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Gastbeitrag / Johanna Grüblbauer / Donnerstag 10.06.21

Digital Literacy: Navigieren im digitalen Informationsdschungel 

Digital Literacy wird weithin als die Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhundert angesehen. Dennoch kann sie keinesfalls als selbstverständlich vorausgesetzt werden – weder bei den sogenannten Digital Natives noch bei Digital Immigrants. So bemerkt der britische Medienwissenschaftler David Buckingham, dass wir ja auch nicht davon ausgehen, dass Menschen, die mehr Fernsehen schauen oder Zugang zu mehr Fernsehsendern haben, mehr Medienkompetenz haben als diejenigen, die weniger fernsehen.

Der US-Amerikaner Marc Prensky hat vor knapp 20 Jahren die Unterscheidung zwischen Digital Natives und Digital Immigrants eingeführt. Während die nach 1981 geborenen Generationen bereits mit der digitalen Sprache von Computern, Videospielen und dem Internet aufgewachsen sind, sprechen die vorher geborenen Generationen eine veraltete Sprache des vordigitalen Zeitalters. Prensky stellte fest, dass Lehrende diese neue Sprache beherrschen müssen, damit sie die junge Generation erreichen können. Er ermutigte die Lehrenden der Generation ‚Digital Immigrants‘ mit dem bekannten Nike Motto „Just do it!“.

Eine aktuelle Befragung zeigt aber, dass Prenskys Handlungsaufforderung zwar viel zitiert, aber nicht ausreichend umgesetzt wurde. Laut D21-Digital-Index – dem jährlich erhobenen Lagebild zur Digitalen Gesellschaft in Deutschland – hat 2020/21 nur ein Drittel der Befragten Vertrauen in das Schulsystem hinsichtlich seiner Fähigkeit, digitale Kompetenzen zu vermitteln. Auch Lehrende selbst wünschen sich nach den Distanzlehre-Erfahrungen im Corona-Jahr Fortbildung im Umgang mit digitalen Lernformaten.

„Digital Media Literacy“ – Wissen durch Information und Kommunikation über digitale Tools und Medien zu erwerben und zu teilen – müssen sich dennoch beide Gruppen, sowohl Digital Immigrants als auch Digital Natives, aneignen. Während die passive Nutzung und Teilnahme am Unterricht Schüler*innen und Studierende bezogen auf dafür notwendige digitale Skills vergleichsweise wenig herausfordert, setzt die aktive Anwendung von Digital Literacy – etwa selbst Informationen zu recherchieren – deutlich mehr Kompetenz voraus. Notwendig sind dafür laut der Soziologin Kathy Meßmer v.a. Kompetenzen in folgenden Bereichen: Navigieren und Einordnung von Informationen, Beurteilen der Qualität, Fakten und Quellen checken, Mitreden und eigenes Verhalten sowie Wissen über Medien und Verstehen von Zusammenhängen.

Wenn sich heute z. B. Schüler*innen oder Studierende auf Präsentationen oder für Seminararbeiten vorbereiten, steht ihnen eine enorme Vielfalt verfügbarer Quellen per Mausklick zur Verfügung. Bis vor wenigen Jahren war es vorwiegend die Aufgabe von Bibliothekar*innen qualitativ hochwertige Literatur bereitzustellen oder von Medienhäusern, die hier als Gatekeeper fungiert haben. Nun liegt es verstärkt in der Eigenverantwortung der jungen Generation, unter einer Vielzahl von Optionen die vertrauenswürdigen Quellen zu identifizieren und Wege zu kennen, wie man sich hier digital Zugang verschaffen kann. Erschwerend kommt hinzu, dass der Faktor Qualität im Ranking der Google-Ergebnisse nicht auf einer Bewertung durch Expert*innen basiert. Die Qualität von Suchtreffern, Quellen und Inhalten einordnen und einschätzen zu können, setzt folglich eine selbständige Prüfung durch die Nutzer*innen voraus.

Ähnliches gilt für Social Media, die für die junge Generation zunehmend zur bevorzugten Plattform werden. Social Media Nutzer*innen werden abhängig davon, welche Freunde in ihren Netzwerken sind und welchen Medienmarken oder Influencern sie folgen, sehr individuell über neue Ereignisse informiert. Je nach individueller Echo-Kammer halten sich manche via Social Media sehr oberflächlich, einseitig oder sogar extremistisch auf dem Laufenden, andere sehr ausgewogen, tiefgehend, umfassend und vor allem interaktiv. Die Netzwerke per se bieten mannigfaltige Optionen – man muss sie aber entsprechend nutzen können und wollen. Die Empfehlung von Beiträgen durch langjährige Freunde, viele Likes oder zustimmende Kommentare sind leider nicht zwingend hinreichende Indikatoren für die gute Qualität eines Posts.

Voraussetzung für Digital Literacy – sowohl für Digital Natives als auch Digital Immigrants – ist also einerseits organisatorische Kompetenz und die entsprechende Infrastruktur, andererseits die Medien- und Informationskompetenz. Lehrende müssen insbesondere in der Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz unterstützen, um der jungen Generation Instrumente in die Hand zu geben, sich einen Weg durch den wuchernden Informationsdschungel zu bahnen und die blühende Vielfalt an Informationen, die uns dank der Digitalisierung zur Verfügung steht, zum Wohle der Gesellschaft nutzbar zu machen. Wir alle werden hier immer wieder neu um Orientierung ringen, da sich Angebote und Optionen permanent weiterentwickeln. Als Wegweiser will ich uns daher einen Satz in Erinnerung rufen, den Kant schon als guten Tipp für aufgeklärte Geister empfohlen hat: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“. Das sollten uns auch wir Digital Natives, trotz aller Convenience-Verlockungen, zu Herzen nehmen und zur täglichen Routine machen, wenn wir Informationen selektieren.

Kurzportrait

FH-Prof. Dr. Johanna Grüblbauer studierte Publizistik an der Universität Wien und der Universidad Europea in Madrid, sowie Medienmanagement an der Fachhochschule St. Pölten. Sie ist Leiterin des Studiengangs Medienmanagement an der Fachhochschule St. Pölten. Studierende lernen hier Medien- und Wirtschaftswissen mit journalistischen Grundkompetenzen für Print, Radio, TV und Online zu verbinden und vielfältig in Praxisprojekten zu erproben. Grüblbauer ist stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Media Business und forscht im Bereich Media- und Digital Business Management, aktuell zu Instant Messaging, Social Media Monitoring und Nachrichtenagenturen. Seit 2014 ist zudem Lektorin im Studiengang Multimedia Didaktik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

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