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Kooperation / EU-Magazin Horizon / 26.07.2023, 11:49

Neuer Verbündeter im Kampf gegen die Bodenverschmutzung

Die Antwort auf die Sanierung kontaminierter Industriestandorte in Europa könnte in den Mikroben liegen, die dort bereits vorhanden sind.

APA/dpa/Wolfgang Thieme
In der EU gibt es 2,8 Millionen kontaminierte Standorte

Bäume und andere Vegetation wachsen auf dem Gelände einer ehemaligen Seifenfabrik im Nordwesten Frankreichs.

Obwohl das Grün den Eindruck erweckt, dass in der Gemeinde Ploufragan an der bretonischen Küste alles in Ordnung ist, hat eine Anlage zur Herstellung von Reinigungsmitteln in Wahrheit ein Chaos hinterlassen. Der umliegende Boden ist mit giftigen Kohlenwasserstoffen gesättigt: Nebenprodukte der Seifenproduktion.

Drängendes Problem

Die Bekämpfung solcher Umweltschäden ist eine Priorität für Dr. Thomas Reichenauer im Rahmen eines von der EU geförderten Forschungsprojekts. In diesem Projekt untersucht er, wie Mikroben zur Beseitigung von Schadstoffen im Boden und Grundwasser eingesetzt werden können.

Das Problem ist drängend, da giftige Substanzen im Boden in Pflanzen eindringen können, die dann von Tieren gefressen werden und ins Grundwasser gelangen können, so Reichenauer, leitender Wissenschaftler am Austrian Institute of Technology (AIT) in Wien.

„Bei diesen Schadstoffen, an denen wir arbeiten, wird es Jahrzehnte – oder Hunderte von Jahren – dauern, bis die Natur sie vollständig abgebaut hat“, erklärt er.

In der EU gibt es schätzungsweise 2,8 Millionen kontaminierte Standorte, von alten Industriegebieten bis hin zu Mülldeponien. Die Bemühungen zur Säuberung sind in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich, wobei Deutschland und die Niederlande führend sind.

Die Dimension des Grundwassers ist umso akuter, als sich der Klimawandel verschärft, der immer schwerere Dürren zu verursachen droht. Auch wenn das Grundwasser eine immer wertvollere Ressource wird, kann es sein, dass weniger davon zum Trinken zur Verfügung steht, wenn es industrielle Schadstoffe enthält.

Reichenauer koordiniert ein Projekt namens MIBIREM, das von der EU finanziert wird, um den Prozess der Dekontaminierung von Boden und Grundwasser zu beschleunigen, indem mehr über das Mikrobiom – die Ansammlung von Mikroorganismen in einer bestimmten Umgebung – gelernt wird.

Die Wissenschaftler versuchen herauszufinden, wie Mikroben zusammenwirken, um drei bestimmte Schadstoffe abzubauen: Cyanide, Hexachlorcyclohexan und Erdölkohlenwasserstoffe.

Erdölkohlenwasserstoffe sind weit verbreitet. Cyanide und Hexachlorcyclohexan kommen zwar weniger häufig vor, sind aber giftig genug, um die Entwicklung von Technologien zu ihrem Abbau zu rechtfertigen.

Die Initiative begann im Oktober 2022 und läuft bis Ende März 2027.

Endlich los!

Der Prozess, durch den Mikroben dazu angeregt werden können, ihren Verbrauch an Schadstoffen zu steigern, wird Bioremediation genannt.

Im Falle von Cyaniden könnte dem Boden zum Beispiel Glukose zugesetzt werden, so Reichenauer, der ursprünglich als Genetiker und Pflanzenphysiologe ausgebildet wurde. „Die Bioremediation ist umweltfreundlich, da wir keine giftigen oder gefährlichen Chemikalien einsetzen müssen“, erklärt er.

Es gibt noch andere Möglichkeiten, Schadstoffe aus dem Boden zu entfernen. Pflanzen wurden als potenzielle Methode zur Entfernung von Schwermetallen untersucht. Aber es gibt nur wenige kommerzielle Projekte, weil der Entfernungsprozess – eine andere Form der Bioremediation – langsam ist.

Chemische Sanierungen sind zwar schneller, bieten aber nur eine Teillösung, da sie in der Regel giftige Substanzen entfernen, indem sie von Anfang an weniger hinzufügen.

MIBIREM wird sich ganz auf den Einsatz von Mikroben konzentrieren, da diese laut Reichenauer die schnellste und umweltfreundlichste Option darstellen.

Tools für den Boden

Das Projekt will letztendlich Tools zur Bioremediation für verschiedene Industriestandorte in Europa entwickeln. In einigen Fällen hoffen die Wissenschaftler, besonders nützliche Mikroben zu identifizieren und sie für eine spätere Verwendung zu speichern.

MIBIREM konzentriert sich auf die Entwicklung von Technologien, die vor Ort eingesetzt werden können, um den mühsamen Aushub und Transport von Erde zu vermeiden. Da das Projekt hauptsächlich auf Industriestandorte abzielt, die sich oft in städtischen Gebieten befinden, ist die Behandlung des Bodens am ursprünglichen Ort manchmal die einzige Option.

