NGT: Hier ein Forschungswerkzeug, anderswo gibt es erste Anwendungen
In erster Linie ist die Neue Gentechnik (NGT) in Österreich ein Forschungswerkzeug, sagen Experten gegenüber APA-Science. In anderen Ländern gibt es aber durchaus schon Versuche im Feld und erste Anwendungen bei Produkten. Es gibt aus wissenschaftlicher Sicht gewichtige Argumente, die für eine Neuregelung von neuen Gentechnikverfahren wie CRISPR/Cas auf politischer Ebene sprechen.
Die „Neue Gentechnik“, etwa mithilfe der Genschere CRISPR/Cas, ist für die Forscher und Pflanzenzüchter ein Werkzeug für punktgenau Eingriffe in das Erbgut (Genom). Damit kann man die Funktion von Genen und Genprodukten wie etwa Eiweißstoffen studieren, aber auch verändern, erklärt Hermann Bürstmayr vom Institut für Pflanzenzüchtung der Universität für Bodenkultur (Boku) in Wien: „Im einfachsten Fall wird nur ein vorhandenes Gen in einer bestimmten Position minimal abgeändert.“ Der Eingriff im Genom ist daher weniger intensiv und umfangreich. Es heißt die neuen Methoden demnach „Gentechnik light“.
„Im Prinzip könnte man die gleichen Änderungen in der Natur auch finden“, sagt Bürstmayr: „Man muss nur lange genug suchen“. Alternativ könnte man sie auch mittels über 100 Jahre gebräuchlicher Mutagenese (Erbgut-Veränderungsverfahren) herstellen, also durch Behandlung mit Chemikalien oder Bestrahlung. Dabei werden freilich zufällig viele Veränderungen ausgelöst, und nicht gezielt eine einzelne Variante generiert.
Konventionelle Züchtung molekular beobachtet
Einen Mittelweg untersucht derzeit Markus Teige vom Department für Funktionelle und Evolutionäre Ökologie der Uni Wien in einem EU Projekt (ADAPT) bei Kartoffeln. Die Züchtung erfolgt derzeit durch konventionelle Kreuzung, aber er sucht mit Kollegen spezielle Kenn- (Marker-) Sequenzen in dem Erbgut. Damit kann man zum Beispiel nachverfolgen, in welchen Keimlingen die gewünschten Kombinationen nach einer Züchtung vorhanden sind, und diese gezielt für die nächsten Kreuzungen verwenden. „Die Züchtung einer neuen Sorte, die sonst gut zwölf Jahre dauert, kann man dadurch in der halben Zeit schaffen“, erklärt er. In Zukunft wären solche Veränderungen mit der Neuen Gentechnik aber noch schneller zu bewerkstelligen. Dann könnte man auch einzelne zusätzliche Eigenschaften in beliebte Sorten einbringen. „Wenn wir sie derzeit mit irgendetwas anderem kreuzen, wissen wir nicht, wie es dann etwa mit dem Ertrag, dem Geschmack und der Kochfestigkeit aussieht“, so Teige.
Zielgerichtete Veränderungen
„Zielgerichtete Mutationen sind vor allem wichtig, wenn man mehrere Gene beeinflussen will, die für dieselbe Funktion zuständig sind“, so Andreas Bachmair vom Department für Biochemie und Zellbiologie der Universität Wien und den Max Perutz Labs: „Bei Weizen sind sogar von jedem Gen sechs Kopien vorhanden“. Er hat nämlich drei doppelte Chromosomensätze. Mit ungezielten Methoden müsste man viele unerwünschte Mutationen in Kauf nehmen, um Treffer an den gewünschten Positionen zu landen. „Dies verschlechtert praktisch immer die Qualität“, sagt der Experte. Denn viele nicht zielgerichtete Mutationen führen in der Regel zu einem Fitnessverlust und verändern Eigenschaften auf eine Art und Weise, die man nicht vorhersehen kann.
