen könnten", so Güdel. In unserem Sonnensystem gebe es nur den Saturn-Mond Titan mit einer solchen Atmosphäre, die aus Stickstoff, Methan und vielen Kohlenwasserstoffen besteht. Die Chemie in einer solch kohlenwasserstoffreichen Atmosphäre sei jedenfalls völlig anders - aber gleichzeitig "sehr vielversprechend für Molekülentstehung, die in Richtung Leben gehen könnte". Denn das uns bekannte Leben basiert auf Kohlenstoff.
Dem Astrophysiker zufolge könnte eine solche gänzlich andere, kohlenstoffdominierte Chemie "durchaus verbreitet sein". Das Forscherteam will deshalb mehr protoplanetare Scheiben um massearme Sterne untersuchen, um besser zu verstehen, wie häufig solche exotischen, kohlenstoffreichen Regionen sind, in denen sich terrestrische Planeten bilden.
Service: Internet: http://dx.doi.org/10.1126/science.adi8147