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Kooperation / EU-Magazin Horizon / 10.01.2024, 14:30

Erfolgversprechende Kombination: Meeresfrüchteproduktion und Offshore-Windparks

Neben der Erzeugung von sauberer Energie könnten die Standorte im Meer mit Turbinen auch für die Zucht von Muscheln, Austern und Meeresalgen eingesetzt werden. 

APA/dpa/SinaSchuldt
Offshore-Windparks bieten bisher kaum beachtete Möglichkeiten

Vor den Küsten Belgiens, Dänemarks, Deutschlands und der Niederlande surren Dutzende von Windparks, die Europa bei der Umstellung von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien unterstützen.  

Einige dieser Windparks helfen Europa auch bei etwas, was sich nur wenige Menschen vorstellen können: die Zucht von Meeresfrüchten. Die Initiative stellt einen vielversprechenden neuen Ansatz zur Erschließung natürlicher Ressourcen dar. 

Business as unusual 

Die so genannte „Mehrfachnutzung“ beinhaltet die gemeinsame Nutzung von Offshore-Flächen und stellt eine deutliche Abkehr vom herkömmlichen Konzept exklusiver Nutzungsrechte dar.  

„Traditionell werden die meisten Dinge separat gemacht“, sagt Alex Ziemba, ein Forscher bei Deltares, einem niederländischen Institut, das sich auf Wasser- und Untergrundanwendungen spezialisiert hat. „Wenn Sie einen Windpark wollen, richten Sie ihn da drüben ein. Wenn die Leute angeln gehen wollen, kommen sie hierher. Man zerlegt alles in einen schönen maritimen Raumplan, wo jeder über seine eigenen kleinen Bereiche verfügt.“ 

Ziemba leitete gemeinsam ein von der EU gefördertes Forschungsprojekt, das diese Denkweise in Frage stellt, indem es die Perspektiven für eine gemeinsame Nutzung von Offshore-Standorten untersucht – ein Schritt, der dazu beitragen wird, rechtliche Fragen zur Miteigentümerschaft anzugehen und möglicherweise neue Arbeitsplätze zu schaffen.  

„Der beste Standort für einen Offshore-Windpark – optimal in Bezug auf Windbedingungen und Standortwahl – könnte auch mit einem großartigen Standort für die Aquakultur überlappen“, fügt er hinzu. „Die Nutzung des optimalen Meeresstandortes kann nur einmal erfolgen, wenn sie nicht kombiniert wird.“ 

Unter der Bezeichnung UNITED wurde das Projekt am 31. Dezember 2023 nach vier Jahren abgeschlossen. Dabei wurden Muscheln, Austern und Meeresalgen zwischen den Turbinen von drei Windparks gezüchtet.  

Platz da! 

Obwohl 70 % der Erde von Ozeanen und Meeren bedeckt wird, ist der Platz für ihre kommerzielle Entwicklung keineswegs unbegrenzt. Dies gilt insbesondere für Europa, dem zweitkleinsten Kontinent der Welt nach Australien. 

„Der Platz wird zu einem immer größeren Problem“, sagt Dr. Øivind Bergh, ein leitender Wissenschaftler am Institut für Meeresforschung in Norwegen. „Wenn Sie sich eine Karte von Europa und die Meeresgebiete der verschiedenen Länder ansehen, verfügen viele Länder nur über sehr wenig Platz.“ 

Neben der Erzeugung von Windenergie haben sowohl die Länder als auch die Unternehmen viele Gründe, sich nach anderen wirtschaftlichen Offshore-Möglichkeiten umzusehen. Weitere Beispiele sind schwimmende Farmen für Vieh und Feldfrüchte sowie die Zucht von Meeresfrüchten.  

Wenn praktische Aspekte wie leichter Zugang von einem Hafen berücksichtigt werden, können sich die optimalen Offshore-Standorte für verschiedene Branchen laut Ziemba oft überschneiden. 

Die Forscher von UNITED züchteten die Meeresfrüchte in Netzen, die an Leinen aufgehängt und mehrere Meter unter der Wasseroberfläche aufgespannt waren, um sie vor starkem Wellengang zu schützen. Zu den angebauten Nahrungsmitteln gehörten Miesmuscheln und verschiedene Arten von Meeresalgen, teilweise kombiniert mit der Wiederherstellung von Austernbänken. 

Gutes Wachstum 

Obwohl keine direkte Verbindung zwischen den Aquakulturanlagen und den umliegenden Windturbinen bestand, stellte die Koexistenz eine wertvolle gemeinsame Nutzung von hochwertigem wirtschaftlichem Platz dar.  

Auf dem 12 Kilometer von der Küste entfernten niederländischen Testgelände wurden in den Netzen Meeresalgen gezüchtet. Der belgische Standort beherbergte sowohl flache Austern als auch Meeresalgen. Die deutschen Zuchtlinien wurden für Miesmuscheln und Meeresalgen verwendet. 

Junge Muscheln, Austern und Meeresalgenpflanzen wurden den Netzen kurz vor dem Ausbringen hinzugefügt. Die Meeresfrüchte und Netze wurden dann mit Kameras, Sensoren und gelegentlichen Bootsinspektionen überwacht.  

Muscheln und Austern benötigen etwa zwei Jahre, um die marktfähige Größe zu erreichen, während Meeresalgen häufiger geerntet werden können. Die daraus resultierenden Erträge waren vergleichbar mit denen in ruhigeren küstennahen Gewässern und abseits anderer Infrastrukturen, so Ziemba. 

