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Bekämpfung von Angstzuständen, Burnout und Depressionen am Arbeitsplatz

Aus dem EU-Magazin Horizon / Content-Partnerschaft

Europäische Forscher entwickeln Online-Tools, die kleinen und mittleren Unternehmen helfen sollen, die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu verbessern.

EU-Magazin Horizon

von Andrew Dunne

Credit: APA/HANS KLAUS TECHT

Wenn Sie eine Person, die in einem kleinen Unternehmen arbeitet, danach fragen, wie alles läuft, könnte Ihre Frage eine durchmischte Antwort hervorrufen. Einerseits kann die Arbeit in einer kleinen Organisation angenehm, spannend und kreativ sein. Andererseits ist sie oftmals einsam, hektisch und stressig.

Für Ella Arensman liegt es in der Natur kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) – unabhängig von der Branche – dass ihre Mitarbeiter anfällig sind, wenn es um ihr psychologisches und emotionales Wohlbefinden geht. Im Gegensatz zu größeren Unternehmen fehlt es KMUs oft an spezieller Unterstützung in diesem Bereich.

Kleine Firmen, große Prüfungen 

Arensman ist Professorin für öffentliche psychische Gesundheit am University College Cork in Irland und Koordinatorin des von der EU finanzierten MENTUPP-Projekts, das 2020 begann und noch bis Ende dieses Jahres läuft. Mit Partnern aus ganz Europa ist die Initiative wegweisend für einen neuen Ansatz, um den KMU bei der Bewältigung von Problemen mit der psychischen Gesundheit ihrer Mitarbeiter, einschließlich Depressionen, zu helfen.

„Wir hoffen, dass MENTUPP Menschen bei ihrer psychischen Gesundheit unterstützen kann“, sagt Arensman. „Damit kann das Fortschreiten der Depression möglicherweise rückgängig gemacht werden.“

In der EU gibt es rund 23 Millionen KMU, d. h. Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. Euro. Von Bauunternehmen und Spediteuren bis hin zu Cafés und Friseuren machen sie mehr als 90 % der EU-Unternehmen aus.

Vier Jahrzehnte lang hat Arensman die internationale Arbeit über Selbstverletzung, Selbstmord, Depression, Angstzustände, Drogenmissbrauch und die Stigmatisierung der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz geleitet.

Sie beobachtet eine steigende Tendenz bei solchen Herausforderungen, denen sich Arbeitnehmer stellen müssen, mit schwerwiegenden Folgen für den Einzelnen selbst und für die Gesellschaft insgesamt.

Depressionen und Angstzustände sind heute die am weitesten verbreiteten psychologischen und emotionalen Probleme am Arbeitsplatz. Einer von fünf Arbeitnehmern berichtet über eine schlechte psychische Verfassung.

Das Problem hat sich durch die COVID-19-Pandemie, die 2020 ausbrach, nur noch verschärft. Hinzu kommt die durch die hohe Inflation verursachte Lebenshaltungskostenkrise. Das Ergebnis ist ein wahrer Wirbelsturm für die psychische Gesundheit.

Die Folgekosten für die Wirtschaft durch Produktivitätsverluste und Fehlzeiten sind erschütternd. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation gehen jedes Jahr 1 Billion Dollar (etwa 940 Milliarden Euro) an Produktivität am Arbeitsplatz durch Depressionen und Angstzustände verloren.

Vor diesem Hintergrund konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf EU-Ebene nun auf die Intervention, bei der MENTUPP eine Rolle spielen kann.

Drei anfällige Sektoren

Das Projekt bietet eine kostenlose Online-Ressource für KMU-Mitarbeiter. Ziel ist es, eine Lücke bei der Unterstützung des Wohlbefindens in drei Sektoren zu schließen, in denen Arbeitnehmer als besonders gefährdet gelten: Bauwesen, Gesundheitswesen und Informationstechnologie.

2019 veröffentlichte Arensman eine Studie über arbeitsbezogene Risikofaktoren im Zusammenhang mit Selbstmord. Seitdem sieht sie es als ihre Aufgabe an, die Unterstützung zu verbessern.

„Mir wurde klar, dass wir viel mehr im Vorfeld tun müssen, bevor Menschen in diese suizidalen Krisen geraten“, erklärt Arensman.

Das MENTUPP-Team lässt sich von einem Programm zur Suizidprävention inspirieren, das zuerst in Australien entwickelt wurde, um Bauarbeitern zu helfen, offen über Ängste, Depressionen und Selbstmordgedanken zu sprechen.

In den letzten zehn Jahren hat „Mates in Construction“ (MIC) die Stigmatisierung der psychischen Gesundheit in Frage gestellt und das Bewusstsein für Techniken zur Förderung des Wohlbefindens in einem traditionell von Männern dominierten Sektor geschärft, in dem solche Gespräche nur schwer zu führen sind.

Arensman bezeichnet ihre Arbeit als „außergewöhnlich“, da sie Barrieren abbaut und die Zahl der Arbeitnehmer, die Unterstützung erhalten, erhöht.

