Abwasser als zukünftige erneuerbare Energiequelle für die Dekarbonisierung der Energie- und Wärmeversorgung
Die Notwendigkeit der Abkehr von fossilen Brennstoffen wird uns aktuell nicht alleine durch den Klimawandel, sondern auch durch geo- und energiepolitische Entwicklungen bewusst gemacht. Eine rasche und vollständige Dekarbonisierung des Wärmesektors und der Schritt hin zu 100% Erneuerbaren stellt dabei eine große Herausforderung dar.
Um den erneuerbaren Anteil in der Fernwärmeversorgung von aktuell rund 50% rasch zu erhöhen, müssen nachhaltige Wärmequellen – nach Möglichkeit lokalen/regionalen Ursprungs – integriert werden. Neue technische Konzepte sind dafür zu entwickeln und zu demonstrieren, um sie dann zur Marktreife zu bringen. Hier bietet die dezentrale Nutzung der Abwärme im Abwasser in urbanen Gebieten mit hoher Dichte an Verbrauchern und damit hohen Wärmebedarf sehr gute Möglichkeiten, eine neue und bis jetzt vielfach ungenutzte Wärmequelle zu erschließen.
Abwasser als Wärmequelle
Die Abwärmenutzung aus Abwasser ist aufgrund der ganzjährigen Verfügbarkeit sowie deren Tagescharakteristik (Morgen- und Abendspitze ähnlich des Wärmeverbrauchs) eine vielversprechende Wärmequelle (Temperatur Abwasser: rund 8 – 20 °C je nach Jahreszeit). Diese kann für bestehende oder neu zu errichtende Wärmenetze, für die Heizung und Kühlung von Gebäuden und Quartieren sowie Industriearealen genutzt werden. Die Nutzung dieses Potentials in Kombination mit speziellem Wärmetauscher und Wärmepumpenlösungen stellt eine neue und innovative Form der Wärmerückgewinnung dar. Lösungen für Kühlanwendungen werden in zukünftigen Energieszenarien immer wichtiger und können durch die Abwärmenutzung aus Abwasser ebenfalls realisiert werden. Im Zuge des Leitprojektes ThermaFLEX[1] wurden detaillierte Konzepte zur Abwärmenutzung aus unterschiedlichen Abwasserquellen, wie z.B. direkt aus dem Kanal als auch nach der Kläranlage entwickelt.
Nutzung des Abwassers für die Wärmeversorgung im urbanen Bereich
Das Konzept wurde speziell darauf ausgelegt, das bestehende Abwärmepotential aus dem Kanal in das Fernwärmesystem zu integrieren und basiert auf der Entnahme des Abwassers direkt aus dem Kanal und nachfolgender Wärmeübertragung durch Wärmetauscher. Dabei wird das Abwasser dem Kanal in einem Entnahmeschacht über eine Bypass-Lösung entnommen und dient zur Überwachung und Sicherstellung der Reinigung und Wartung im Kanal. Die nachfolgenden Einheiten umfassen eine integrierte Siebtechnik zur Abwasserreinigung und ein entsprechendes Speichersystem zum Ausgleich von Schwankungen. Anschließend wird dem gereinigten Abwasser mittels Wärmetauscher (z.B. Edelstahlrohrbündelwärmetauscher) die Abwärme entzogen. In einem weiteren Schritt heben Wärmepumpen das Temperaturniveau auf das notwendige Niveau zur Einspeisung in das bestehende Wärmenetz (Vorlauftemperaturen zwischen 65 und 90 °C) der Stadt Wien.
Nutzung des Abwassers für die Wärme- und Kälteversorgung einer Unternehmenszentrale
Die energetische Nutzung des Abwassers zum Heizen und Kühlen der neuen Unternehmenszentrale von Wien Kanal in Wien-Blumental wurde durch eine Kombination aus Wärmetauscher- und Wärmepumpensystemen mit intelligentem Monitoring entwickelt und Ende 2021 realisiert. Nach einer detaillierten Analyse der Abwasserkonditionen und Kanalkonfiguration wurden die einzusetzenden Wärmetauscherelemente hinsichtlich der Anforderungen an die jeweiligen Energiemengen spezifiziert. Die auf die vorherrschenden Bedingungen vorkonfigurierten Wärmetauscherelemente wurden direkt in den bestehenden Abwasserkanalstrang über eine Länge von rund 80 Metern integriert. Dadurch wird die nachhaltige Wärme- und Kälteversorgung sichergestellt. Die zu erfüllenden Anforderungen sind die Bereitstellung von maximal 450 kW für Heizung und Warmwasseraufbereitung sowie maximal 500 kW für die Kühlung.
