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Gastbeitrag / Peter Kepplinger / Donnerstag 11.04.24

Elektromobilität als Speicher – ein wichtiger, aber komplexer Baustein für die Energiewende

Der Ausbau der Elektromobilität stellt zweifellos ein zentrales Element in der angestrebten Energiewende dar. Allerdings bringt er auch komplexe Herausforderungen für die elektrische Netzinfrastruktur mit sich und erfordert zusätzlichen Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Ein intelligentes Lastmanagement, die vorausschauende Planung der Ladevorgänge von Elektrofahrzeugen, kann dazu beitragen, diese Herausforderungen zu bewältigen.

Die ökologische Bilanz eines Elektrofahrzeugs hängt stark von der Herkunft und Erzeugung der benötigten Energie ab. Nur durch die Nutzung erneuerbarer Energiequellen kann die Elektromobilität ihr volles Potenzial als umweltfreundliche Maßnahme entfalten. Aktuelle politische und strukturelle Maßnahmen zielen darauf ab, die Heimladung von privaten Elektroautos in der Breite zu ermöglichen, um die Elektrifizierung der Mobilität keinesfalls zu behindern. Die Heimladung stellt jedoch eine neue Herausforderung für die elektrischen Netze dar, denn es werden zusätzliche Verbraucher mit beträchtlichen Leistungen in das elektrische Netz eingebunden, die örtlich und zeitlich schwer vorhersagbar sind. Um die sehr stark schwankende Stromerzeugung aus Erneuerbaren wie Sonne und Wind zur Ladung von Elektroautos zu nützen, sollten ihre Ladezeiten möglichst an die Erzeugungszeiten angepasst werden. Weitergedacht könnten die Fahrzeugbatterien sogar für eine weitreichendere Unterstützung des Gesamtenergiesystems eingesetzt werden, wenn aus diesen in das Stromnetz zurück eingespeist werden kann (Vehicle-to-Grid). Bei hoher Durchdringung würden Elektroautos dadurch im elektrischen Verteilnetz zu einem netzdienlichen Speicher von bedeutender Größe.

Bereits seit Jahrzehnten werden Verbraucher wie Nachtspeicheröfen oder elektrische Warmwasserspeicher (Boiler) so gesteuert, dass ihre Einsatzzeiten systemdienlich sind. Dies kann durch unterschiedliche Technologien erreicht werden und wird zum Nutzen unterschiedlicher Akteure eingesetzt. Es kann den Energiehandel oder die Stromerzeugung betreffen, indem beispielsweise zu Zeiten eines Überangebots Lasten zugeschalten werden. Es kann aber auch zur Entlastung der Verteilnetze eingesetzt werden, indem Verbraucher nur zu lastschwachen Zeiten für den Strombezug freigegeben sind. Dieses Lastmanagement war aufgrund der gegebenen, zentralisierten Struktur von dauerhaft verfügbaren Stromproduzenten (große kalorische Kraftwerke) langfristig planbar. Typische Ansätze in der Vergangenheit waren fixe Zeitpläne oder langfristige von den Jahreszeiten abhängige Planungen.

Die schwankende und nur kurzfristig vorhersehbare Einspeisung aus erneuerbaren Energiequellen wie Photovoltaik- und Windkraftanlagen erfordert ein modernes Lastmanagement, das Verbraucher im elektrischen Energiesystem täglich angepasst steuert. Dies stellt eine vielschichtige technische Herausforderung dar. Unabhängig davon, ob dies durch wirtschaftliche Anreize geschieht, zum Beispiel durch die Anpassung auf viertelstündlich variierende Strombörsenpreise, oder als Reaktion auf die aktuelle Situation im elektrischen Verteilnetz, muss diese Technologie mehrere Anforderungen erfüllen. Sie muss sehr gut skalierbar sein, um für die große Anzahl schaltbarer Lasten wie Elektroautos geeignet zu sein. Die Berechnung der optimalen Schaltzeiten muss rasch durchführbar sein, um wiederholt auf kurzfristige Änderungen reagieren zu können. Verteilte, digitale Lösungen bieten sich für diese komplexe Aufgabe an.

