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Kooperation / EU-Magazin Horizon / 22.11.2023, 14:16

Nanomaterialien: Unbedenklich oder Grund zur Sorge?

Forscher in Europa arbeiten daran, potenzielle Risiken von Nanomaterialien zu minimieren, die von einer Reihe von Branchen für technologische Fortschritte verwendet werden.

APA (AFP)
Risikoprognosen rücken in den Fokus der Forschung

Die Nachfrage nach Nanomaterialien steigt weltweit. In zahlreichen Fertigungssektoren gelten sie als Grundlage einer neuen industriellen Revolution. Schon jetzt erhöhen sie beispielsweise die von Solarzellen erzeugte Strommenge und verbessern die Haltbarkeit von Baumaterialien. Nanomaterialien versprechen aber auch unzählige neue Produkte: von besseren Medikamenten bis hin zu sauberer Energie. Sie könnten ebenso gut zu schnelleren Computern, selbstreinigender Kleidung und einer individuelleren Gesundheitsversorgung führen.

Zu den Nanomaterialien gehören synthetische Arten – zum Beispiel aus Metallen oder Kohlenstoff – oder natürlich vorkommende Varianten wie Asche und Zellulose. Sie werden in Produkten von Computern und Kleidung bis hin zu Fahrrädern und Farben verwendet. Diese Materialien bestehen jedoch aus so mikroskopisch kleinen Bestandteilen, wodurch die herkömmlichen Vorschriften zur Produktsicherheit möglicherweise nicht mehr gelten.

„Mit diesen neuen Materialien eröffnet sich eine ganz neue Welt“, erklärt Dr. Otmar Schmid, Leiter der Arbeitsgruppe Lungenaerosole am Helmholtz-Forschungszentrum München. „Viele haben andere Eigenschaften als herkömmliche Materialien, was ihr Risiko für die menschliche Gesundheit verändern kann. Das bedeutet nicht, dass Nanomaterialien zwangsläufig gefährlicher sind, aber es bedeutet, dass wir andere Methoden brauchen, um festzustellen, ob es Grund zur Sorge gibt.“

Schmid und seine Kollegen leisten Pionierarbeit, wenn es darum geht, festzustellen, wann Nanomaterialien ein Sicherheitsrisiko darstellen, und wann Unternehmen und Regierungen Maßnahmen ergreifen müssen. Bei Nanomaterialien sind die kleinsten Einheiten weniger als 100 Nanometer groß. Das ist tausendmal kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haares.

„Unsere Aufgabe ist es, diese Materialien so zu konzipieren, dass das Risiko minimiert wird“, sagte Miguel A. Bañares, Forschungsprofessor am spanischen Nationalen Forschungsrat (CSIC). „Dies muss in der Gestaltungsphase ganz oben auf der Agenda stehen.“ Bañares leitete ein von der EU gefördertes Forschungsprojekt zur Entwicklung von Computermodellen, die vorhersagen, ob ein Nanomaterial gefährlich sein könnte. Das Projekt mit der Bezeichnung NanoInformaTIX wurde im Februar 2023 nach vier Jahren abgeschlossen.

Bañares hob die Bedeutung des gesamten Forschungsgebiets hervor, indem er Nanomaterialien mit Sand verglich. „Stellen Sie sich vor, Sie haben eine verschlossene Flasche mit Sand“, sagt er einleitend. „Wenn Sie diese Flasche öffnen, wird nichts passieren. Wenn Sie jedoch eine Flasche mit Nanopartikeln öffnen, genügt es, den Deckel abzunehmen, um die Partikel zu verteilen. Sie könnten sie also zum Beispiel einatmen.“

Immer einen Schritt voraus sein

„Wir prognostizieren und modellieren die Eigenschaften des Nanomaterials“, sagt Bañares. „Auf diese Weise können wir besser verstehen, wie sie mit der Umwelt und dem menschlichen Körper interagieren werden.“ Solche Informationen können für Unternehmen bei der Entwicklung dieser Materialien und für Regulierungsbehörden bei der Abwägung der Produktsicherheit nützlich sein.

