(Kein) Ende der Arbeit?
Das Versprechen von rauchenden Köpfen statt rauchenden Schornsteinen auf der einen Seite, "Mensch gegen Maschine"-Szenarien auf der anderen: Killt die Digitalisierung Jobs? APA-Science versucht, etwas Licht in die Debatte zu bringen.
Die Diskussion über den Einfluss des digitalen Wandels auf den Arbeitsmarkt, die Beschäftigungsverhältnisse und die Einkommensverteilung wird derzeit heftig geführt (siehe auch "Keine Angst vor dem digitalen Schreckgespenst"), wobei von allen Seiten sehr unterschiedliche Zahlen in die Runde geworfen werden.
Es begann mit einer aufsehenerregenden, aber auch umstrittenen Studie der Wissenschafter Carl Benedikt Frey und Michael Osborne von der Universität Oxford im Jahr 2013. Laut dieser Untersuchung arbeiten 47 Prozent der Beschäftigten der USA in Berufen, die in den nächsten zehn bis 20 Jahren mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 70 Prozent automatisiert werden können. Besonders betroffen sind Bürotätigkeiten, Handel und andere Dienstleistungen. Mit Berechnungen auf derselben Basis sieht das Beratungsunternehmen A.T. Kearney in den nächsten 25 Jahren 44 Prozent aller österreichischen Arbeitsplätze bedroht. Für Deutschland kommt das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) auf 42 Prozent.
Allerdings sollten die Ergebnisse von Frey/Osborne und darauf aufbauende, nachfolgende Studien mit Vorsicht interpretiert werden. Laut ZEW-Expertise wurden Berufe und nicht die Tätigkeiten der Erwerbstätigen betrachtet. Allerdings werden vermutlich nicht unbedingt komplette Berufe durch Innovationen ersetzt werden, sondern einzelne Tätigkeiten der Arbeitskräfte, die zum Teil auch schwer automatisierbare Aufgaben ausüben. Zweitens beruht die Frey/Osborne-Erhebung auf Experteneinschätzungen, die laut ZEW typischerweise zur Überschätzung technischer Potenziale führen. Und drittens könnten neue Technologien Arbeitsplätze verändern, ohne sie zu beseitigen, oder auch neue schaffen. Das wurde ebenfalls nicht berücksichtigt.
Anderer Blick - andere Zahlen
Deshalb hat das ZEW die Automatisierungswahrscheinlichkeiten anhand der Tätigkeitsstrukturen am Arbeitsplatz berechnet. Und schon sehen die Zahlen ganz anders aus: In den USA sind neun Prozent der Jobs gefährdet, in Deutschland zwölf Prozent.
Für Österreich kommt eine Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS) auf eine mittelfristige Gefährdung von rund neun Prozent aller Jobs (360.000 Stellen). Auch die IHS-Forscher haben im Unterschied zu Frey und Osborne individuelle Tätigkeitsstrukturen der Erwerbstätigen berücksichtigt. Auf Hilfsarbeiter und Handwerker entfallen demgemäß gemeinsam über 50 Prozent der bedrohten Jobs. In Österreich lag die Arbeitslosenquote von Pflichtschulabsolventen zuletzt bereits bei 28 Prozent. Durch die Automatisierung wird der Druck auf Arbeitskräfte mit geringer Ausbildung weiter steigen, so das IHS. Und auch das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) prognostiziert einen sinkenden Beschäftigungsanteil von formal geringqualifizierten Arbeitskräften.
Zumindest in den vergangenen zwei Dekaden war die Entwicklung allerdings deutlich anders. Eine OECD-Studie zeigt, dass eher Menschen mit mittlerer Qualifikation von der Entwicklung betroffen waren - besonders in Österreich. Zwischen 1995 und 2015 ging der Anteil der Jobs mit mittlerer Qualifikation an der gesamten Beschäftigung um rund 17 Prozentpunkte zurück. Im Gegenzug stieg der Anteil von Arbeitsplätzen, die von Menschen mit einer nur geringen Qualifikation besetzt werden, um etwa drei Prozentpunkte. Jobs mit hoher Qualifikation legten um 14 Prozentpunkte zu. "Einiges deutet darauf hin, dass der technologische Wandel sicherlich eine entscheidende Rolle bei der Polarisierung des Arbeitsmarkts gespielt hat", schreibt die OECD. Auch Experten des deutschen Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sehen weniger Hilfskräfte betroffen, von denen gebe es ohnehin nicht mehr so viele, sondern vor allem den klassischen Facharbeiter, etwa in der Maschinensteuerung.
