In der Arena von Social Media gibt es viel zu gewinnen
Das Eurobarometer zeigt, wie schlecht es um das Image von Wissenschaft in Österreich bestellt ist. Kaum ein anderes EU-Land vertraut Forscherinnen und Forschern so wenig und ist derartig desinteressiert. Kann Social Media helfen, eine wissenschaftsferne Bevölkerung für Grundlagenforschung zu begeistern?
Man kann sie sich gut vorstellen, Herr und Frau Österreich, wie sie im Wirtshaus zu einem Rundumschwenk gegen die Wissenschaft starten, und durch windigen Hausverstand im Telemark namens „Wos geht mi‘ des on?“ landen. Familienessen, Social-Media-Kommentare – wer kennt die landesübliche Resistenz gegen Fakten und Argumente nicht aus eigener Erfahrung? Logische Schlüsse zählen wenig im Angesicht einer entschieden anderen Meinung. Konträre Quellen, unvereinbare Lebensrealitäten. Es besteht also reichlich Grund zur Annahme, dass bessere Erklärungen und mehr Informationen nicht, wie lange geglaubt, zu mehr Vertrauen in die Wissenschaft führen. Dieses sogenannte Defizitmodell ist intuitiv: Schau, ich erkläre es dir, dann verstehst du es, und du wirst meine Erkenntnis teilen. Aber um Wissenschaft und ihre Methoden verständlich zu machen, genügt es nicht, ein Defizit an Wissen auszugleichen. Die Frage „Wos geht mi‘ des on?“ liefert eine gute Fährte, wie digitaler Content serviert werden sollte.
Der Spagat zwischen richtig und „Wos geht mi‘ des on?“
Zum Einmaleins guter Vermittlung gehört, Fachwörter zu vermeiden oder falls notwendig zu erläutern. In der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung benötigt es dafür regelmäßig eine Grätsche: Zwischen den abstrakten Konzepten der Wissenschaft auf der einen Seite und dem konkreten Alltag der Menschen auf der anderen. In den sozialen Medien wird das zum akrobatischen Spagat. Gelingt es einem in den ersten fünf Sekunden, die Forschungsfrage auf einen relevanten Satz zu destillieren, oder mit einer Überraschung Interesse zu wecken? Sprachliche Bilder, Metaphern oder Humor können helfen, haben aber auch das Potenzial zu verwirren und abzulenken. Die sozialen Medien sind die hohe Kunst der Wissenschaftskommunikation. Nirgendwo sonst ist die Konkurrenz mit tollpatschigen Katzenbabys, halbnackten Thirst-Traps und Aufreger-Themen größer.
Warum also trotzdem mit ihnen konkurrieren? Wissenschaftsferne Menschen beziehen ihre Informationen vielfach aus den sozialen Medien. Auch junge Menschen bevorzugen digitale Kanäle. In der Arena Social Media gibt es daher viel zu gewinnen.
In der Tiefe liegt die Würze
Obwohl Social Media unbestritten kurze, undifferenzierte Inhalte begünstigt, erleben wir zeitgleich eine Gegenbewegung: YouTube-Kanäle und Podcasts erreichen großes Publikum gerade weil sie in die Tiefe gehen. So hingen wöchentlich Millionen von Menschen an den Lippen Christian Drostens und Sandra Cieseks im Coronavirus-Update, quasi einer digitalen Einführungsvorlesung in die Virologie. Auch abseits akuter Themen gelingt das: Der Youtube-Kanal 3Blue1Brown erläutert in halbstündigen Videos die abstrakte Mathematik hinter Bitcoin und neuronalen Netzwerken – mit mehr als zehn Millionen Aufrufen pro Video. Im deutschsprachigen Raum bestätigen Mai Thi Nguyen-Kim mit Mailab und ISTA-Professor Mikhail Lemeshko mit ProfLemeshko, dass Langformate durchaus konsumiert werden. Es geht also nicht notwendigerweise um Kürze, sondern darum, die Frage „Wos geht mi‘ des on?“ als Sprungbrett in die Tiefe zu nutzen.
