Neue Gentechnik – gesellschaftliche Akzeptanz im Wandel?
Mit dem Einzug von CRISPR/Cas und anderen neuen Verfahren in Pflanzenforschung und -züchtung vor einigen Jahren kam wieder Bewegung in die davor festgefahrene Diskussion um die landwirtschaftliche Anwendung der Gentechnik in Europa. Jüngste Umfragen und EU-Ratsdiskussionen zur Anpassung der EU-Gesetzgebung lassen sogar einen Wandel in der gesellschaftlichen Akzeptanz als möglich erscheinen.
Die ersten Bestrebungen zur kommerziellen Nutzung der Gentechnik für die Landwirtschaft in Europa Ende der 1980er Jahre führten zu einer breiten Debatte, die seit mehr als 30 Jahren anhält und in unregelmäßigen Abständen hochkocht. In der Frühphase dieser Kontroverse bildete sich eine informelle Allianz von zivilgesellschaftlichen Akteuren – darunter vor allem Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen, Biolandwirtschaft und Grün-politische Gruppierungen –, der es gelang, Risiken und Unsicherheiten in Bezug auf Umwelt und Gesundheit sowie mögliche sozioökonomische Implikationen zu zentralen Themen der politischen und gesellschaftlichen Debatte zu machen. Derartige Mobilisierungsbestrebungen waren in Österreich, Frankreich, Deutschland, Italien, Norwegen und der Schweiz besonders erfolgreich.
Auf EU-Ebene und in der Schweiz und Norwegen führte dies zu einer restriktiven Gesetzgebung für Markzulassung und Kennzeichnung von genetisch veränderten Pflanzen und daraus hergestellten Lebens- und Futtermitteln, die unter Verweis auf das Vorsorgeprinzip aufwendige Genehmigungsverfahren erfordern. In Österreich und weiteren EU-Staaten etablierten sich zudem nationale Gentechnik-frei-Kennzeichnungen; auch erklärten sich ganze Landstriche proaktiv zu gentechnikfreien Regionen. Genetisch veränderte Pflanzen wurden sukzessive zu einem Symbol für eine übermächtige multinationale Agrarlobby, gegen deren Modell einer industrialisierten Landwirtschaft mit patentierten Pflanzen es standzuhalten gilt. Der Erfolg dieser Kampagnen spiegelte sich auch in einer zunehmend ablehnenden Haltung in Umfragen wieder. In vielen europäischen Ländern setzte der Lebensmittelhandel in Folge auf eine Vermeidung von Produkten aus genetechnisch veränderten Pflanzen, eine kommerzielle Nutzung kam defacto zum Erliegen.
Neue Dynamiken in der Debatte
Seit 2015 kommt nun wieder Bewegung in dieses Gefüge. Zum einen zielt die „neue Gentechnik“ hauptsächlich auf kleinste genetische Änderungen ab, ähnlich denen in der konventionellen Züchtung. Zum anderen scheinen sich die Sichtweisen mancher gesellschaftlichen Gruppen zu ändern, wodurch sich auch ein Spielraum für politische Neubewertungen auftut. Bemerkenswert sind Entwicklungen in bislang besonders stark auf Gentechnik-Freiheit setzenden Ländern: In Italien treten die größten landwirtschaftlichen Verbände Coldiretti und Confagricoltura offen für eine Anwendung der neuen Gentechnik ein. In der Schweiz, die hinsichtlich ihrer landwirtschaftlichen Gegebenheiten und der Orientierung auf Biolandbau häufig mit Österreich verglichen wird und in der bislang ein Anbauverbot von genetisch veränderten Pflanzen in Kraft ist, haben sich Unternehmen aus Landwirtschaft, Lebensmittelproduktion und -handel zu einer Initiative mit der Bezeichnung „Sorten für Morgen“ zusammengeschlossen, um von der Politik mehr Offenheit zu fordern. Auch in Norwegen kommt aus Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion Druck zu mehr Offenheit. Änderungen zeigen sich auch in Umfragen. Jüngere Umfragen legen nahe, dass die Ablehnung deutlich geringer ist, wenn es sich um kleine genetische Änderungen handelt. Insbesondere dann, wenn damit auch ein Umweltnutzen einhergeht, schlägt die Ablehnung zuweilen auch in Zustimmung um. So sprachen sich in einer Umfrage in Norwegen mehr als die Hälfte der Befragten sogar für einen Einsatz der neuen Gentechnik in der Biolandwirtschaft aus, sofern dadurch eine pestizidfreie Landwirtschaft ermöglicht werde.