Bisher wurden die gesetzlichen Regelungen in Europa und anderswo zwar aktualisiert, um einfache Nanomaterialien abzudecken. Die Herausforderung besteht aber darin, sicherzustellen, dass die Vorschriften mit der Entwicklung der nächsten Generation von Nanomaterialien Schritt halten, die mehr Komponenten und eine größere Komplexität aufweisen werden.

Nächste Generation

Zusammen mit seinem Kollegen Dr. Tobias Stoeger koordiniert Schmid ein von der EU finanziertes Forschungsprojekt, das sicherstellen soll, dass zukünftige Nanomaterialien sicher sind. Das Projekt trägt den Namen HARMLESS, läuft über vier Jahre bis Ende Jänner 2025 und konzentriert sich auf Materialien mit neuen Formen. „Wir entwickeln Messmethoden und Modellierungstechniken“, erklärt Schmid. „Mit ihnen können wir und andere sehen, wie viel Risiko ein Material darstellt.“

Er verwendet das Beispiel der Batterien, um die Herausforderung für die Forschung und die Regulierung zu verdeutlichen, da diese eine „enorme Menge“ an chemischer Komplexität aufweisen. „Es gibt Milliarden von Parametern, die verändert werden können, um die Leistung zu optimieren, die sich aber auch als gefährlich erweisen können“, so Schmid.

Nanomaterialien können nur dann riskant sein, wenn sie in bestimmten Mengen vorhanden sind oder wenn sie zusammen mit anderen Materialien verwendet werden. Eine Priorität für HARMLESS besteht darin, mehr über die richtigen Mengen und Kombinationen von Nanomaterialien zu erfahren. „Es gibt eine Wissenslücke“, sagt Schmid. „Wir müssen die zugrunde liegenden biologischen Mechanismen verstehen, die mit diesen Materialien verbunden sind. Wenn wir diese kennen, können wir entscheiden, wie hoch die sichere Belastung ist.“

Sicher durch Design

Ein Ziel ist es, die Sicherheit in der Designphase neuer Nanomaterialien zu gewährleisten. Unter der Bezeichnung „Safe and Sustainable by Design“ (SSbD) würde dies die derzeitige Situation vermeiden, in der Unternehmen zuerst Materialien entwickeln und deren potenzielle Risiken erst später bewerten. „Die Unternehmen müssen von Anfang an sichere und nachhaltige Produkte herstellen“, sagte Schmid. „Sie wollen kein Geld verschwenden, um etwas zu produzieren, das sich als gefährlich erweist.“

Im Jahr 2022 veröffentlichte die Europäische Kommission einen SSbD-Bericht über Chemikalien und Materialien, um einen Rahmen für weitere Maßnahmen von Regulierungsbehörden und Unternehmen in diesem Bereich zu schaffen. Der Bericht und Projekte wie HARMLESS und NanoInformaTIX unterstreichen die Notwendigkeit, dass Regierungen und Industrie bei der zukünftigen Sicherheit von Nanomaterialien zusammenarbeiten.

Hand in Hand

EU-Forschungsprojekte versorgen die Regulierungsbehörden mit Informationen, um ihr eigenes Wissen über die Materialien zu verbessern und dem sich schnell entwickelnden Markt einen Schritt voraus zu sein. „Die Regulierungsbehörden sind auf ihr Wissen angewiesen“, sagt Bañares. „Es ist sehr wichtig, dass die Informationen, die wir sammeln, für sie verständlich aufbereitet sind.“

Gleichzeitig sind neue Nanomaterialien oft so komplex, dass ein Teil der Verantwortung für die Sicherheit bei den Unternehmen selbst verbleiben wird, so Schmid. „Diese Materialien sind unglaublich fortschrittlich“, sagte er. „Sie sind nur sehr schwer im Voraus zu regulieren.“

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Artikel von Tom Cassauwers

APA-Science Content-Kooperation mit Horizon

Recherchen zu diesem Artikel wurden von der EU gefördert. Die Ansichten der Befragten spiegeln nicht unbedingt die der Europäischen Kommission wider. Dieser Artikel wurde ursprünglich in Horizon, dem EU-Magazin für Forschung und Innovation, veröffentlicht.