Wenn die Natur zur Katastrophe wird
Wenn juristische Laien von „Naturkatastrophen“ sprechen, ist in der Rechtordnung das Thema „höhere Gewalt“ angesprochen. Es ist notorisch und braucht hier nicht näher erörtert werden, dass mit Zunahme der Erderwärmung die Gefahr von Naturkatastrophen steigt.
Tagtäglich hören wir weltweit in den Medien von Hochwasser (2021 im Ahrtal, 2022 in Bangladesch), Stürmen (2021 in Tschechien, 2022 am St. Andräer Badesee im Kärntner Lavanttal und im Bezirk Scheibbs in Niederösterreich), Murenabgängen (2022 in Kärnten), Steinschlag (2020 bei der Salzburger Eisriesenwelt) und Dürren (2022 als Rekordsommer).
Das Institut für Umweltrecht beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit Rechtsfragen im Zusammenhang mit Naturkatastrophen bzw. „höherer Gewalt“ aus Anlass des Hochwassers 2002 bzw. 2004. Das Naturkatastrophenrecht ist wie das Umweltrecht an sich auf zahlreiche Einzelmaterien verstreut, wie z.B. das Wasserrecht, Forstrecht, Bau- und Raumordnungsrecht, Katastrophenschutzrecht, die allerdings – anders als ein Mosaik – kein einheitliches Bild ergeben, sondern systemisch und inhaltlich auf unterschiedlichen Ansätzen basieren. Die Uneinheitlichkeit im Naturkatastrophenrecht ist seit Jahrzehnten starker Kritikpunk in der Forschung. Eine Änderung scheitert allerdings an der geltenden Kompetenzverteilung der Bundesverfassung und letztlich am politischen Willen. Das gleiche Schicksal trifft das Klimaschutzrecht, das ebenso in der Gefangenschaft der Kompetenzzersplitterung und unterschiedlicher machtpolitischer Zielsetzungen verhaftet ist. Innovative Rechtsforschung, die de lege ferenda denkt, stößt dabei an zum Teil unüberwindliche Grenzen – soweit ein kleiner Einblick zu den gegebenen Rahmenbedingungen.
Erderwärmung bedeutet mehr und stärkere Naturkatastrophen. Zu allererst (und auch im Stufenbau der Rechtsordnung) stellt sich die Frage, ob es staatliche Schutz- und Handlungspflichten in Bezug auf einen Rechtsrahmen, der präventiv Vorkehrungen und Maßnahmen in Hinblick auf die Abwendung von Naturkatastrophen enthält, gibt. Dies würde bedeuten, dass der demokratische Gesetzgeber alle denkbaren und effektiven gesetzlichen Vorkehrungen zu schaffen hat, um seine Bürger:innen zu schützen. Während dies früher nur vorsichtig in Bezug auf die Naturkatastrophenorganisation von manchen Rechtswissenschafter:innen bejaht wurde, setzt sich nunmehr – auch vor dem Hintergrund des verheerenden Schadensausmaßes – die Meinung durch, dass den Staat in Hinblick auf das Recht auf Leben und körperliche Integrität seiner Bürger:innen staatliche Handlungspflichten treffen. Diese Sichtweise erscheint umso plausibler, als die Intensität und das Schadensausmaß von Naturkatastrophen zunimmt und der Eintritt derart gewaltiger Naturkatastrophen nicht mehr unvorhersehbar ist. Die Bejahung von Vorsorgepflichten bedeutet, dass der präventive Schutz schnellstmöglich und auf effektive Art und Weise wahrzunehmen ist.