Wie lassen sich diese Entwicklungen erklären?
Obwohl es bislang erst wenige Untersuchungen zu den Hintergründen dieser jüngsten Entwicklung gibt, zeichnen sich erste Faktoren ab: Durch Extremwetterlagen und den schrittweisen Ausstieg aus Pestiziden geraten Züchter und landwirtschaftliche Betriebe immer stärker unter Zugzwang und beklagen das Fehlen von Instrumenten, mit denen sie weiterhin Ertrags- und Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln und agrarischen Rohrstoffen gewährleisten können. Sie versprechen sich von der neuen Gentechnik sowohl eine deutlich raschere und effizientere Umsetzung von Resilienz- und Nachhaltigkeitszielen als auch Sortenverbesserung bei bislang wenig verbreiteten Kulturarten, wie etwa bei Futtererbse und Zichorie. Bei letzterer Kategorie von Pflanzen rechnet sich die Anwendung von klassischer Gentechnik mit aufwendigen Genehmigungsverfahren nicht und selbst die langwierige konventionelle Züchtung ist wenig attraktiv.
Auch Konsumenten und Konsumentinnen scheinen vor dem Hintergrund der jüngsten Krisenerfahrungen (Lieferengpässe als Folge von COVID-Pandemie oder Ukrainekrieg, Extremwetterlagen und deren unübersehbare Folgen) ihre Einstellungen zu überdenken. So schien beispielsweise der Fokus auf Ertragssteigerung bisher ökologisch und moralisch problematisch und mit Vorstellungen der Nachhaltigkeit nicht vereinbar. Vor dem Hintergrund multipler Krisenszenarien können Ertragssteigerungen aber eben auch zu einer resilienteren Lebensmittelversorgung aus der Region beitragen.
Und in Österreich?
Um diesen Forderungen aus der konventionellen Landwirtschaft nachzukommen und eine realistische Möglichkeit für eine kommerzielle Nutzung der neuen Gentechnik zu schaffen, wäre allerdings eine Anpassung des EU Gentechnikrechts erforderlich. Eine solche Anpassung wird inzwischen von einer deutlichen Mehrheit der Mitgliedstaaten unterstützt.
In der heimischen Politik scheint sich allerdings wenig geändert zu haben. Umweltministerin Gewessler sieht in der neuen Gentechnik „eine Gefahr für den österreichischen Weg“ und positioniert sich gegen eine Änderung der EU-Gesetzgebung und damit effektiv gegen eine Nutzung der neuen Gentechnik. Das entspricht zwar langjähriger grüner Politik, die nachhaltige Landwirtschaft mit Biolandwirtschaft gleichsetzt. Es stellt sich allerdings die Frage, ob wir für eine zeitnahe Transformation zu einer nachhaltigen und resilienten Landwirtschaft und Lebensmittelversorgung nicht alle verfügbaren Optionen nutzen sollten.
Kurzportrait
Dr. Armin Spök ist Wissenschafter und Universitätslehrer an der Science, Technology and Society Unit der Technischen Universität (TU) Graz. Mitte der 1990er Jahre hatte ihn die österreichische Gentechnikkontroverse fasziniert und ermutigt, den Labormantel an den Nagel zu hängen und sich als Forscher den gesellschaftlichen Herausforderungen durch diese Technologie zuzuwenden. Seitdem untersucht er Fragen der gesellschaftlichen Akzeptanz und politischen Gestaltung von Gentechnik in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion – mehrfach auch im Rahmen von Technikfolgeabschätzungsstudien für den Deutschen Bundestag und den Schweizer Bundesrat. Als wissenschaftlicher Berater war er lange in nationalen und internationalen Gremien tätig, u.a. bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und der OECD.