Uni-Lehrende im Lockdown – Herausforderung digitale Didaktik
Die Entscheidung im März 2020 an den österreichischen Hochschulen, die Lehre im Zuge des ersten Lockdowns auf online umzustellen, kam für die meisten Lehrenden angesichts steigender Covid-19-Infektions- und Hospitalisierungszahlen nicht überraschend. Eine massive Veränderung war es trotzdem, wie Hochschulwissenschafterinnen gegenüber APA-Science erklärten. Einer Meinung sind sich die Expertinnen auch darin, dass man nach der Pandemie nicht mehr komplett in das alte System zurückkehren wird.
Die Umstellung auf die Online-Lehre folgte jedenfalls sehr rasch und großteils friktionsfrei. Für Lehrende, die im Sommersemester 2020 viele Veranstaltungen zu heben hatten, war das laut Ruth Kutalek, Medizin-Anthropologin am Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien, aber trotzdem eine enorme Aufgabe – „quasi aus dem Stand springen“. Unterschiedliche Schwierigkeitsgrade hätten sich auch daraus ergeben, ob es sich um eine Vorlesung oder eine Lehrveranstaltung mit Aufgaben und gewünschter aktiver Beteiligung der Studierenden gehandelt habe.
An der Veterinärmedizinischen Universität Wien (Vetmed) war man ebenso gut vorbereitet, da bereits eine entsprechende E-Learning-Plattform für die Online-Lehre bestanden hat. „Bei uns wurde also schon vor Corona mit hybriden Unterrichtslösungen gearbeitet“, erklärt Sabina Hammer, Wissenschafterin am Institut für Immunologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Home Office wurde quasi vom ersten Tag des Lockdowns Usus für die Lehrenden. „Im Gegensatz zu vielen anderen Universitäten gibt es an der Vetmed bereits seit vielen Jahren eine Richtlinie zum Home Office, die in dieser außergewöhnlichen Situation ‚weiter aufgemacht wurde‘“, schildert die Molekulargenetikerin weiter.
Die Online-Lehre ist besonders für das Management Center Innsbruck (MCI) nichts Neues. „Das MCI bietet bereits seit 2014 Online-Studiengänge an“, erzählt Claudia Mössenlechner, Leiterin der MCI Learning Solutions, APA-Science. So konnte mit dem Start des reinen Online-Lehrens an auf eine gute Infrastruktur im Sinne der Technik und der Weiterbildung für Lehrende zugegriffen werden.
Fortbildungen allerorten
Trotzdem gab es am MCI viele Lehrende, die erstmals online unterrichten mussten. Dem MCI insgesamt geholfen habe, dass es die Abteilung Learning Solution gebe, die intern die Ausbildung für die Online-Lehre verantworte. „Wir haben von Beginn des Lockdowns an Onlinekurse angeboten, um die Lehrenden in der neuen Situation digital fit zu bekommen. Aber auch wir haben Neues gelernt, besonders was die schnelle Adaption anbelangt“, fasst Mössenlechner zusammen.
„Unsere Online-Programme sind eigentlich im Blended Learning-Format, wo auch Präsenzphasen eingeplant sind. Das war dann plötzlich nicht möglich, viele Lehrende mussten von einem auf den anderen Tag umstellen“, so Mössenlechner weiter. Anfänglich sei auf das klassische Webinar zurückgegriffen worden. Im nächsten Schritt sei man dann in den wichtigen Austausch mit den Studierenden gegangen. „Online-Lehre lebt von Interaktivität“ so die MCI-Wissenschafterin.
Schnelles Hochfahren des Trainingsprogramms
Geschätzt wurde laut Mössenlechner, dass am MCI sehr schnell das Trainingsprogramm, das von „Wie verwende ich verschiedene Lerntechnologien“ bis zu didaktischen Tipps, wie man zum Beispiel Interaktion ankurbeln kann, reicht, hochgefahren wurde.
Ähnlich lief es an der MedUni Wien. „Es gab sehr schnell Fortbildungen, Teaching-Center, Hotlines etc. “, so Kutalek. Natürlich sei es unumgänglich gewesen, sich noch Einiges selbst zu erarbeiten, besonders was den didaktischen Bereich anbelangt habe: „Wie zum Beispiel bereite ich eine Vorlesung vor einem Onlinepublikum auf. Online agiert man einfach anders als vor einem mit Menschen gefüllten Auditorium. Da hat man sich dann Tipps geholt – auch von Kollegen.“
Auch an der VetMed wurden unterschiedlichste Weiterbildungen zugeschnitten auf die Lockdown-Situation („Distance Learning-Tool“, „Resilienz im Home Office“, „Datenschutz in der Heimarbeit“ usw.) zur Verfügung gestellt, bestätigt Hammer.
