Die Wiege der Forschung
Nicht jedes naturkundliche Museum kann im gleichen Atemzug als Forschungsmuseum bezeichnet werden. Viele regionale Einrichtungen sind dafür einfach zu klein und können sich nur punktuell eigene Forschung leisten und konzentrieren sich eher auf die Ausstellungen (siehe auch die Einschätzung der Historikerin Marliese Raffler). Anders ist das in Österreichs größtem naturkundlichem Museum, dem 1889 gegründeten Naturhistorischen Museum (NHM) in Wien. Hier gibt es 60 fest angestellte Wissenschafter, die auf einen gesammelten Fundus von rund 30 Millionen Objekten im Haus zurückgreifen können und in so unterschiedlichen Bereichen wie Anthropologie, Botanik, Geologie, Paläontologie, Mineralogie, Petrographie, Prähistorie und Zoologie bis hin zur Provenienzforschung forschen.
"Wir sind ein Forschungsmuseum und das haben wir auch als gesetzlichen Auftrag", verweist NHM-Direktor Christian-Köberl im Gespräch mit APA-Science auf das Bundesmuseengesetz. Demnach umfasst die Forschungstätgkeit der seit 2003 als "wissenschaftliche Anstalt öffentlichen Rechts" geführten Institution "die wissenschaftliche Bearbeitung und Erschließung der Sammlungsbestände (...) und alle sich daraus ergebenden wissenschaftlichen Fragestellungen."
Sammlungen mit Vor- und Nachteilen
Dass die Forschung auf den Sammlungen aufbaut, bringt Vor- und Nachteile mit sich, wie Köberl erklärt. "Der Vorteil ist: Museen blicken oft auf eine mehrhundertjährige Sammlungsgeschichte zurück, was bei Fossilien, Steinen, Mineralien oder prähistorischen anthropologischen Objekten kein Problem ist - bei denen ändert sich ja nicht wirklich etwas."
Bei biologischen Proben hingegen könne es zu größeren Problemen kommen, weil sich diese unterschiedlich gut erhalten lassen - manche sind gepresst wie Herbarien, manche Tiere sind ausgestopft, in Alkohol eingelegt oder getrocknet. Darum sei die Zusammenarbeit zwischen "den vielleicht eher auf modernen Techniken aufbauenden und anderen Fragestellungen behandelten Wissenschaften an der Universität und den nach wie vor beschreibenden taxonomischen, biologischen Wissenschaften an den Museen" sehr wichtig.
"Riesiger Schatz"
Der Fokus liege nicht auf klassischer naturwissenschaftlicher Forschung wie Physik oder Chemie, sondern auf der "objektbasierten sammlungsgestützten naturwissenschaftlichen Forschung", so Köberl. Nicht zuletzt handle es sich beim NHM um "eine der größten außeruniversitären Forschungseinrichtungen auf dem Gebiet der Geo- und Biowissenschaften in Österreich." Im Bezug auf die Forschung liege das Selbstverständnis von Naturmuseen darin, "dass wir auf einem riesigen Schatz sitzen, der heute noch genau wie vor 100 Jahren ausgewertet wird, aber jetzt auch mit anderen Methoden", so der seit 2010 amtierende Direktor, der weiterhin an der Uni Wien als Kosmochemiker und Meteoritenforscher tätig ist.
Dass ein solcher Schatz auch aus Schmeißfliegen bestehen kann, erläuterte vor kurzem Gerhard Tarmann, Kustos für Naturwissenschaftliche Sammlungen des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum, bei einer Tagung am Universalmuseum Joanneum in Graz. "Was wir sammeln, ist Beweismaterial", so Tarmann. So hat man eine Sammlung von Schmeißfliegen aus dem Jahr 1880, die aus dem Ostalpengebiet stammt, mit Exemplaren von 1990 auf ihre Belastung mit Schwermetallen hin verglichen. Ergebnis laut Tarmann: "Vor hundert Jahren war es viel dreckiger."
Liegt bei einem Landesmuseum wie dem Ferdinandeum der Fokus naturgemäß eher auf der Erforschung der regionalen Naturbesonderheiten, verfolgt ein großes Forschungsmuseum wie das NHM schon einen globaleren Ansatz. Anders als etwa bei Kunstsammlungen werden grundsätzlich alle 30 Mio. Objekte auch als Forschungsobjekte verstanden, ob ausgestellt oder nicht. "Man darf nicht vergessen: Die Sammlung ist in erster Linie nicht für die Ausstellung, sondern für wissenschaftliche Forschungszwecke da. Und so war das schon immer: Die Sammlungen wurden angelegt um etwas zu erforschen. Die Ausstellung ist ein Neben-, ein Zusatzprodukt das herauskommt."
Top zehn bis 15
"Mittelalterlicher Salzabbau zeigt sich in See-Sedimenten", "Ammoniten in den Dolomiten: Fossilforschung 3.000 Meter über dem Meer", "'Kuratit: Neues Mineral nach Wiener Meteoritenforscher benannt": Nur ein kurzer Blick ins Archiv zeigt, dass die Wissenschafter des größten heimischen Naturmuseums in den vergangenen Jahren nicht untätig waren und mit ihrer Arbeit auch mediale Aufmerksamkeit erregt haben. Was die Publikationsleistung in internationalen Journalen betrifft, könnte da aber noch mehr kommen, fordert Köberl von seinen Mitarbeitern: "Vor allem geht es mir darum, dass viele wissenschaftliche Arbeiten auch in internationalen Magazinen publiziert werden sollen und nicht nur in irgendwelchen lokalen Blättern."