Die Implementierung eines automatisierten Lastmanagements von Elektroautos kann auf ein mathematisches Optimierungsproblem zurückgeführt werden. Im Wesentlichen beruht dies auf einem Modell, das das Verhalten der Fahrzeugbatterie und äußere Einflüsse beschreibt. Die Zielgröße dieser Optimierung hängt vollständig vom Anwendungsfall ab. Es kann beispielsweise eine kostenoptimale Einsatzplanung basierend auf den Preisen am Strommarkt sein. Die Flexibilität der Ladung kann aber auch dazu eingesetzt werden, den durch Photovoltaik erzeugten Strom innerhalb einer Energiegemeinschaft zu verbrauchen. Unabhängig von dem verfolgten Zweck muss das Lastmanagement vorausschauend und regelmäßig neu geplant werden, es kommt eine modellprädiktive Steuerung zum Einsatz. Um die technischen Anforderungen an Skalierbarkeit und Geschwindigkeit zu erfüllen, sollte die angestrebte Lösung robust sein, auf möglichst geringem Kommunikationsaufwand und schlanken, rasch berechenbaren Modellen basieren. Lösungen mit diesen Eigenschaften können dann auf Mikrocontrollern in eingebetteten Systemen ausgeführt werden.

Der Mensch als Unsicherheitsfaktor

Bei der zeitlichen Verschiebung der Ladevorgänge von Elektroautos gibt es jedoch eine wesentliche Unsicherheit – den Menschen. Die Nutzung des Fahrzeugs, und damit seine Verfügbarkeit vor Ort, bestimmt die Flexibilität und legt die wesentlichen Nebenbedingungen für die Ladeplanung fest. Aufgrund der erfassten Daten aus der Vergangenheit wird das zukünftige Verhalten in Form von Abfahrtszeiten und Verbräuchen geschätzt. Diese Vorhersage, sowie allgemeiner der Umgang mit Unsicherheiten, stellt in der beschriebenen Problemstellung eine wesentliche wissenschaftliche Herausforderung dar. Hier kommen oftmals Algorithmen aus dem Bereich des maschinellen Lernens wie neuronale Netze zum Einsatz.

Ob Elektroautos als systemdienlicher Energiespeicher erfolgreich eingesetzt werden können, hängt von der erreichbaren Genauigkeit der datenbasierten Vorhersagen ab. Denn lediglich wenn der Komfort durch das Lastmanagement gewährleistet ist, somit den Nutzer:innen das Fahrzeug wie erwartet mit ausreichend Restladung zur Verfügung steht, wird eine solche Technologie akzeptiert und den Weg in die Anwendung finden. Grobe Potenzialstudien schätzen den Nutzen der Einbindung von Elektroautos als Speicher ins Energiesystem als sehr hoch ein, berücksichtigen jedoch diese Unsicherheiten nur ungenügend. Detaillierte Studien mit konkreten technischen Lösungsvorschlägen erreichen deutlich schlechtere Ergebnisse hinsichtlich des Nutzens und der Robustheit. Konkrete Implementierungen und Entwicklungen sind also noch weit vom ermittelten Potenzial entfernt, was die Notwendigkeit weiterer angewandter Forschungsarbeit in diesem Feld unterstreicht.

Kurzportrait

Peter Kepplinger

Peter Kepplinger ist Leiter des Forschungszentrums Energie an der FHV – Vorarlberg University of Applied Sciences und hat die illwerke vkw Stiftungsprofessur für Energieeffizienz inne. Er studierte angewandte Mathematik an der Universität Wien und promovierte an der Universität Innsbruck zum Thema des autonomen Lastmanagements von elektrisch betriebenen Warmwasserspeichern. Zusammen mit seinem mehr als 20-köpfigen Team erforscht er die Auswirkungen der voranschreitenden Energiewende auf das elektrische Energiesystem und entwickelt Lösungsansätze für das Lastmanagement im Bereich der Elektromobilität, der Gebäudetechnik und im industriellen Kontext.

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