1 Jahr Fernunterricht! Erkenntnisse zur Entwicklung der Lage aus Sicht der Eltern
Seit März 2020 kam es in Österreich aufgrund der Corona-Pandemie zur wiederholten Schließung der Schulen. Dies stellte viele Eltern und ihre schulpflichtigen Kinder vor neue Herausforderungen. Eine für Österreich repräsentative Elternbefragung der Abteilung für Bildungsforschung an der Linz School of Education der Johannes Kepler Universität gibt nun Aufschluss über die Entwicklung der Lage.
Zunahme der psychischen Belastung
Die Belastung von Eltern schulpflichtiger Kinder ist während des letzten Jahres deutlich gestiegen. Beinahe jeder zweite befragte Elternteil (46 Prozent) berichtete während des Lockdowns im Jänner 2021 davon, am Limit zu sein. Die Eltern nahmen die Schließung der Schulen sowohl für sich selbst (47 Prozent) als auch für den*die Partner*in (36 Prozent) bzw. für ihr jüngstes schulpflichtiges Kind (45 Prozent) als große psychische Belastung wahr.
Eine Vergleichsstudie zum Lockdown Anfang 2021 in Deutschland (Wößmann et al., 2021) kommt zu einem ähnlichen Urteil: Rund die Hälfte der Eltern (52 Prozent) gaben an, stark belastet zu sein. Ein ebenso hoher Anteil (49 Prozent) gab an, dass ihre Kinder stark belastet sind. In der Befragung zum Lockdown im Frühjahr 2020 in Deutschland (Wößmann et al., 2020) war der Anteil an Eltern, die für sich und für ihre Kinder von großer psychischer Belastung berichteten, mit jeweils rund einem Drittel (38 Prozent) noch deutlich geringer.
Die Befragung der Eltern aus Österreich zeigt darüber hinaus einen Zusammenhang zwischen dem Alter der Kinder und der erlebten Belastung. Je älter das jüngste Schulkind ist, desto seltener empfanden Eltern die Situation der Schulschließungen für sich bzw. ihre Familie als belastend. Zwischen Eltern mit bzw. ohne akademischen Abschluss zeigte sich diesbezüglich kein Unterschied. Eltern von leistungsschwächeren Kindern erleben die Schulschließungen häufiger stark belastend.
Herausforderungen aus Sicht der Eltern
Die Lernbegleitung (Motivation, Anleitung, Erklärung) und Lernkontrolle während der Schulschließungen stellten für mehr als die Hälfte der befragten Eltern (57 Prozent) eine besondere Herausforderung dar. Darüber hinaus stellten das fehlende Schulwissen und die fehlende Zeit mehr als ein Drittel der Eltern (29 Prozent bzw. 48 Prozent) vor große Probleme. Es zeigt sich, dass vor allem Eltern von jüngeren Schulkindern, sowie Eltern von leistungsschwächeren Kindern und Eltern ohne akademischen Bildungsabschluss deutlich häufiger von diesen Herausforderungen berichteten.
Im Hinblick auf ihre Kinder nahmen Eltern vor allem den fehlenden sozialen Kontakt zu Gleichaltrigen (80 Prozent), das selbstständige Lernen (51 Prozent) und die Beibehaltung eines geregelten Tagesablaufs (46 Prozent) als herausfordernd wahr. Dem stimmten mehr Eltern von jüngeren Kindern zu, während die Eltern von älteren Kindern eher das frühe Aufstehen oder die fehlende elterliche Hilfe bei den schulischen Aufgaben als Herausforderungen für ihre Kinder wahrnahmen.