International gesehen ordnet Köberl das NHM nicht in die ganz oberste Liga der Forschungsmuseen ein, "ich würde uns aber doch unter den Top zehn bis 15 Museen weltweit in diesem Gebiet sehen". Damit das Niveau der Forschung zumindest gehalten werden kann, sind ständige Investitionen erforderlich. Ein Forschungsbudget per se gibt es nicht, weil Ausstellung, Forschung und Sammlung miteinander verquickt sind. "Was man sagen kann ist, dass wir eine gute Anzahl an Forschungsprojekten haben und die werden zu einem Gutteil extern finanziert - vom FWF, WWTF, FFG; von der EU, kleinere über die ÖAW, bestimmte Länder, Universitäten etc."
Eine von Köberl zu Beginn seiner Tätigkeit in Auftrag gegebene und vom Wissenschaftsfonds (FWF) durchgeführte Forschungsevaluation hat ergeben, dass die Forschungs-Infrastruktur im NHM "katastrophal" sei. Mit diesen Argumenten im Rücken konnte der neue Direktor im Frühjahr 2013 eine Investition von 1,57 Mio. Euro seitens des Kulturministeriums (ehemals BMUKK, nunmehr im Bundeskanzleramt angesiedelt; Anm.) für neue Geräte erreichen. Angeschafft wurden so ein neues Rasterelektronenmikroskop (REM) und eine Elektronenstrahlmikrosonde (EMS).
Hightech-Geräte
Das REM ermöglicht die 10- bis 300.000-fache Vergrößerung von Objekten. Das Untersuchungsobjekt muss sich dabei nicht mehr im Hochvakuum befinden, was manche Probe bisher von der Untersuchung ausgeschlossen hat. Auch entfällt die Beschichtung der Objekte, um elektrostatische Aufladungen zu vermeiden. Dank einer entsprechenden Probenkammer können überdies deutlich größere Stücke untersucht werden.
Um das in einem unscheinbaren Raum des NHM positionierte Gerät ist ein Käfig gelegt, um die elektromagnetischen Felder abzufangen, die durch U- und Straßenbahnen entstehen. Die Anwendungsmöglichkeiten des REM sind für die Geologie, Biologie, Anthropologie und Prähistorie ebenso interessant wie für Kunstmuseen und Konservatoren.
Auch die EMS sei das modernste Gerät in Österreich. Mit der im Hochvakuumbereich operierenden EMS lassen sich hochauflösende Bilder produzieren, um etwa zu analysieren, wie bestimmte chemische Elemente in einer Probe verteilt sind. Anwendung findet die Sonde in der Materialwissenschaft, der Meteorologie, Mineralogie oder Petrologie.
Die beiden Geräte sind Teil der 2012 begründeten zentralen Forschungslaboratorien am NHM, mit denen man die spartenübergreifende Kooperation unterstreichen will. In diesen Zusammenhang gehört auch der neue Reinraum des DNA-Labors, bei dem DNA ohne Verunreinigungen extrahiert werden kann - Schaufenster inklusive, um Besuchern den Einblick in die wissenschaftliche Arbeit zu ermöglichen.
Auf der mittel- bis langfristigen Wunschliste des Generaldirektors gibt es aber noch weitere Gerätschaften: So zum Beispiel ein C-14-Labor zur Altersbestimmung von Objekten, das mit rund 2,5 Mio. Euro zu Buche schlüge und ein Computertomograf, der voraussichtlich eine halbe Million Euro kosten würde, seien darunter, so Köberl.
Infrastruktur und Geld
Eine weitere derartige Geldspritze wie im Vorjehr ist aber in näherer Zukunft nicht zu erwarten, meint Köberl: "Das war die Ausnahme. Weil ich meine Berufung daran gehängt habe." Budgetsorgen begleiten den Direktor freilich ständig: "Eine Minimalanforderung wäre, das Budget einmal sofort um zehn Prozent zu erhöhen." Das würde gerade reichen, nicht erfolgte Indexanpassungen abzugleichen.
Von den Ressourcen her würde Köberl das NHM gerne dort sehen, wo etwa das Londoner National History Museum durch seine Forschungsinfrastruktur und personellen Kapazitäten jetzt schon ist. Dadurch sei das Museum in der Lage, nicht mit anderen Institutionen kooperieren zu müssen. "Sie sind das Kompetenzzentrum, die Leute kommen zu ihnen. Dorthin möchte ich auch kommen - und damit komme ich wieder auf Zahlen zu sprechen - wenn wir zehn Mio. Euro kriegen würden, damit könnten wir schon etwas anfangen", erklärt Köberl. "Damit könnten wir auch die international sichtbaren Leuchttürme errichten."
Von Mario Wasserfaller / APA-Science