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Gastbeitrag / Andreas Heissenberger / Montag 13.11.23

Neue Genomische Techniken – (k)ein Risiko für Mensch und Umwelt?

Neue Genomische Techniken erlauben viel präzisere Eingriffe in das Erbgut von Tieren und Pflanzen, als dies mit „konventioneller“ Gentechnik möglich ist. Die Genauigkeit der Änderung bedeutet aber nicht unbedingt ein geringeres Risiko durch die resultierenden Organismen. Viele Faktoren, vor allem die Eigenschaften, die durch die genetische Veränderung hervorgerufen werden, sind hier zu berücksichtigen.
Copyright: William Tadros Andreas Heissenberger, Leiter des Teams Landnutzung und Biologische Sicherheit im Umweltbundesamt

Produkte, die mithilfe Neuer Genomischer Techniken (NGT) erzeugt wurden, gelten derzeit als gentechnisch veränderte Organismen, und unterliegen daher nach geltendem EU-Recht einer strengen Risikobewertung. Diese Risikobewertung muss vor der Vermarktung der Produkte erfolgen und umfasst die wissenschaftliche Prüfung möglicher negativer Auswirkungen dieser Organismen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt. Diese Voraussetzung soll nun nach einem Vorschlag der Europäischen Kommission für viele NGT-Produkte aufgehoben werden. Dies wird mit der viel höheren Genauigkeit der Erbgut-Veränderungen begründet.

Daneben wird das Argument, dass die angewandten Verfahren, wie z.B. CRISPR/Cas, nur die traditionelle Züchtung beschleunigen würden, ins Treffen geführt. Die resultierenden Organismen seien daher mit solchen aus traditioneller Züchtung gleichzusetzen. Diese Argumente werden aber auch heftig kritisiert: Durch den relativ kurzen Zeitraum, in dem diese NGT angewendet werden, gibt es nicht ausreichend Daten, um die Sicherheit der Produkte garantieren zu können. Auch die Fokussierung der Diskussion auf die Technologie selbst unter Vernachlässigung der Eigenschaften der Organismen, die durch die Veränderungen hervorgerufen werden können, ist zu hinterfragen. Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Sicherheit von Mensch und Umwelt bei der Anwendung jeder neuen Technologie, und daher auch der NGT, oberste Priorität haben muss. Eine Aufhebung der Verpflichtung zur Risikobewertung muss daher gut überlegt werden.

Neue Möglichkeiten – neue Risiken

Durch NGT kann eine Vielzahl von verschiedenen Veränderungen im Erbgut vorgenommen werden – von Punktmutationen (der Veränderung eines einzigen Bausteins der DNA) bis hin zum gleichzeitigen Einbringen mehrerer Gene. Dabei können auch Änderungen in sogenannten „konservativen“ oder geschützten Teilen des Erbguts vorgenommen werden – Teile, die durch traditionelle Züchtungsmethoden praktisch nicht und durch „konventionelle“ Gentechnik nur schwer zugänglich sind. Dadurch kann es zu Effekten kommen, die bisher nur unzureichend untersucht sind bzw. zu denen es keine Erfahrungswerte gibt. Die Datenlage zur Genauigkeit der Änderung ist derzeit mangelhaft. Obwohl in einigen Publikationen das Vorhandensein nicht erwünschter Veränderungen im Erbgut nachgewiesen wurde, fehlt eine systematische Untersuchung der Ursachen und Wirkungen solcher Veränderungen bisher weitgehend. Diese Wirkungen können mit Risiken verbunden sein, die vor der Vermarktung geprüft und bewertet werden sollten.

Mögliche Risiken haben aber nicht nur technologische Ursachen. Das Risiko, das von der Anwendung eines NGT-Produkts, z.B. einer Nutzpflanze, ausgeht, hängt in viel stärkerem Maß von den Eigenschaften dieses Produkts ab. Die derzeit auf EU-Ebene diskutierte Neuregelung der NGT wird auch damit begründet, dass diese einen wesentlichen Beitrag zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft und damit zur Erreichung der Ziele des Green Deals beitragen werden. Dieses Versprechen der Nachhaltigkeit, z.B. dass mithilfe von NGT entwickelte Nutzpflanzen besser gegen Trockenheit oder Hitze geschützt sein werden oder dass sie gegen Schädlinge resistent sind, und damit weniger Pestizide eingesetzt werden müssen, muss aus verschiedenen Gründen hinterfragt werden.

