"Ethik ist nichts, was von oben bestimmt werden soll"
Den Diskurs über Ethik und Technik strukturell vorantreiben will die Technische Universität (TU) Graz mit der Arbeitsgruppe Wissenschaft, Technik und Gesellschaft, die 2018 von der Universität Klagenfurt an das Institut für Interaktive Systeme und Data Science übersiedelt ist. Die Resonanz bei den Forscherinnen und Forschern ist groß, erzählte Unit-Leiter Günter Getzinger im Gespräch mit APA-Science.
Aus einem Dutzend Forscherinnen und Forschern besteht die Science, Technology and Society (STS) Unit, zählt man die durch Drittmittel finanzierten Personen mit. Das Kernteam umfasst derzeit acht Forscher. Der Austausch mit den Forschenden an der TU funktioniert reibungslos und in beide Richtungen, freut sich der Unit-Leiter. "Wir sind voll integriert, auch dank des Engagements unseres Vizerektors Horst Bischof, der unsere Eingliederung in die TU als Projektleiter begleitet hat." Gleich zu Beginn stellte sich die Arbeitsgruppe an allen Fakultäten und vielen Instituten mit ihrem Portfolio vor. "Wir haben traditionell gewachsene Schwerpunkte - die Gruppe gab es als Expositur der Uni Klagenfurt in Graz ja bereits seit über zwanzig Jahren - , was Technikfolgenabschätzung, Fragen der Ethik in der Technik und in Zusammenhang mit neuen Technologien betrifft", erläuterte Getzinger. Dazu zählen Biomedizin, Biotechnologie, feministische Technikforschung und Nachhaltigkeit, insbesondere sozialwissenschaftliche Aspekte und nachhaltige Technikgestaltung.
Nachfrage im Bereich autonomes Fahren
Zu einem neuen Schwerpunkt entwickelt sich gerade der Bereich des autonomen Fahrens. "Wir werden uns damit auch im Rahmen von Forschungsprojekten und in der Lehre auseinandersetzen", so Getzinger. Rund 50 Forscherinnen und Forscher befassen sich an der TU Graz mit diesem Thema. Als Auftakt für den ethischen Diskurs plant die STS Unit eine große Diskussionsveranstaltung im "Fishbowl"-Format in der TU-Aula am 11. März. "Bei dieser eigens entwickelten Veranstaltung sitzen fünf interne und externe Expertinnen und Experten - so etwa ein Kollege vom Karlsruher Institut für Technikfolgenabschätzung - in der Mitte der Aula, ein sechster Stuhl ist frei. Um sie herum befinden sich rund 40 Forscherinnen und Forscher der TU Graz, großteils sehr junge Leute im Dissertationsstadium, die an einem speziellen Aspekt des automatisierten Fahrens arbeiten. Punktuell können sie auf den freien Platz setzen und sich an der Diskussion beteiligen, ihre Perspektive einbringen, nachfragen, oder auch kritische Positionen einnehmen", erklärte der Forscher. "Denn wir sind der Ansicht, Ethik ist nichts von oben herab zu Bestimmendes", verwies er auf die Diskursethik von Jürgen Habermas. Alle Entscheidungen, die getroffen werden müssten, wolle man mit den Beteiligten entwickeln.
Technik stärker reflektieren
Vonseiten der TU hat die STS Unit den Auftrag, sukzessive möglichst in allen Studiengängen Technikfolgenabschätzung, Aspekte von Technik und Ethik und das "Reflektieren von Technik generell", so Getzinger - unterzubringen. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeitsgruppe, die hohe sozialwissenschaftliche Kompetenz mitbringe, ist die Einbeziehung von Nutzern in Projekte in Form von Befragungen oder Beteiligungen, etwa wenn es um nachhaltige, zukunftsfähige Verkehrs- und Energiesysteme geht. "Energieversorgung könnte künftig dezentraler stattfinden, in Form von 'Energy Hubs' etwa in Stadtteilen, wo große Photovoltaikanlagen Strom erzeugen, andererseits große Energiespeicher in der Lage sind, solche Stadtteile auf lange Sicht zumindest teilweise mit Energie zu versorgen", führte Getzinger aus. "Solche Projekte sollte man nicht machen, ohne die beteiligten Nutzer einzubeziehen."
Das gelte auch für das Verkehrssystem, in dem jährlich 400 bis 500 Menschen zu Tode kommen. "Hier in Graz ist der Autoverkehr sicher die größte umweltpolitische Herausforderung. Einerseits durch die Feinstaub- und Stickoxidbelastung, andererseits durch Lärm und die damit einhergehende Abwertung von ganzen Wohngebieten." Es sei wesentlich, sich auch aus nicht-technischer Perspektive mit Herausforderungen wie dieser zu befassen. "Nur durch eine interdisziplinäre oder sogar transdisziplinäre - also unter Einbeziehung von Laien - Herangehensweise kann man zu wirklich guten Lösungen kommen", ist er überzeugt.
Bei den Forscherinnen und Forschern ortet Getzinger, selbst technischer Chemiker, Philosoph und Sozialwissenschafter, hohes Bewusstsein für ethisch problematische Fragestellungen. "Über diese Offenheit, durchaus auch zu Genderaspekten, waren wir ein Stück weit sogar überrascht", gibt er zu. Bei den Studierenden sehe die Sache anders aus, aber das liege nicht an ihnen. "Mittlerweile sind die Curricula so dicht und fast stundenplanmäßig organisiert. Unser Job ist es nun, uns Stück für Stück in die Stundenpläne der relevanten Studien zu integrieren." Ein erster Schritt dazu sollen Wahlfachmodule sein.
Von Sylvia Maier-Kubala / APA-Science