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Gastbeitrag / Christine Marizzi / Montag 28.08.23

Wissenschaft macht mobil

Das Vertrauen in traditionelle Institutionen sinkt in den USA. Gleichzeitig verdeutlicht Citizen/Community Science, dass das Interesse an Forschung stark ist, aber Wissenschaft immer mehr auch außerhalb von traditionellen Institutionen stattfindet. Innovative Modelle wie mobile und offene Labore, wo Wissenschaft und Bevölkerung aufeinandertreffen, um gemeinsam zu forschen, sind Teil einer Bewegung, die das Vertrauen wieder herstellen könnte.
Foto: Sebastian Krammer Österreicherin Christine Marizzi, Expertin für Wissenschaftskommunikation, arbeitet in New York

Eine im Juni 2023 veröffentlichte Gallup Meinungsumfrage zeigte, dass US-Amerikaner weiter das ohnehin schon angeschlagene Vertrauen in größere Institutionen verlieren. Das inkludiert medizinische Institutionen und das öffentliche Schulsystem.

So ist das Vertrauen in das US-amerikanische Gesundheitssystem in den letzten zwei Jahren um zehn Prozent gesunken (von 44 Prozent im Jahr 2021 auf 34 Prozent im Jahr 2023), ein größerer Rückgang als bei jeder anderen Institution außer der Präsidentschaft. Das öffentliche Schulsystem schneidet mit mageren 26 Prozent ab. Im Vergleich dazu genießen kleinere Unternehmen noch das höchste Maß an Vertrauen (60 Prozent), dicht gefolgt vom Militär.  

Interessanterweise steigt das Vertrauen, wenn die Fragen eher auf Einzelpersonen als auf Institutionen gerichtet sind. Wissenschafter und Wissenschafterinnen, Ärzte und Ärztinnen, Pflegepersonal, sowie Beamte und Beamtinnen des öffentlichen Gesundheitswesens können also nach wie vor vertrauenswürdige Quellen für Gesundheitsinformationen sein (Research!America, 2023).  

Die Ergebnisse dieser Studie decken sich mit meinen Erfahrungen im Bereich Wissenschaftskommunikation, „Science Outreach“ und „Community Science“ in New York City. Am Anfang steht immer ein Dialog um eine Frage. Und das auf Augenhöhe. Das Problem ist, nicht jeder kennt einen Experten oder eine Expertin, um Fragen persönlich zu stellen. Und nicht jeder ist ein Fan von Social Media-Plattformen, wo man durchaus in Kontakt mit zum Beispiel Forschern und Forscherinnen kommen kann. Wie bringt man Gesellschaft und Wissenschaft zusammen, damit dieser Dialog passiert? Und wo fängt man an? 

Wissenschaft ist überall und jeder kann forschen

Wer Zeit mit Kindern verbringt, wird bald mit Fragen gelöchert und kann bestätigen, Kinder sind von Natur aus wissbegierig und entdecken die Welt durch Fragen. Nicht alle US-amerikanischen Kinder bekommen Bildung auf hohem Niveau. Das New Yorker Schulsystem ist eines der meist segregierten des gesamten Landes. Mehr als 1.1 Millionen Schüler besuchen 18.000 öffentliche Schulen, dazu kommen noch hunderte, unabhängige Privatschulen (ein detaillierter Blog zum Thema auf „DerStandard“). Segregation bedeutet massive Ungleichheiten beim Zugang zu Ressourcen. Neben Schulen mit exzellentem Unterricht in den Naturwissenschaften in eigens gebauten Schullaboren und Nachmittagsprogrammen (Science Clubs) gibt es Schulen mit desolaten Klassenräumen und minimalen Unterricht strikt nach Lehrbuch, ohne jede Chance regelmäßig Experimente durchzuführen.

US-weit graduiert nur jeder vierter Schüler die High School (Mittelstufe) mit genug Kenntnissen in den Naturwissenschaften. Viele New Yorker Wissenschafts-Institutionen wie Rockefeller University und Columbia University bieten deshalb Programme für Lehrer und Schüler im eigenen Haus an. Logistisch ist das nicht einfach, da u.a. wegen den weiten Entfernungen oft ein Bus gemietet werden muss, um die Schüler zu den Unis zu bringen, und oft fehlt wegen Budgetkürzungen das Geld. Mobile Wissenschaftskommunikation an Bord von Bussen ist eine perfekte Lösung dafür.