UNITED sammelte auch Daten zu Wachstumsraten. Damit soll es den Forschern ermöglicht werden, die potenziellen Wachstumsraten von Muschel-, Austern- und Meeresalgen-Aquakulturen in größerem Maßstab in zukünftigen Windparks zu modellieren. 

Marktöffnungen 

Bergh vom Institut für Meeresforschung in Bergen ist der wissenschaftliche Leiter eines weiteren EU-finanzierten Forschungsprojekts, das die Möglichkeiten auf diesem Gebiet untersucht.  Während es bei UNITED hauptsächlich darum ging nachzuweisen, ob die Kombination von Windparks und Aquakultur machbar ist, konzentriert sich Berghs Projekt mehr auf die tatsächlichen Meeresfrüchteprodukte.  

Unter dem Namen OLAMUR werden in der dänischen Ostsee und der deutschen Nordsee Aquakulturanlagen für Muscheln und Meeresalgen zwischen Windkraftanlagen installiert.  Die Initiative begann im Januar 2023 und soll bis Ende 2026 laufen.  

Ein Demonstrationsstandort befindet sich im dänischen Teil des Windparks Kriegers Flak in der Ostsee. Hier befindet sich einer der größten Offshore-Windparks in Europa. OLAMUR baut auf der Arbeit früherer, kleinerer Projekte auf, die sich mit den ingenieurtechnischen Herausforderungen bei der Platzierung von Aquakulturanlagen in Windparks beschäftigten.  

Das Team wird die Wachstumsraten und Erträge von Muscheln und Meeresalgen sowie deren Qualität untersuchen. Dabei werden ihre Nährstoffprofile bewertet und auf schädliche Verunreinigungen untersucht, um die Marktfähigkeit sicherzustellen. 

Jenseits von Sushi 

Der Markt für Meeresalgen wächst, da sie in allen Bereichen von Lebens- und Futtermitteln bis hin zu Verpackungen und Medikamenten eingesetzt werden können. So könnte zum Beispiel eine groß angelegte Meeresalgenzucht zur Reinigung des Meerwassers in Europa beitragen. 

In der Ost- und Nordsee haben sich aufgrund von Verschmutzung durch den Eintrag von Nitraten und Phosphor aus der Landwirtschaft Todeszonen gebildet.  Meeresalgen ernähren sich von diesen anorganischen Nährstoffen und entziehen sie dem Wasser. „Diese überschüssigen Nährstoffe können bei einer Meeresalgenzucht von einem Problem in eine Ressource umgewandelt werden“, erklärt Bergh. 

Da sich die EU verpflichtet hat, bis 2030 mindestens 30 % ihrer Meere zu schützen, können Meeresalgen eine noch größere Rolle spielen, indem sie die Verschmutzung durch die Landwirtschaft an Orten wie der Ostsee reduzieren.  Jede Branche zögert bei der Einführung neuer Aktivitäten in den laufenden Betrieb, und verbundene Risiken können niemals vollständig ausgeschlossen werden, sagt Ziemba von UNITED. 

Und fügt hinzu, dass die Windenergieunternehmen derzeit in der Regel keine Flächen gemeinsam nutzen, da sie befürchten, dass andere Infrastrukturen in der Umgebung ihre Turbinen beschädigen und damit die Stromerzeugung stören könnten. 

Im Falle eines Sturms könnte sich beispielsweise eine Boje oder eine Langleine von ihrer Verankerung lösen und eine Turbine beschädigen oder dazu führen, dass sie während einer Bergungsaktion nicht mehr funktioniert. 

“Für sie ist wichtig, dass ihre Turbinen so oft wie möglich in Betrieb sind und dass keine Schäden auftreten“, sagt Ziemba „Jedoch ergeben sich deutliche Vorteile durch die Kombination von Aktivitäten, und einige Betreiber sind begeistert von der Aussicht, dies umzusetzen.“   

Gewinnbringende Effekte 

Ein Mehrzweckansatz könnte für alle Beteiligten ein Gewinn sein, so Bergh.  Da der optimale Offshore-Raum immer knapper wird, die nationalen Genehmigungsverfahren oft langwierig sind und die EU die Absicht hat, die Produktion erneuerbarer Energien zu steigern, könnte es für Entwickler eines geplanten Windparks, der eine Mitbenutzungskomponente enthält, einfacher sein, eine Genehmigung zu erhalten.  

Darüber hinaus sind einige klare operative Vorteile möglich.  Zum Beispiel könnten Windparks und Aquakulturproduzenten Kosten reduzieren, indem sie Boote und Sensoren auf Schiffen, Bojen und Turbinen zur Überwachung der Anlagen gemeinsam nutzen. Letztendlich wird die Rentabilität darüber entscheiden, ob mehrfach genutzte Offshore-Standorte über das Experimentelle hinaus entstehen.  

Das UNITED-Team verfolgt bereits ein Folgeprojekt in Belgien, Dänemark, Deutschland und den Niederlanden, um zu erforschen, ob die Aquakultur in Windparks kommerziell tragfähig ist.  „Die Leute müssen damit Geld verdienen können, damit es ein Geschäftsmodell wird“, erklärt Ziemba. „Ansonsten wird dies von selbst nicht erfolgreich sein.“ 

Artikel von Michael Allen

APA-Science Content-Kooperation mit Horizon

Dieser Artikel wurde erstmals in Horizon, dem EU-Magazin für Forschung und Innovation, veröffentlicht.