Didaktisches Vertiefen
Mehr noch als das Technische war für viele Lehrende das didaktische Arbeiten im Onlinebereich ein weitgehend unbearbeitetes Feld. „Online fehlt einfach die unmittelbare Rückmeldung durch einen Blick ins Publikum: ‚Verstehen die Anwesenden, was ich sage, oder nicht‘“, so die Medizin-Anthropologin Kutalek.
Um nicht überfordert zu sein von den Tools für die Online-Lehre, brauche es einmal das Wissen über das Funktionieren der Technologien selbst, besonders, wenn es um die interaktiven Phasen geht, erklärt dazu Regina Obexer, Hochschullektorin Learning Solutions am MCI. Im nächsten Schritt sei eine gute intentionale Planung der Interaktionsstrategien nötig: „Interaktionen müssen gut geplant sein und die Werkzeuge und der Umgang damit bekannt sein.“ So könne man etwa gut mit Umfragen reagieren, um ein Feedback dazu zu bekommen, wie der Inhalt bisher angenommen wurde, was auch Hammer und Kutalek bestätigen.
Etwas zeitaufwändiger kann es mit offenen Fragen werden. „Beantwortet man die Fragen sofort, nimmt man sich am Ende zehn Minuten Zeit oder öffnet ein Diskussions-Forum, um das man sich im Nachgang der Veranstaltung kümmert? Dabei kommt wiederum die Zeitfrage ins Spiel. Das muss bereits im Vorfeld bei der Planung und der Strukturierung geklärt sein“, verweist Obexer erneut auf gute intentionale Planung.
Das MCI wollte bereits im Sommersemester 2020 wissen, wie die MCI-Lehrenden mit dem Fakt umgehen, rein online lehren zu müssen und hat dazu bis Juli 2020 157 Unterrichtspersonen befragt. Die Studie wurde noch nicht publiziert, erste Ergebnisse sind aber bereits aufschlussreich. „Was wir im Zuge unserer Studie gesehen haben, ist ein Bedarf an Professionalisierung im Sinne der Didaktik und Lehre an Hochschulen“, ergänzt Mössenlechner. In Österreich gebe es im Gegensatz zu vielen anderen Ländern keine verpflichtende Ausbildung für die Lehre an Hochschulen und Universitäten. Das basiere immer noch auf Freiwilligkeit. Die Wissenschaftlichkeit stehe im Vordergrund. Mössenlechner meint, man hat aber im Lockdown gesehen, dass Online-Unterricht verknüpft mit sinnhafter Didaktik eine profunde Ausbildung braucht. Das würde zu einer weiteren Professionalisierung der (Online)-Lehre beitragen, ist sie sich sicher.
MCI befragte Lehrende
Laut der – bisher noch unveröffentlichten – Studie „Switching Gears…“ (siehe Factbox am Ende) habe sich trotz des schnellen Umstiegs gezeigt, dass es „ja doch geht“. „Das war der Grundtenor seitens Lehrender, die noch keine Online-Erfahrung hatten. Wir waren jedenfalls positiv überrascht“, erklärt Regina Obexer vom MCI. Als anfängliche Hürde habe sich das Thema Interaktivität herausgestellt: „Wie kann ich trotzdem soziale Nähe herstellen und wie mache ich das am effizientesten?“
Im nächsten Schritt ging es um Lehr- und Lernformate, was laut Obexer detailliert abgefragt wurde. „In der Präsenzlehre kann man von Fall zu Fall spontan aus der ‚Dynamik des Klassenzimmers heraus‘ reagieren, online ist das schon schwieriger. Es wurde klar, es geht um die Intensität der Vorbereitung – sowohl um synchrone als auch asynchrone Phasen, um Lernpakete, die Studierenden in Teams oder auch individuell zu bearbeiten hatten“, resümiert die Studienautorin. Unter den verschiedenen Studiengängen konnten laut der Erhebung außerdem kaum Unterschiede festgestellt werden.
Präsenz in der Praxis unumgänglich
„An einer veterinärmedizinischen Universität ist Präsenzlehre an Kliniken und in Laboren unumgänglich, was in einem Lockdown schwierig handzuhaben ist. Die Studienpläne wurden im Eiltempo umgestellt, und alles, was nicht Präsenz braucht, wurde vorgezogen, damit Vorlesungen und sämtliche konverse Seminare zuerst abgearbeitet werden konnten. Das war logistisch eine große Herausforderung – nicht nur für Studierende, auch die Stundenkalender der Lehrenden haben sich komplett geändert“, so Hammer: „Da hat es dann doch etwas ‚geruckelt‘, bis das alles aus dem Home Office heraus organisiert war.“ So seien so viele Präsenzveranstaltungen wie möglich in die Semesterferien gelegt worden. Für Studierende an der VetMed aber keine Novität, da sie Trainings an den Kliniken auch in „Routinezeiten“ in den Ferien absolvieren.