Ein zentrales Element hierbei war die Entwicklung eines innovativen Monitoring- und Steuerungskonzeptes, welches in dieser Form erstmals in Österreich im Einsatz ist. Es wurde umfangreiche Sensorik und Messtechnik installiert, um die Temperaturen vor und nach den Wärmetauschern, die Füllstände im Kanal, die Druckverhältnisse in den Leitungen sowie die Durchflussmengen zu erfassen. Über das Monitoringsystem erfolgt einerseits die Kontrolle des laufenden Betriebes, andererseits wird damit der Einfluss auf den Kanalbetrieb (Temperaturänderungen, Hydraulik, Füllstand) beobachtet und analysiert.
Sektorkopplung der Kläranlage mit der Fernwärme
Die Sektorkopplung der Fernwärme mit der Kläranlage wurde als wesentliches Element bei der strategischen Entwicklungsplanung des Wärmenetzes der Stadt Gleisdorf identifiziert und stellt die Startmaßnahme für die Implementierung eines „Energy Hub“ am Standort der Kläranlage dar. Das Konzept liefert in der ersten Ausbaustufe ab Sommer 2022 rund 4.000 MWh thermische Energie aus dem gereinigten Kläranlagenabwasser (Wärmequelle für eine Wärmepumpe) und aus dem vorhandenen Biogas, welches zukünftig ebenso vollständig für die Wärmeversorgung genutzt wird. Dies hat einen wichtigen positiven Effekt im Hinblick auf eine effiziente Ressourcennutzung und Kreislaufwirtschaft, da das Abfackeln von Biogas (Überschuss) vermieden wird. Durch diese Einbindung werden rund 1.000 to CO2 jährlich eingespart. Das neue Wärmesystem der Stadt Gleisdorf basiert zukünftig weitgehend auf erneuerbaren Energiequellen aus Biomasse, Solarthermie, Abwärme aus Abwasser und Biogas.
Ausblick und Multiplikationspotential
In Österreich gibt es mehrere tausend Kanalisationseinheiten sowie hunderte Kläranlagen in unterschiedlicher Größe mit nutzbaren Abwasserpotentialen. Dadurch ergibt sich eine sehr hohes Multiplikationspotenzial in vielen österreichischen aber auch europäischen Städten und Regionen sowie Industriebereichen für die Abwärmenutzung aus Abwasser als erneuerbare Energieform. Aktuell könnten in Österreich bis zu 24 Prozent, davon insgesamt 10-14 % durch Nutzung vor der Kläranlage und 6 – 10 % nach der Kläranlage, der Gebäude mit dieser Technologie umweltfreundlich beheizt werden. Die exergetisch sinnvolle Nutzung von Abwasser kann somit einen wichtigen Beitrag zur Dekarbonisierung des Wärmesektors und zum Klimaschutz bzw. zur Energiewende beitragen. Mit dem Programm Energie aus Abwasser fördert der Klima- und Energiefonds in Österreich aktuell die Gewinnung von Energie aus Abwasser aus Mitteln des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK).
[1] Das Leitprojekt ThermaFLEX wird aus Mitteln des Klima- und Energiefonds gefördert und unter dem Schirm des Green Energy Lab als Teil des Programms „Vorzeigeregion Energie“ durchgeführt.
Kurzportrait
Joachim Kelz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei AEE – Institut für Nachhaltige Technologien in Gleisdorf, welches angewandte Forschung auf dem Gebiet erneuerbarer Energie und Ressourceneffizienz betreibt und Mitglied von Austrian Cooperative Research – ACR ist. Nach dem Diplomstudium an der FH Burgenland im Bereich Energie- und Umweltmanagement arbeitete er rund 13 Jahre im COMET-Kompetenzzentrum BEST – Bioenergy and Sustainable Technologies GmbH. In seiner Forschung behandelt Joachim Kelz aktuell Themen rund um die klimaneutrale Wärme- und Kälteversorgung im Nah- und Fernwärmebereich und zukünftiger Energiesysteme. Aktueller Schwerpunkt seiner Arbeiten sind die Entwicklung und Demonstration von individuellen Einzeltechnologien sowie Systemlösungen rund um die Fragestellung wie Fernwärmenetze flexibler und effizienter gestaltet werden und ohne fossile Energieträger auskommen können. Im Fokus stehen dabei beispielhafte Demonstratoren in kleinen, mittleren und großen Fernwärmeversorgungsgebieten und Städten, welche im Rahmen des Großforschungsverbundes ThermaFLEX wissenschaftlich begleitet und in der Praxis umgesetzt werden.