Drei Herausforderungen für institutionelle Wissenschaftskanäle
Die genannten Kanäle werden von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern selbst betrieben. Um die treffende Vereinfachung, Visualisierung oder Metapher zu finden, benötigt es vor allem eines: Wissen. Nur jemand, der viel gewandert ist, kennt die besten Abkürzungen. Und die besten Aussichtspunkte. Erfahrungsgemäß leitet die Forschenden ihre Faszination fürs Fachgebiet zuverlässig. Gepaart mit niederschwelligem Vokabular und einer guten Geschichte, kann man nahezu jedes Thema zum Blockbuster machen.
Zweitens fehlt Institutionen das Gesicht. Sciencefluencer nutzen die personenzentrierte Logik sozialer Medien für sich. Sie können Identifikation bis hin zur parasozialen Beziehung unter ihrer Anhängerschaft hervorrufen. In all ihrer Diversität haben es Unis schwerer, sich auf ein Gesicht festzulegen. Der TikTok-Kanal der Zeit im Bild zeigt mit Ambra Schuster und Idan Hanin jedoch, wie es gelingen könnte.
Außerdem dürfen sich Einzelpersonen mehr leisten: mehr Meinung, mehr Humor, mehr Charakter. So kann „Science Buster“ Martin Moder Wortspiele mit „Cock“ machen, animierte Hähne und später Körperteile regnen lassen, und abschließend fragen: „War dieser Witz zu niveaulos für einen Wissenschaftskanal?“ Institutionen wie auch Unternehmen bleiben zurückhaltend. Die Büchereien Wien und die Wiener Linien beweisen aber, dass es – mit etwas Mut – geht. Wenn es Bibliotheken und öffentliche Verkehrsmittel können, warum nicht auch die Wissenschaft?
“You’re the great salesman of science”
So wird Physiker Robert Oppenheimer im aktuellen Blockbuster von einem Kollegen benannt. Am Institute of Science and Technology Austria spüren wir ein zunehmendes Interesse von jungen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern, abseits ihrer Forschung wirksam zu werden. Kommunikation, vor allem über soziale Medien, wurden im traditionellen Wissenschaftsbetrieb bestenfalls toleriert; sie galten als Hobby, das mit dem Forschungsgegenstand um Aufmerksamkeit konkurriert. Die Zeiten haben sich geändert: Heutige Forschende leben nicht im Elfenbeinturm, sie möchten die Welt positiv beeinflussen.
Wissenschaftskommunikation ermutigen
Als Institution kann man kommunikationsaffine Personen unterstützen, indem man Studierenden Wahlfächer und Forschenden Fellowships mit integrierter Praxiserfahrung anbietet. Gerade für Social Media-Kommunikation eignen sich Workshops, Weiterbildungen und Direktsupport zur Umsetzung von Ideen. So bildet man nicht nur erstklassige Wissenschafterinnen und Wissenschafter aus, sondern gibt ihnen die Werkzeuge mit, öffentliche Vorbilder der Wissenschaft zu werden.
Persönliche Schnittstellen schaffen
Der Weg zu wirksamer digitaler Wissenschaftskommunikation ist vorgezeichnet: persönlich, bewegt, spielerisch, relevant, niederschwellig, gerade auch für wissenschaftsferne und junge Zielgruppen.
Trotz Digitalisierung sei aber nicht vergessen, dass direkte Erfahrung nachhaltig prägt. Es braucht neben hochwertigen Kanälen viele Möglichkeiten, Forschung erfahrbar zu machen und Forschende kennenzulernen. Wer sieht, dass sie nicht wie Albert Einstein frisiert sind, ist eher geneigt, ihnen positive Eigenschaften zuzusprechen. Einladungen erreichen Wissenschaftsferne selten, weshalb auch hier – wie im Digitalen – gilt: Die Zielgruppen aufsuchen, auf sie zugehen, an die Schulen, in die öffentlichen Räume, oder mit einem Science Tuk Tuk wie jenes von ISTA die Wissenschaft direkt in den Park und auf den Spielplatz bringen.
Kurzportrait
Florian Schlederer ist Leiter der Abteilung Kommunikation und Events am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg (Niederösterreich). Seit 2021 am ISTA tätig, ist Schlederer auch akademisch breit aufgestellt: Nach den Studien Physik und Philosophie in Wien, Oxford und Tokio kuratierte er die Ausstellung „Künstliche Intelligenz?“ im Technischen Museum Wien, engagierte sich für ambitionierte Klimapolitik und veröffentliche 2021 gemeinsam mit Katharina Rogenhofer das Sachbuch „Ändert sich nichts, ändert sich alles“ im Zsolnay Verlag.