Wissenschaftskommunikation an Bord von Bussen

„BioBus“, eine Non-for-profit-Organisation in New York City,  ist einer der Pioniere in diesem Bereich und Gründungsmitglied der Mobile Lab Coalition. BioBus ist ein Bus, aber auch eine Gruppe von Wissenschaftern und „Science Outreach“-Experten und Expertinnen, die aktiv an einer Neudefinition von wissenschaftlicher Praxis, wo sie durchgeführt wird und wer Zugang zur Teilnahme an der Wissenschaft bekommt, arbeitet. BioBus unterstützt New Yorker, ihre eigenen Forschungsfragen zu formulieren und zu beantworten.  

BioBus wurde gegründet von Ben Dubin-Thaler, einer der besten Doktoranden seines Jahrgangs an der Columbia University. Während seines Studiums zeigte er regelmäßig Gästen im Labor Zellen unter dem Laser-Scanning-Mikroskop. Und alle, von Familie, Freunden bis hin zum Reinigungspersonal, hatten so etwas „Cooles noch nie gesehen“ und waren begeistert. Er entschied sich, Wissenschaft mittels Mikroskopie unter die Leute zu bringen, vor allem bei Schulen ohne Biologieklassenraum und bildungsferne Schichten. Nach seinem Studienabschluss kaufte er einen ausrangierten 1974 San Francisco Linienbus, und baute ihn zu einem rollenden Labor um.

2017 kam mit einem „Airstream Trailer“ ein zweiter Bus dazu. Das Team umfasst mittlerweile 23 Mitarbeiter, die Mehrheit davon hat einen wissenschaftlichen Hintergrund. BioBus parkt direkt vor der Schule und bis zu sechs Schulklassen pro Tag erleben Wissenschaft mittels Dialogs und Experimenten. Von BioBus geleitete Nachmittagsprogramme in Schulen ermöglichen Fragen gemeinsam mit Wissenschaftern weiterzuentwickeln und zu erforschen. Seit 2008 brachte BioBus so Wissenschaft zu mehr als 350.000 Schülern von Kindergarten bis zum College. BioBus betreibt auch zwei „Community Labs“ – öffentliche Labore für Schulen in Gehweite. Community Labs sind ein Hub für praxisbezogene Grundlagenforschung für alle Mitglieder der Gesellschaft.

Mehr als 60 bezahlte Praktikanten und Praktikantinnen pro Jahr (sogenannte Junior Scientists) forschen dort an Themen, die sie interessieren und kommunizieren die Ergebnisse mittels Präsentationen und manchmal auch Publikationen in wissenschaftlichen Fachblättern. Öffentliche Veranstaltungen wie zum Beispiel „After School Science Hours“ im Community Lab behandeln diese Themen, die von der Bevölkerung vorgeschlagen wurden. Der Trend geht seit Jahren zu Umwelthemen wie urbanes Ökosystem und Klimawandel, aber auch Infektionskrankheiten. Jede „Science Hour“ bietet mehrere Mitmachstationen, geleitet von Wissenschaftern, an. Besucher entscheiden, wie lange sie mit jeder Station interagieren. Viele bleiben über mehrere Stunden.  

Tropfen auf den heißen Stein

In einer Millionenmetropole wie New York City sind solche Initiativen allerdings ein Tropfen auf den heißen Stein. Es braucht viel mehr und vor allem längerfristige Investitionen in das öffentliche Schulsystem, und mit weiterhin knappgehaltenen Schulbudgets wird das schwer gelingen. In einer idealen Welt sollten unabhängige Anbieter wie BioBus, um das Defizit abzudecken, eigentlich gar nicht existieren. Der Zugang zur Wissenschaft ist als umfassendes Menschenrecht seit 1948 im Artikel 27 in der Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR 1948) festlegt „[…] das Recht […] wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Wohltaten teilzuhaben.“ Es ist an der Zeit, dieses Ziel zu verwirklichen.

Kurzportrait

Christine Marizzi, Ph.D., Director of Community Scientist bei BioBus, Inc., und Adjunct Assistant Professor, Icahn School of Medicine at Mount Sinai, promovierte in Genetik und Mikrobiologie an der Universität Wien und hat einen starken inter- und transdisziplinären Hintergrund. Sie lebt und arbeitet seit zwölf Jahren in New York und ist Expertin für Wissenschaftskommunikation und Öffentlichkeitsarbeit. Sie entwickelte und leitete mehrere Citizen Science Programme im Bereich Biodiversitätsforschung für Cold Spring Harbor Laboratory und fungierte als wissenschaftlicher Beirat in mehreren „SciArt“-Projekten, die u.a. bei der Architecture Biennale Venice, United Nations General Assembly 74 in New York, und dem Aspen Ideas Festival ausgestellt wurden.  

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