Es gebe einen stärkeren Bedarf an hochqualifizierten Beschäftigten für immer komplexere Aufgaben, wohingegen Beschäftigte in Tätigkeiten mit höherem Routine-Grad - typischerweise gering und mittel-qualifizierte Personen - schon aktuell und möglicherweise noch stärker in der Zukunft zu den Verlierern gehören werden, konstatieren die Autoren von "Technologischer Wandel und Ungleichheit. Zum Stand der empirischen Forschung".
Sogar mehr Jobs durch Digitalisierung?
Sie fordern ebenfalls eine kritische Reflexion der postulierten Effekte der Digitalisierung auf Beschäftigung und Verteilung. Trotz aller methodischen und konzeptionellen Unterschiede würden sich im Vergleich aber auch einige zentrale Befunde herausarbeiten lassen: Laut Studien, die auch Kompensationseffekte mit einbeziehen, übertreffen letztere meist die ursprünglichen Einsparungseffekte, wenngleich die Auswirkungen kurzfristig deutlich negativ sein können. Am stärksten ausgeprägt seien diese Effekte bei innovierenden Unternehmen, was auch auf eine zunehmende Ungleichverteilung zwischen den Unternehmen hindeute.
"Ich persönlich glaube nicht, dass uns die Arbeit ausgehen wird", schreibt auch AMS-Vorstand Johannes Kopf in einem Gastkommentar zum Thema "Nehmen uns die Maschinen die Arbeit weg?". Er wies auch darauf hin, dass die Oxford-Studie von Frey/Osborne nicht untersucht hatte, wie viele Berufe und Tätigkeitsfelder im gleichen Zeitraum neu entstehen: "Ein Umstand, den die berichtenden Medien in ihren 'Das Ende der Arbeit'-Artikeln jedoch kaum erwähnten." Die Auswirkungen der Digitalisierung seien "weniger dramatisch als kolportiert. Per saldo könnte es sogar positive Effekte auf den Arbeitsmarkt haben", glaubt auch IHS-Chef Martin Kocher.
In Deutschland hat die zunehmende Digitalisierung der Betriebe bisher jedenfalls noch nicht zu Jobverlusten geführt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des IAB, das dazu Angaben von rund 12.000 Betrieben für das Jahr 2015 auswertete. "Eine Tendenz in Richtung Personalabbau durch Digitalisierung ist nicht erkennbar", heißt es in dem Bericht des Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit. Mit Blick auf die Gesamtzahl der Beschäftigten verlaufe die Digitalisierung bisher weitgehend neutral, obwohl inzwischen alle Wirtschaftsbereiche und der Großteil aller Betriebe von Digitalisierung betroffen seien.
Tätigkeiten würden sich zwar ändern, gingen aber nicht verloren. "Wir werden nicht weniger, sondern andere Arbeiten haben", widersprach auch Ex-Wifo-Chef Karl Aiginger und nun Leiter der "Querdenkerplattform: Wien - Europa" vergangenes Jahr in Alpbach. Deutlich pessimistischer sind die Österreicher: Vier von fünf gehen davon aus, dass Automatisierung und Digitalisierung Arbeitsplätze zerstören werden, nur 29 Prozent glauben aber, dass ihr eigener Job wackelt, geht aus einer Sora-Umfrage für den Volkshilfe-Sozialbarometer hervor.
Notwendige Qualifikationen unklar
Völlig unklar scheint, wie die Unternehmen mittel- bis langfristig auf den technischen Wandel reagieren und welche neuen Berufsfelder und Arbeitsplätze die Digitalisierung bringt. Das AMS, das laut Kopf wahrscheinlich jene Organisation ist, die am meisten Forschungsarbeit zur Frage "Welche Qualifikationen braucht unser Arbeitsmarkt morgen?" leistet, kann diese Frage recht gut und detailliert beantworten, "allerdings nur für 'morgen'. Welche Qualifikationen der Arbeitsmarkt 'übermorgen' also in mehr als drei bis fünf Jahren braucht, wissen auch wir kaum", so Kopf.
Das ZEW resümiert: "Die Zusammenhänge zwischen Automatisierung, Veränderung von Berufsbildern, Arbeitsplatzverlusten und Arbeitsplatzentstehung werden bisher nur unvollständig verstanden. Weitere Forschung ist notwendig." Diskussionen über Maschinensteuern oder bedingungsloses Grundeinkommen brauchen schließlich eine fundierte Grundlage.
Von Stefan Thaler / APA-Science