Bei der konventionellen Mutagenese weiß man in der Regel gar nicht, was man eigentlich alles verändert hat, sagt Verena Ibl vom Department für Funktionelle und Evolutionäre Ökologie der Universität Wien. Kreuzt man eine Sorte mit einer anderen, um eine gewünschte Eigenschaft zu übertragen, bringt man wiederum nicht nur diese eine Eigenschaft, sondern gleich mindestens eine Kopie sämtliche Chromosomen (Erbgutträger) ein. Unerwünschte Eigenschaften müssen demnach anschließend wieder entfernt werden. Dies benötigt Rückkreuzungen über mehrere Generationen, die man jeweils genau untersuchen müsste. Bei Gerste beträgt die Generationszeit drei Monate, bei Obstbäumen gut 15 Jahre. Bei letzteren wäre es also quasi unmöglich, solche Veränderungen in absehbarer Zeit zu produzieren. „Mit den Methoden der Neuen Gentechnik hätte man hingegen ganz spezifisch gleich in der ersten Folgegeneration die gewünschten Merkmale“, so Ibl.
In Österreich ein Grundlagenforschungswerkzeug
„In erster Linie ist die Neue Gentechnik in Österreich ein Forschungswerkzeug“, sagt Bürstmayr: „Damit kann man kleine Änderungen im Genom auslösen, um die Funktion von in Pflanzen vorhandenen Genen besser zu studieren“. Es wird dann nachvollziehbar, welche Gene für welche Eigenschaften nötig und verantwortlich sind: Zum Beispiel die Resistenz gegen Krankheiten und Schädlinge, oder die Produktion von Allergenen. Bei Gerste kann man damit etwa die Produktion von Speichereiweißstoffen untersuchen, die den Nährwertgehalt beeinflussen, so Ibl: „Die Methode liefert eindeutige Ergebnisse, ist sehr kostengünstig und schnell“.
In anderen Ländern gibt es schon Freilandversuche und Marktanwendungen mit Pflanzen, die durch Neue Gentechnik verändert wurden, berichtet Bürstmayr. Zum Beispiel Sojabohnen mit verändertem Ölsäurespektrum, wo die Sorten nach der Verarbeitung weniger schädliche Transfette enthalten. „Das ist natürlich ein Gesundheitsvorteil“, so der Experte. Eine andere Anwendungsmöglichkeit wäre, Enzyme und Proteine aus alten Tomatensorten, die für den menschlichen Stoffwechsel von Vorteil sind, wieder in die aktuellen Sorten einzubringen, erklärt Ibl.
Gene für nützliche Funktionen sind durch Kreuzungen oft verloren gegangen, weil man früher gar nicht wusste, dass sie wichtig sind. Mit der neuen Technik könnte man sie restaurieren. Bei Weizen wäre es vielleicht möglich, den Glutengehalt für Menschen mit Unverträglichkeit zu verringern, ohne das Backverhalten des Mehls zu ändern, meint die Forscherin. Der nächste logische Schritt wäre demnach, dass man mit dem in der Grundlagenforschung generierten Wissen angewandte Forschung betreibt.
Das Endprodukt ist nicht unterscheidbar
Für die Regularien ist es „ein Riesendilemma“, dass man den Auslöser der Veränderungen wie etwa Neue Gentechnik im Endprodukt nicht nachweisen kann, sagt Bürstmayr: „Es gibt im Nachhinein keine Möglichkeit festzustellen, ob eine Veränderung natürlich entstanden, durch konventionelle Mutagenese wie etwa Bestrahlung, oder Neue Gentechnik ausgelöst wurde“. „Die Veränderungen sind praktisch naturident“, so auch Bachmair. Sie können zufällig entstanden oder von Menschenhand ausgelöst worden sein.
Einerseits halten die Experten es für fragwürdig, zwischen zwei identischen Pflanzen zu unterscheiden, nur weil die eine menschen- und die andere naturgemacht ist, zweitens ist es in der Praxis wohl unrealistisch, weltweit in jedem Fall mithilfe von Ursprungs- und Herstellungszertifikaten zweifelsfrei nachzuweisen, wie eine Sorte generiert wurde. „Es würde jedenfalls einen enormen bürokratischen Aufwand und eine immense Verteuerung bedeuten“, meint Bachmair. Demnach ist der Vorschlag der EU, keine Unterscheidung mehr zu machen, wohl die am ehesten praktisch realisierbare Variante. Durch diese Regelung würde keine der Pflanzen, die jetzt als transgen gelten (in die artfremde Gene eingeschleust wurden), anders eingestuft, erklärt Bachmair: „Insofern wäre die Umsetzung des Vorschlages auch keine Lockerung des Gesetzes“.