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Gastbeitrag / Flora Strohmeier, Sabine Prettenhofer / Mittwoch 30.04.25

Innovation entsteht nicht im Alleingang

Die ÖBB haben im Jahr 2024 mit einer halben Milliarde Passagiere einen absoluten Fahrgastrekord erzielt. Neben dem deutlichen Wachstum bringen auch globale Entwicklungen wie Klimawandel, technologischer Fortschritt und demografischer Wandel Herausforderungen mit sich. Die Weiterentwicklung des Gesamtsystems von Mobilität, Logistik und Infrastruktur nimmt dabei eine wichtige Rolle ein – deshalb investiert der ÖBB-Konzern gezielt in Forschung, Technologie und Innovation.
Credit: Marek Knopp (l.) und Mantilla-Mayans Flora Strohmeier (l.) und Sabine Prettenhofer

Ziel ist es, das System Bahn leistungsfähiger, kapazitätsstärker und resilienter zu machen – bei gleichzeitiger Steigerung der Qualität und des Klimaschutzbeitrags. Im Mittelpunkt steht das Mobilitätserlebnis der Fahrgäste: einfacher Zugang, kombinierbare Angebote und attraktive Bahnhöfe als moderne Service-Hubs. Digitalisierung und Automatisierung sorgen für mehr Kapazität, bessere Planung und effiziente Instandhaltung, um Fahrzeuge und Anlagen möglichst durchgehend verfügbar zu halten.

Zugleich stärken Maßnahmen zur Dekarbonisierung, Energieeffizienz und Kreislaufwirtschaft die Klimafitness des Systems Bahn. Und nicht zuletzt rückt der Schienengüterverkehr stärker in den Mittelpunkt: Neue Technologien sollen helfen, ihn kosteneffizienter zu gestalten und dadurch noch mehr Güter von der Straße auf die umweltfreundliche Schiene zu verlagern.

Forschung als gemeinsames Projekt

Innovation entsteht nicht im Alleingang – deshalb setzen die ÖBB auf den Open Innovation-Ansatz. Forschung und Entwicklung werden gezielt für Partnerinnen und Partner aus Wissenschaft, Industrie und Gesellschaft geöffnet. Ein Beispiel: das Netzwerk „Community creates Mobility“, das seit 2019 an einer nachhaltigen und gerechten Mobilität arbeitet. Ein Vorzeigeprojekt im Forschungsbereich ist außerdem das bahnspezifische Förderprogramm Rail4Climate. Dieses nationale Innovationsprogramm zielt darauf ab, europäische und nationale Forschungsergebnisse in die konkrete, prototypische Erprobung zu überführen.

Auch im europäischen Spitzenprogramm Europe’s Rail Joint Undertaking (EU-Rail), Europas größtem F&E-Programm für das System Bahn, sind die ÖBB Mitglied. Durch eine strategische Verortung sowie entsprechende und umfassende Maßnahmen und Projekte stellen die ÖBB sicher, dass das System Bahn weiterentwickelt wird, um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden.

Wegweisende Technologien für die Bahn der Zukunft

Innovationen sind der Schlüssel, um den Schienenverkehr intelligenter, vernetzter und zukunftssicher zu machen. Bei den ÖBB wird dafür an Projekten gearbeitet, die modernste Technologien mit dem Know-how aus jahrzehntelanger Betriebserfahrung verbinden. Ein Meilenstein in der Digitalisierung ist das Projekt Automated Resource Planning (ARP). Was bis jetzt in verschiedene Systeme und Prozesse aufgeteilt war, wird mit ARP bei der Fahrzeug-, Schicht- und Einsatzplanung im Personen- und Güterverkehr automatisiert und optimiert – und zwar in einem System für alle beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Im ÖBB-eigenen Servicehub helfen KI-Methoden dabei, Szenarien zu simulieren und dabei den bestmöglichen Ressourceneinsatz sicherzustellen, von Bauarbeiten über die Robustheit von Plänen bis zum Naturkatastrophenfall. Bis 2027 soll ARP zum Einsatz kommen.