Gleichzeitig führt uns das Zeitalter der Erderwärmung zur Frage der Haftung für Naturkatastrophen. Hier galt und gilt bisher, dass ein Haftungsausschlussgrund (sowohl im Rahmen der Amtshaftung im Zusammenhang mit dem Vollzug des Bau-, Raumordnungs-, Wasser- und Forstrechts als auch im Rahmen der allgemeinen Verschuldenshaftung) die sogenannte „höhere Gewalt“ ist. Dieser Begriff definiert sich durch gewisse Kriterien, die aber in der Situation der Erderwärmung und der damit steigenden Häufigkeit bzw. Schwere von Naturkatastrophen einer neuen, veränderten Betrachtung bedürfen. Wenn von „höherer Gewalt“ gesprochen wird, so muss es sich um ein Ereignis handeln, das von außen kommt, unabwendbar und außergewöhnlich ist (Jahrhundertereignis). Liegen diese Kriterien nicht vor, dann mag zwar eine Katastrophe gegeben sein, aber nicht die im Zivilprozess zum Haftungsausschluss führende Einrede der „höheren Gewalt“ bzw. die generelle Qualifikation als „schicksalshaft“. Die durch derartige Katastrophen verursachten Schäden können sodann möglicherweise eine Haftung der Rechtsträger (im Rahmen der Amtshaftung) oder auch zwischen Privaten nach sich ziehen.
Wenn nunmehr weltweit Bedrohungen lauern (wie Überschwemmungen, Muren, Steinschlag, Dürren, Hagel oder Stürme), so sind diese jedenfalls von außen kommend. Unabwendbare Ereignisse können auch solche sein, die zwar vorhersehbar sind, denen man aber machtlos gegenübersteht. Hier stehen sich auf der einen Seite die zunehmende Mächtigkeit der Naturkatastrophen und auf der anderen Seite die technische Abwehrkraft und Vorhersehbarkeit anhand kürzlich eingetretener Ereignisse gegenüber, sodass die Frage der Unabwendbarkeit im Recht genau unter die Lupe zu nehmen ist.
Bei vorhersehbaren Naturkatastrophen stellt sich in besonderem Maße die Frage nach Schutz-, Handlungs- oder Warnpflichten, die das Schadensausmaß abwenden hätten können. Bejaht man solche, so führt die Vernachlässigung derartiger Pflichten wiederum zur Haftung. Schließlich muss das Ereignis außergewöhnlich sein, auch in dieser Frage tritt eine Verschiebung ein. Während wiederkehrende Überschwemmungen (HQ30-Ereignisse) eben keine „höhere Gewalt“ darstellen, sind Jahrhundertereignisse außergewöhnlich und haftungsbefreiend. Der anthropogene Klimawandel zieht ein immer höheres Naturkatastrophenrisiko nach sich, sodass Naturkatastrophen einerseits bedeutend öfter bzw. mit einer gewissen Kontinuität auftreten und sich andererseits auch deren zerstörerisches Ausmaß immer weiter verstärkt.
Auf Grund der technischen Möglichkeiten kann die Eintrittswahrscheinlichkeit von Naturkatastrophen immer besser prognostiziert werden. Für das Kriterium der Außergewöhnlichkeit bedeutet das Folgendes: Es zeigt sich die Tendenz, dass der juristische Begriff der „Außergewöhnlichkeit“ in Zeiten des Klimawandels immer häufiger zu verneinen sein wird. Das wiederum bedeutet, dass der Haftungsausschlussgrund der „höheren Gewalt“ versagt und Geschädigte sich auf die Suche nach Schuldigen begeben. Anders als juristische Laien vielleicht vermeinen führen die zunehmenden klimatologisch bedingten Naturkatastrophen nicht zu zunehmender Haftungsfreiheit, sondern im Gegenteil zu zunehmenden Haftungslagen.