Zunahme schulischer Aktivitäten zuhause
Laut Angaben der Eltern verbrachten ihre Kinder im Lockdown Anfang 2021 durchschnittlich rund vier Stunden täglich mit Lernen zuhause. Verglichen mit der Befragung aus Deutschland zum Lockdown im Frühjahr 2020 entspricht das einem Anstieg von etwa einer Stunde täglich. Allerdings reduzierte sich die Anzahl der Stunden, die schulpflichtige Kinder in Österreich für den Schulbesuch UND das Lernen zuhause täglich aufwenden, laut Elternangaben von beinahe acht Stunden täglich vor dem Lockdown auf sechs Stunden täglich während des Lockdowns. Dabei werden für den Schulbesuch im Durchschnitt etwa zweieinhalb Stunden täglich aufgewandt.
Lernerfolg und Lernmotivation
Mehr als die Hälfte der Eltern (58 Prozent) berichtete, dass ihr Kind während der Schulschließungen Anfang 2021 deutlicher weniger dazugelernt hat als im normalen Unterricht vor der Pandemie. Auch im Hinblick auf die fehlende Motivation der Schulkinder während des Fernunterrichts zeigt sich ein ähnliches Bild. Fasst die Hälft der Eltern (47 Prozent) gab an, dass ihr Kind während der Schließung der Schulen ungern lernt.
Dabei lassen sich kaum Unterschiede zwischen den Schultypen festmachen, wohingegen Eltern von leistungsschwächeren Kindern deutlich seltener von Lernerfolgen und Lernmotivation während des Fernunterrichts berichteten.
Zunahme digitaler Tools
Ein Blick auf die Art der Bereitstellung von Lernaufgaben während des Fernunterrichts zeigt, dass digitale Lernplattformen traditionellere Übermittlungswege wie das E-Mail als das am häufigsten eingesetzte Tool abgelöst haben. Zwei Drittel der Eltern (63 Prozent) berichteten vom Einsatz digitaler Lernplattformen zur Übermittlung von Lernmaterialien, während nur vier von zehn Eltern (38 Prozent) den Einsatz von E-Mails wahrgenommen haben. In einer deutschen Vergleichsstudie zum Lockdown im Frühjahr 2020 nahmen digitale Lernplattformen noch den zweiten Platz hinter anderen Tools, wie E-Mail oder WhatsApp, ein.
Wenig gemeinsamer Unterricht mit der ganzen Klasse
Während in Volksschulen die Bereitstellung von Aufgaben in Papierform überwog, kamen vor allem ältere Schüler*innen in den Genuss synchroner digitaler Lehre. Dennoch hatte knapp ein Drittel (31 Prozent) aller Schüler*innen nie oder weniger als einmal pro Woche gemeinsamen Unterricht mit der ganzen Klasse (z.B. per Videokonferenz). Eltern von Volksschulkindern gaben sogar mehrheitlich (51 Prozent) an, dass ihr Kind keinen gemeinsamen Unterricht hatte.
Schulschließung als richtige Maßnahme
Die für Österreich repräsentative Elternbefragung zum Lockdown Anfang 2021 zeigt darüber hinaus, dass lediglich ein Drittel aller Eltern (35 Prozent) die Schließung der Schulen als richtige Maßnahme empfand. Im Lockdown im Frühjahr 2020 waren in Deutschland noch rund 80 Prozent der befragten Eltern von der Schließung der Schulen überzeugt. Je älter die Kinder der in Österreich befragten Eltern, desto eher stimmten die Eltern dieser Aussage zu. Eltern ohne akademischen Abschluss und Eltern von leistungsschwächeren Kindern nahmen die Schul-Lockdowns deutlich seltener als richtige Maßnahme wahr.
Kurzportrait
Christoph Helm ist Professor für Pädagogik an der Linz School of Education der Johannes Kepler Universität. Er hat die Venia im Fach Bildungsforschung. Seine Forschungsschwerpunkte liegen u.a. im Bereich „Covid-19 und Bildung“ und in der Schul- und Unterrichtsqualitätsforschung.
Alexandra Postlbauer studierte Wirtschaftspädagogik und arbeitet aktuell an Ihrer Dissertation an der Abteilung für Bildungsforschung an der Linz School of Education der Johannes Kepler Universität.
Nähere Informationen finden Sie unter: https://www.jku.at/linz-school-of-education