„Eine Frage, die uns bald beschäftigt hat, war, inwieweit verlieren wir durch die Distanz Studierende, wie können wir sie bei der Sache halten?“, erzählte Hammer. Das habe an der VetMed ganz gut funktioniert, wenn man die Zahlen der prüfungsaktiven Studierenden heranzieht. „Da konnten wir die vom Ministerium vorgegebenen Werte weitgehend erfüllen“, so die Wissenschafterin.
Positive Erfahrungen
Insgesamt war und ist es für die Medizin-Anthropologin Kutalek eine interessante, positive Erfahrung. Man könne mit den Online-Tools Unterschiedlichstes machen, was sie ergänzend zum klassischen Unterrichten als wertvoll einstuft. Bei manchen Formaten hat sie den Eindruck, dass es besser funktioniert, schon alleine dadurch, dass Personen teilnehmen können, die nicht die Möglichkeit haben physisch präsent sein zu können.
Die Universitätsprofessorin ortet teilweise eine höhere Bereitschaft unter den Studierenden, an Online-Veranstaltungen als an Präsenz-Events mitzuwirken. So falle zum Beispiel der Faktor „Weg-Zeit“ nicht mehr ins Gewicht. Außerdem würden mittlerweile die verschiedensten digitalen Formate bis hin zu Prüfungen zur Verfügung stehen, die man nur noch für das jeweilige Semester adaptieren müsse.
Was bleibt – ein Fazit
Mittlerweile sei der Online-Unterricht Routine, erklärt Sabine Hammer von der VetMed. Für die Zukunft, für die „Nach-Corona-Zeit“ müsse evaluiert werden, „was macht Sinn aus dem Online-Setting beizubehalten“. Man müsse sich genau anschauen, „was die Inhalte, was die Learning-Outcomes sind und was die Studierenden letztlich mitnehmen sollen“. Bei Praktika zum Beispiel werde „Hands-on“ nie komplett virtuell ersetzbar sein.
Aber es gebe genug, das man beibehalten könne, spricht Hammer hybride Lösungen an. Das werde künftig ein großes Thema – nicht nur an der VetMed – sein. Konkret kann man sich auch vorstellen, Hörsäle digital umzurüsten. Nichtsdestotrotz brauche des die physische Anwesenheit an der Universität. Besonders für Studienanfängerinnen und -anfänger sei es wichtig, einmal die Mitstudierenden und den Campus kennenzulernen. „Das Soziale, das Miteinander fehlt einfach. Das kann die digitale Welt nicht ersetzen“, so die Wissenschafterin.
Für die Zukunft kann sich Ruth Kutalek von der MedUni eine Mischform vorstellen. Gleichzeitig meint sie, dass manche Studierenden unter der Situation leiden. Das bezieht sie weniger auf die Lehre selbst, sondern auf den sozialen Austausch, der unter den Studierenden selbst kaum mehr in der realen Welt der Hochschulen stattfinde. „Da geht Zwischenmenschliches verloren, was aber für Mediziner und Gesundheitswissenschafter aber auch für den Mensch selbst essenziell ist.“ Es würden wohl einige profitieren von dieser Situation, für die Mehrheit sei es wahrscheinlich egal, aber dass es Verlierer gebe, sei wohl unstrittig, meint die Universitätsprofessorin. Das bestätigt wohl eine im April vorgelegte Befragung unter 4.700 Erstsemestrigen an steirischen Universitäten, wo immerhin 16 Prozent angaben, sich – vor allem technisch – überfordert zu fühlen.
„Auch nach der Pandemie werden wir nicht komplett auf das alte System zurückstellen“, spricht Claudia Mössenlechner vom MCI die Zeit nach Covid-19 an. Die Online-Lehre biete Vieles, was Studierende suchen. „Wir glauben auch, dass sich Hochschulen bei der Studienarchitekur (Online-Lehre geblockt z.B.) künftig in eine flexiblere Richtung entwickeln werden“, so die Professorin. Online-Elemente würden dann zu „business as usual“ werden. Wie das konkret aussehen werde, sei von den Charakteristika der jeweiligen Studien- und Lehrgängen abhängig.
„Switching Gears: Online Teaching in Higher Education in the First Wave of the COVID-19 Pandemic.” – Claudia Mössenlechner, Hochschullektorin Learning Solutions; Maria Pammer, Leiterin Department & Studiengänge Betriebswirtschaft Online; Julia Waldegger, Wissenschaftliche Assistenz & Projektmanagement Department; Regina Obexer, Hochschullektorin Learning Solution.
Anm.: Die Studie wurde noch nicht publiziert