Dabei ist das ebenso relevante Momentum, inwiefern das konkrete Ereignis auf einem risikoerhöhenden menschlichen Vorverhalten beruht, noch gar nicht angesprochen (Beispiel: Große Flächen, die zur Versickerung benötigt werden, werden versiegelt). Kommt man nämlich zur Annahme einer Risikoerhöhung durch menschliches Vorverhalten, was in vielen Fällen der Fall sein wird, so konkurriert dieser Umstand mit dem Erfordernis, dass von „höherer Gewalt“ nur dann gesprochen werden kann, wenn das Ereignis ohne menschliches Zutun „von außen kommt“. Nun könnte man allein den anthropogen verursachten Klimawandel als risikoerhöhendes menschliches Vorverhalten auffassen. Bei konsequenter Umsetzung dieser Sichtweise würde dies sogar dazu führen, den Haftungsausschlussgrund der „höheren Gewalt“ im Zusammenhang mit Klimaschäden immer versagen zu müssen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Das bedeutet nicht automatisch, dass es einen Schuldigen gibt. Das bedeutet nur, dass die Suche nach rechtlich Verantwortlichen offen steht.
Die Schwierigkeit liegt nun darin, in Kenntnis dieser rechtlichen Entwicklungen notwendige Veränderungen in der Rechtsordnung sinnvoll in Angriff zu nehmen. Wenn auf Grund von Starkstürmen für Gemeinden und Straßenerhalter, aber auch Private, die Gefahr von Haftungslagen steigt und daher mit „Angstschnitten“ Bäume großzügig gekappt und Waldränder großflächig bearbeitet werden, so verstärkt man die klimatische Notlage, da man der Atmosphäre zusätzlich CO2-Senken nimmt. Derartige Eingriffe in den gesunden Baumbestand bieten daher keine Lösung. Vielmehr bedarf es eines Haftungsrechts, das den Eigenwert der Bäume und deren Bestand (gerade in Hinblick auf den Klimaschutz) bedenkt und den allenfalls Haftpflichtigen vorhersehbare Kriterien an die Hand gibt, um im Fall von Sturmrisiko die notwendigen Maßnahmen gesetzt zu haben. Dies trägt zur Rechtssicherheit bei und verhindert, dass bei tragischen Schadensfällen eine (von Fall zu Fall unterschiedlich gehandhabte) Interessensjurisprudenz entscheidet.
In der rechtswissenschaftlichen Forschung wird im Zusammenhang mit dem Klimaschutzrecht derzeit noch nicht breit genug gedacht. Es bedarf einer Intensivierung von Klimaschutzerwägungen und Aspekten der Klimawandelanpassung in sämtlichen Teilbereichen unserer Rechtsordnung.
Kurzportrait
Univ.-Prof.in Mag.a Dr.in Erika M. Wagner ist Vorständin des Instituts für Umweltrecht und Leiterin der Abteilung Umweltprivatrecht am Institut für Zivilrecht der Johannes Kepler Universität Linz. Sie beschäftigt sich mit diesen Rechtsmaterien in Forschung und Lehre, insb mit Blick auf die zukünftigen Herausforderungen. Ihre mit zahlreichen Forschungspreisen ausgezeichnete Habilitation trägt den Titel „Gesetzliche Unterlassungsansprüche im Privatrecht“ (2004) und analysiert ua die Abwehrrechte der Zivilgesellschaft gegen Umweltverschmutzung. Ihr derzeitiger Forschungsschwerpunkt liegt im Aufzeigen der Notwendigkeit der Ökologisierung des Rechts in sämtlichen Teilbereichen sowie der Erweiterung der Durchsetzungsmöglichkeiten von Rechten und ökologischen Interessen für Einzelne und NGOs.
Mag.a Daniela Ecker, LL.B., ist Universitätsassistentin am Institut für Umweltrecht der Johannes Kepler Universität Linz. Sie absolvierte das Diplomstudium der Rechtswissenschaften mit Schwerpunkt Umwetlrecht sowie das Bachelorstudium Wirtschaftsrecht mit den Schwerpunkten Unternehmensrecht und Umwelt- und Qualitätsmanagement an der Johannes Kepler Universität Linz. Sie beforscht die Transformation von Instrumenten des Nachhaltigkeitsrechts im Unternehmensbereich (insb Nachhaltigkeitsberichterstattung und Sorgfaltspflichten in der Lieferkette) und beschäftigt sich ua mit diversen Abläufen im Kreislaufwirtschaftsrecht und Biodiversitätsrecht.