Ein Bericht des MIC und der Universität Melbourne aus dem Jahr 2020 ergab, dass die Selbstmordrate unter Bauarbeitern in ganz Australien seit der Einführung des „Mates“-Programms um fast 8 % gesunken ist und sich damit dem männlichen Durchschnitt in vielen australischen Bundesstaaten angenähert hat.

Arensman testet jetzt das eigene Online-Supportsystem von MENTUPP. Hier finden Sie Hunderte von evidenzbasierten Materialien, die von Vorschlägen zur Entstigmatisierung über Gespräche zur psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz bis zur Steigerung des Wohlbefindens des Personals von kleinen und mittleren Unternehmen reichen.

Maßgeschneiderte Empfehlungen

Im spanischen Barcelona hat Dr. Beatriz Olaya ähnliche Probleme für die psychische Gesundheit von KMU-Personal diagnostiziert.

„Als wir in diese kleinen Firmen gingen, stellten wir fest, dass es einfach einen riesigen Bedarf gab“, sagte Olaya, ein klinischer Psychologe. „Die Menschen brauchen psychologische Unterstützung und wissen oftmals nicht, wie sie diese bekommen können.“

Sie koordiniert ein von der EU finanziertes Projekt namens EMPOWER, das sich mit ähnlichen Themen wie MENTUPP befasst und ebenfalls im Jahr 2020 begann. EMPOWER ist eine eHealth-Plattform, die bis Mitte 2024 läuft und außerdem eine Website, eine App, ein Online-Video und Textressourcen umfasst.

Nach der Registrierung auf der Website oder in der App füllt eine Person eine Reihe von Fragebögen aus, die dem Projektteam helfen, Einzelheiten über das aktuelle Stressniveau, Depressionen, Angstzustände, Schlaf und psychosoziale Risikofaktoren zu ermitteln.

Darauf basierend erstellt das EMPOWER-System eine Reihe von maßgeschneiderten Empfehlungen, die den Personen helfen, sich besser zu fühlen. Es gibt auch Unterstützung für diejenigen, die aufgrund von psychischen Problemen krankgeschrieben sind.

Bei der täglichen Anmeldung wird der Benutzer aufgefordert, anzugeben, wie er sich fühlt, bevor er durch psychologische Techniken geführt wird, die ihm helfen, die Stimmung zu heben oder ihn auf dem richtigen Weg zu halten. Dazu gehören Atem- und Entspannungsübungen sowie tägliche Zielsetzungsaufgaben zur Steigerung der Motivation, die beliebt sind.

„Wenn Sie sich entschließen, zweimal pro Woche zu laufen, erinnert Sie die App daran und belohnt Sie, indem sie diese neue Gewohnheit zur Verbesserung Ihrer Stimmung einführt“, so Olaya.

Einige der Empfehlungen basieren auf der kognitiven Verhaltenstherapie, die Fähigkeiten zur Bewältigung von Schwierigkeiten vermittelt, indem sie sich darauf konzentriert, wie Gedanken, Überzeugungen und Einstellungen Gefühle und Handlungen beeinflussen.

Olaya und das Team haben EMPOWER mit Unternehmen in Finnland, Polen, Spanien und Großbritannien entwickelt. Mehrsprachige Versionen der App werden derzeit mit mehr als 600 Personen in den vier Ländern getestet.

„Wir wollen zeigen, dass es sowohl kostengünstig als auch effektiv ist“, sagt Olaya.

Hoffnungsvolle Zeichen

Im Fall von MENTUPP umfasst das Support-System auch eine App. Das gesamte Paket wird noch getestet. Die Ergebnisse werden im Laufe des Jahres erwartet.

Arensman geht davon aus, dass weitere Verbesserungen und Verfeinerungen vorgenommen werden müssen, bevor das System in größerem Umfang eingesetzt werden kann. Als erstes positives Zeichen erinnerte sie daran, wie ein kleines irisches Bauunternehmen, das das Paket genutzt hat, das psychische Wohlbefinden eines seiner Mitarbeiter besser unterstützen konnte.

„Sie berichteten uns, dass sie die Warnzeichen nicht erkannt hätten, wenn sie nicht über diese Ressourcen verfügt hätten“, so Arensman. „Mit diesen Ressourcen konnten sie besser erkennen, was vor sich ging, und daraufhin eingreifen.“

Die Rückmeldungen von anderen Nutzern in den Partnerländern von MENTUPP waren ähnlich ermutigend. Arensman hofft, dass sich das Projekt letztendlich als ebenso effektiv erweisen wird wie „Mates“ in Australien, um Selbstverletzungen und Selbstmord zu reduzieren und die Arbeitszufriedenheit und Produktivität zu steigern.

„Wir sind noch nicht so weit, aber wir hoffen, dass wir sehr bald so weit sein werden“, sagte sie.

APA-Science Content-Kooperation mit Horizon

Dieser Artikel wurde erstmals in Horizon, dem EU-Magazin für Forschung und Innovation, veröffentlicht.