EU will Neue Gentechnik als Werkzeug für „Green Deal“ nutzen
Es soll die Rechtsgrundlage für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) in der EU reformiert werden. Kritiker sehen darin Rechtsverletzungen. Die Pläne, so vernimmt man, sollen noch vor der Europawahl 2024 realisiert werden.
„Green Deal“ und Gentechnik – was vielleicht für manchen auf den ersten Blick schnell einmal wie ein gegensätzliches Paar scheinen könnte, ist für die EU-Kommission kein Widerspruch. Während der Green Deal Europa bis 2050 in den ersten klimaneutralen Kontinent verwandeln soll, sollen die neuen genomischen Verfahren (NGT) klimafitte Pflanzen bringen, bei Halbierung der Pestizide. Zwei Hürden werden von Kritikern dieser Pläne genannt: Die EU-Gesetze für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) und ein EuGH-Urteil, das NGT zu diesen zählt.
Der vor mehr als einem Jahr von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigte Legislativvorschlag für NGT-Pflanzen sieht auch vor, dass die bestehenden EU-Rechtsvorschriften in der Verordnung 2017/625 zu GVO angepasst werden sollen. Es ist vorgesehen, dass die Neuregelung noch vor den Europawahlen auf den Weg gebracht werden.
Unterscheidung in NGT-1 und NGT-2
Anfang Juli war der erste Schritt getan und die EU-Kommission präsentierte die Pläne für durch gezielte Mutagenese, Cisgenese sowie Intragenese generierte Pflanzen, die zusammen zur Kategorie NGT-1 zählen. NGT-Verfahren mit nicht kreuzbaren Arten, Transgenese genannt, sollten hingegen unter die bestehenden GVO-Verordnungen fallen (NGT-2). Zudem will die EU nach eigenen Angaben eine Pflanzen-Entwicklung im Sinne der Nachhaltigkeitsziele fördern, Transparenz solle durch Saatgut-Kennzeichnung und Sicherheit durch die Überwachung der Auswirkungen von NGT-Produkten gewährleistet werden.
In ihrem Mitte Oktober publizierten Bericht erwähnt die schwedische EU-Abgeordnete Jessica Polfjärd (EVP) in ihrer Funktion als Berichterstatterin für den Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) ein EuGH-Urteil aus dem Jahr 2018 zur Richtlinie 2001/18 als Hemmnis, die NGT in der EU zu nutzen. „Eine neue, angepasste Gesetzgebung ist unerlässlich“, so Polfjärd, die unter anderem zwar für verbesserte Regeln bei der Kategorie 1 (NGT-1) eintritt, sich ansonsten aber zu den Befürwortern des Kommissionsvorschlags zählt. Noch bewegt sich dies alles im Zeitrahmen, die ENVI-Abstimmung soll am 11. Jänner 2024, die Abstimmung im Plenum ebenfalls in diesem Monat erfolgen.
Nicht ohne Widerstand
Doch es gibt Widerstand, etwa durch ein im September publiziertes Rechtsgutachten, das im Auftrag der deutschen Grünen erstellt wurde. Hier wird der Plan, NGT-Pflanzen normalen Züchtungen gleichzusetzen und somit aus dem EU-Gentechnikrecht zu nehmen als Rechtsverletzung gesehen. Sie würden auch dem im Lissabon-Vertrag festgeschriebenen Vorsorgeprinzip widersprechen, wie auch der EU-Verpflichtung zum „Cartagena-Protokoll über die biologische Sicherheit“ zu Risikoprüfungen, bevor genetisch veränderte Organismen (GVO) angewendet werden dürfen.
Ein Kritikpunkt, der auch von österreichischen Politikern geteilt wird, liegt wiederum darin, dass der Kommissionsvorschlag keine „Opt-Out“-Regelung enthalte, erklärte zuletzt Experte des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gegenüber dem Bundesrat. Gemeint sei damit, dass einzelne Mitgliedsstaaten auf Basis eines nationalstaatlichen Beschlusses kein wirksames Anbauverbot für alle mit Gentechnik gewonnenen Pflanzen mehr erlassen können.
Im Oktober reagierte die spanische Ratspräsidentschaft mit einem Kompromissvorschlag, der unter anderem ein NGT-Verbot für Biolandwirtschaft enthält, die Kennzeichnungspflicht für Saatgut NGT 1 solle bleiben – ein Punkt, den die Schwedin Polfjärd aus dem Text gestrichen haben wollte. Ungeklärte Fragen scheinen weiter zu bestehen, wie etwa jene, ob durch NGT-Verfahren hervorgegangene Pflanzen tatsächlich auch bei konventionellen Züchtungen entstehen könnten, was beispielsweise der Pflanzenbiotechnologe Robert Hoffie bejaht.
Eine andere Haltung hat das deutsche Bundesamt für Naturschutz: „Selbst ein präziser Eingriff mit NGT kann, ohne dass zusätzliche Gene eingefügt werden, die Eigenschaften von Organismen stark verändern“; hieß es in einem Hintergrundpapier, das im Juni veröffentlicht wurde. Durch NGT sei das gesamte Erbgut für gentechnische Veränderungen einsetzbar, „dadurch können die neuen gentechnischen Verfahren eine wesentlich höhere Wirkmächtigkeit haben als herkömmliche Züchtungstechniken.“ Eine trockenresistente NGT-Feldfrucht berge etwa das potenzielle Risiko zu einer invasiven Art zu werden, die sich auf neuen Habitaten breit machen könnte.
Neue Züchtungstechniken wie das Genome Editing (oder auch Gen Editing, da nur jeweils ein Gen verändert wird) ermöglichen es Wissenschaftern, die pflanzeneigene DNA gezielt anzupassen, um die Pflanzen widerstandsfähiger gegen veränderte Umweltbedingungen zu machen. Um dies zu veranschaulichen, veröffentlichte die EU-SAGE heute eine interaktive Datenbank für genom-editierte Nutzpflanzen. Die Datenbank zeigt, wie Genom Editing bei einer Vielzahl von Nutzpflanzen verschiedene Eigenschaften verbessern kann und diese NGT-Pflanzen somit zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft beitragen können. Seit der Entwicklung des mit dem Nobelpreis für Chemie im Jahr 2020 ausgezeichneten Verfahrens CRISPR/Cas und anderen Verfahren der Neuen Gentechnik haben Forscher weltweit Genome Editing in Forschungs- und Züchtungsaktivitäten eingesetzt, um verbesserte Pflanzensorten zu entwickeln. Die Datenbank enthält bisher mehr als 500 Einträge und Verweise auf wissenschaftliche Studien. In Österreich ist NGT nur ein Werkzeug der Grundlagenforschung.