Zum einen können durch diese Eigenschaften Effekte auftreten, die aus Umweltsicht bedenklich sind. Wird zum Beispiel eine Pflanze trockenresistent gemacht, das heißt sie benötigt weniger Wasser, um den gleichen Ertrag zu erbringen, hat das auf den ersten Blick eine positive Umweltwirkung, nämlich einen geringeren Wasserfußabdruck. Allerdings könnte eine Pflanze mit diesen Eigenschaften verwildern und sich in Lebensräumen, z.B. Trockenrasen, ausbreiten, in denen sie bisher nicht wachsen konnte. Damit können diese Ökosysteme und damit die Biodiversität in diesen Systemen, empfindlich gestört werden. Ähnliches gilt für andere „klimafitte“ Nutzpflanzen, die z.B. Kälte, versalzte Böden oder Hitze besser vertragen als traditionell gezüchtete und damit in Lebensräume vordringen können, in denen sie bisher nicht überleben konnten.

Zum anderen erfordern viele dieser Eigenschaften komplexe Veränderungen des Organismus, die bisher auch mit NGT nur schwer umsetzbar sind. Daher gibt es bisher keine oder nur sehr wenige Produkte, die in nächster Zeit Marktreife erlangen werden und die aufgrund ihrer positiven Wirkungen auf die Umwelt möglicherweise eine abgeschwächte Risikobewertung rechtfertigen würden.

Verpflichtende Risikobewertung

Dass NGT viel präzisere Änderungen im Erbgut ermöglicht als „konventionelle“ Gentechnik, steht außer Zweifel. Grundsätzlich ist aber jede neue Technologie auch mit Risiken behaftet. Bisher wurde bei der Finanzierung der NGT-Forschung das Hauptaugenmerk auf Grundlagenforschung und Produktentwicklung gelegt. Das Budget der EU-Mitgliedstaaten für Sicherheitsforschung beläuft sich im Gegensatz dazu lediglich auf 1,6 Prozent der für NGT-Forschung verfügbaren Mittel. Der damit verbundene Mangel an sicherheitsrelevanten Daten lässt keinen allgemein gültigen Schluss über die Sicherheit von NGT-Produkten zu.

Da die jeweilige Eigenschaft der NGT-Pflanze ein wesentlicher Faktor für die Sicherheit ist, ist eine Bewertung des Risikos nur fallspezifisch möglich. Ein Freibrief für eine gesamte Technologie, ohne dabei die Ergebnisse ihrer Anwendung in Betracht zu ziehen, entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage. Daher ist es unabdingbar, vor der Marktzulassung von NGT-Pflanzen eine verpflichtende Risikoprüfung nach dem Fall-zu-Fall-Prinzip durchzuführen.

Kurzportrait

Dr. Andreas Heissenberger, MA, ist Leiter des Teams Landnutzung & Biologische Sicherheit im Umweltbundesamt. Er setzt sich seit 1996 mit verschiedenen Aspekten der Gentechnik auseinander. Seine Arbeitsschwerpunkte umfassen dabei regulatorische Aspekte auf nationaler und internationaler Ebene, Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit sowie wissenschaftliche Grundlagen zur Weiterentwicklung der Risikobewertung von gentechnisch veränderten Organismen. Er ist Ko-Autor zahlreicher Studien zu diesem Thema. Seit 2016 ist er Mitglied des Überwachungsgremiums des UN Cartagena Protokolls über die Biologische Sicherheit und nimmt als österreichischer Delegierter an den Verhandlungen zur Neuregulierung von Neuen Genomischen Techniken auf EU-Ebene teil.

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