Im Falle des Fabrikgeländes in Ploufragan, wo bis Mitte der 1990er Jahre fast ein halbes Jahrhundert lang Seife hergestellt wurde, würde dies bedeuten, dass man das Gebiet behandeln kann, ohne die Vegetation, die dort seit dem Abriss der Gebäude im Jahr 2017 gewachsen ist, auszugraben.

„Wenn Sie nachweisen können, dass es auf den Feldern funktioniert, dann besteht eine gute Chance, dass es später auch kommerziell eingesetzt werden kann“, so Reichenauer.

Der globale Markt für mikrobielle Bioremediation wurde im Jahr 2021 auf rund 42 Millionen Euro geschätzt. Es wird erwartet, dass er bis zum Ende des Jahrzehnts auf etwa 85 Millionen Euro anwächst.

Reichenauer versucht, alle Bedenken zu zerstreuen, die die Menschen im Hinblick auf die Veränderung des Mikrobioms des Bodens zur Beseitigung von Schadstoffen haben könnten, und sagt, solche Veränderungen seien weder negativ noch positiv und entstünden im Einklang mit den Umwelteinflüssen, unabhängig von jeglichem menschlichen Eingriff.

MIBIREM könnte der EU helfen, die Ziele der Mission „Ein Bodenabkommen für Europa“ zu erreichen, die einen Übergang zu gesunden Böden bis 2030 anstrebt.

Pilotprojekte

Der Einsatz von Mikroben zur Bioremediation stand auch im Mittelpunkt eines von der EU finanzierten Projekts namens GREENER, das im August dieses Jahres nach viereinhalb Jahren abgeschlossen wird. Dazu gehören Pilotprojekte in Belgien, Irland, Spanien und China.

In der spanischen Stadt Toledo zum Beispiel wurde der Boden eines ehemaligen Maschinenparks ausgehoben und vor Ort behandelt, wobei Mikroben eingesetzt wurden, um Kohlenwasserstoffe zu entfernen. In einem Feuchtgebiet in Belgien ermöglichten Mikroben die Entfernung von Schwermetallen aus dem Grundwasser, ohne es zu extrahieren.

„Wir arbeiten mit Kunden zusammen, die ein Kontaminationsproblem haben, und unterstützen Unternehmen, die die Sanierung des Standorts durchführen“, erklärt Rocío Barros, die Projektkoordinatorin. „Ein besseres Verständnis des Mikrobioms im Boden wird für die Verbesserung von Technologien zur Bekämpfung der Bodenverschmutzung sehr wichtig sein.“

Energiewinkel

GREENER ging in einer Hinsicht über MIBIREM hinaus: Es versuchte, während des Bioremediationsprozesses Energie zu erzeugen.

Durch die Kopplung von Energieerzeugung mit Boden- und Abwasserreinigung wollte GREENER dazu beitragen, die Energiequellen der EU zu diversifizieren und gleichzeitig Schadstoffe aus der Umwelt zu entfernen.

Die Energiekomponente beinhaltet den Einsatz von mikrobiellen Brennstoffzellen. Wenn Mikroben organische Moleküle wie Kohlenwasserstoffe abbauen, wird chemische Energie in nutzbare elektrische Energie umgewandelt.

Laut Barros, die eine Forschungsgruppe für Umwelt, Nachhaltigkeit und Toxikologie an der Universität Burgos in Spanien leitet, sind die Ergebnisse an dieser Front nicht sehr vielversprechend, wenn es darum geht, diese Aktivitäten zu verstärken.

„Nicht alle mikrobiellen Brennstoffzellen haben eine ausreichende Leistung erreicht, um in größerem Maßstab eingesetzt zu werden“, erklärt sie.

Dieser Aspekt des Projekts verdeutlicht die Risiken, die mit Forschung und Entwicklung verbunden sind, und damit auch die Bedeutung von Finanzierungsquellen, einschließlich der EU.

Einige der mikrobiellen Brennstoffzellen, die zur Wasseraufbereitung eingesetzt werden, haben ihr Potenzial bewiesen. „Die Nutzung der Brennstoffzellen in den Feuchtgebieten war sehr gut“, sagt Barros.

In der Hoffnung, dass mikrobielle Brennstoffzellen weiter verbessert werden können, versucht sie nun, einen Film zu entwickeln, der auf die Zellen aufgetragen werden kann, um die Stromerzeugung zu verbessern.

EU-MISSION: EIN BODENABKOMMEN FÜR EUROPA

„Ein Bodenabkommen für Europa“ soll die Verschmutzung des Bodens verringern und die zahlreichen Arten, die in ihm leben, schützen. Aktuell weisen etwa 60-70 % der Böden in der EU Schätzungen zufolge einen ungesunden Zustand auf.

Die Mission spiegelt die Rolle des Bodens als Grundlage für die Nahrungsmittelproduktion, Süßwasser, biologische Vielfalt und kulturelles Erbe wider. 100 Testflächen, auch auf einzelnen Bauernhöfen, werden das Ziel der Mission anführen, bis 2030 zu gesünderen Böden überzugehen.

Lesen Sie hier mehr über die EU-Bodenmission. 

Weitere Infos

Artikel von Jack McGovan

APA-Science Content-Kooperation mit Horizon

Recherchen zu diesem Artikel wurden von der EU gefördert. Dieser Artikel wurde erstmals in Horizon, dem EU-Magazin für Forschung und Innovation, veröffentlicht.