Ein weiteres zentrales Projekt ist die digitale automatische Kupplung (DAK). Die DAK verbindet Güterwaggons automatisch, ohne dass ein manuelles Eingreifen notwendig ist und erhöht damit Effizienz und Sicherheit im Schienengüterverkehr. Die ÖBB sind Teil des EU-Rail-Projekts „TRANS4MR“ und leiten das „European DAC Delivery Programme“. Beide Initiativen treiben die Weiterentwicklung, Erprobung und Migrationsplanung der Digitalen Automatischen Kupplung (DAK) voran. Ab 2026/27 sind umfangreiche Demonstrationsfahrten mit Zügen unter realen Betriebsbedingungen geplant. Zusätzlich zum automatischen Kuppeln ist die DAK auch die Grundlage für weitere digitale Innovationen wie zum Beispiel die automatische Bremsprobe.

Auch die Infrastruktur selbst wird intelligenter. Mit dem „Digitalen Zwilling“ wird die gesamte Bahninfrastruktur mit allen Gleis- und Streckennetzen, Anlagen sowie Sensorikdaten in die virtuelle Welt gebracht. Dafür werden neue Technologien und Methoden getestet sowie Modelle integriert, die bei der virtuellen Abbildung von Infrastruktur, Bahnbetrieb und Energieanlagen unterstützen. Fragen der Steuerung und Kapazitätsplanung im Infrastrukturnetz können zukünftig über verschiedene Planungshorizonte bis hin zur Echtzeit noch präziser beantwortet werden.

Gleichzeitig rückt mit dem European Train Control System (ETCS) auch das autonome Fahren auf der Schiene näher. Das System kontrolliert Zugfahrten auf dem Streckennetz und kann diese beeinflussen, beispielsweise können Geschwindigkeit und Abstand von Fahrzeugen gesteuert werden. Es stellt somit einen Bestandteil des zukünftigen, europaweit vereinheitlichten Eisenbahnverkehrsleitsystems dar. Die ÖBB beteiligen sich intensiv an der Weiterentwicklung im Rahmen internationaler Forschungsprojekte.

Mobilität endet für die ÖBB nicht am Bahnhof – sie beginnt vor der Haustür. Mit dem Angebot ÖBB 360° entstehen flexible Mobilitätslösungen für Gemeinden, Unternehmen oder Tourismusregionen, die über den klassischen Schienenverkehr hinausgehen. Sie kombinieren bestehende Angebote mit neuen Services wie On-Demand-Shuttles – etwa dem Postbus Shuttle – und schaffen so Alternativen zum privaten Auto.

Blick in die Zukunft der Mobilität

Die ÖBB gehen davon aus, dass die Nachfrage nach klimafreundlicher Mobilität weiter steigen wird. Die Voraussetzung dafür ist ein flächendeckendes, zuverlässiges und leistungsfähiges Angebot – in Österreich und über die Grenzen hinaus. Kurz- und mittelfristig stehen Stabilität und Zuverlässigkeit im Fokus, langfristig das Erlebnis der Kundinnen und Kunden – etwa durch einfaches Ticketing.

Auf europäischer Ebene sollen durch die „Single European Railway Area“ grenzüberschreitende Reisen erleichtert werden. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, braucht es höhere Produktivität, effiziente Kapazitätsnutzung und stabile Qualität – bei gleichzeitiger Kostenreduktion. Mit Innovationskraft, Forschung und europäischer Zusammenarbeit gestalten die ÖBB ein flexibles, nachhaltiges und zukunftssicheres Bahnsystem.

Kurzportrait

Flora Strohmeier arbeitet bei der ÖBB-Holding AG als Programmleiterin der europäischen Forschungsinitiative EU-Rail (Europe‘s Rail Joint Undertaking) und koordiniert konzernweite Themen der Forschung & Entwicklung. Sie hat mehrjährige Erfahrung in europäischen und nationalen Forschungsprojekten im Mobilitätsbereich.

Kurzportrait

Sabine Prettenhofer ist bei ÖBB Open Innovation für das Thema Community Management verantwortlich. Mit dem Netzwerk „Community creates Mobility“ hat ÖBB Open Innovation ein Ökosystem rund um gerechte Mobilität ins Leben gerufen, wo Sabine als Orchestratorin mitwirkt.

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