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Kooperation / EU-Magazin Horizon / 08.01.2025, 14:00

Rösten von Kastanien und Recycling von Walnüssen: Wie festliche Leckereien in neue, nachhaltige Materialien verwandelt werden

EU-geförderte Forscher erforschen, wie man aus schwer zu knackenden Nussschalen starke und nachhaltige neue Materialien herstellen kann.

APA/dpa
Walnussbäume könnten in Zukunft wichtiger werden, weil sie robuste, widerstandsfähige Bäume mit gutem Holz und gesunden Nüssen sind.

Dr. Notburga Gierlinger, eine österreichische Forscherin, die sich auf die Untersuchung der Struktur und Zusammensetzung pflanzlicher Materialien spezialisiert hat, ist besonders von Nüssen fasziniert.  Wenn sie eine Pistazie oder Walnuss vor sich hat, öffnet sie diese behutsam, fasziniert von der Art, wie die Natur solche starken Materialien erschaffen kann.
„Die Schalen sind so hart, dass ich Angst habe, meine Zähne zu beschädigen, wenn ich sie damit öffne“, sagt Gierlinger, außerordentliche Professorin für Materialwissenschaften an der BOKU Universität für Bodenkultur und Lebenswissenschaften in Wien, Österreich.

Ein Teil des Puzzles

Einer von Gierlingers Hauptforschungsbereichen ist die Anwendung einer Technik namens Raman-Bildgebung, um die Verteilung von Lignin, Zellulose und anderen Biomolekülen in den Zellwänden von Pflanzen zu untersuchen. Das Ziel ist es, deren mechanische Eigenschaften und Funktionen zu verstehen.  Bei weiteren Untersuchungen im Rahmen des fünfjährigen, von der EU geförderten Forschungsprojekts SCATAPNUT entdeckte Gierlinger mit ihrem Team, dass Nussschalen wie die von Pistazien und Walnüssen 3D-Puzzle-Zellen enthalten: Zellen mit einzigartigen, ineinandergreifenden Strukturen, die den Teilen eines Puzzles ähneln. Dies trägt zu ihrer ungewöhnlichen Stärke und Haltbarkeit bei.

Von ihren Entdeckungen fasziniert, leitet Gierlinger nun weitere, von der EU geförderte Forschungen im Projekt namens PUZZLE MATERIALS, das untersucht, wie funktionale Materialien für industrielle Anwendungen aus Pistazien- und Walnussschalen hergestellt werden können. Das Vorhandensein der Puzzle-Zellen bedeutet, dass Nussschalen andere Eigenschaften aufweisen als die Fasern, die man gewöhnlich in Pflanzen wie Hanf oder Holz findet. Gierlinger und ihr Team untersuchen derzeit, welche neuen Materialien aus Nussschalen hergestellt werden könnten und wie diese am besten genutzt werden können.  Die speziellen Eigenschaften der Puzzle-Zellen machen sie besonders interessant für die Umwandlung in biologisch abbaubaren Biokunststoff.

Nachhaltig auf Nüsse setzen

Im Jahr 2020 verabschiedete die EU einen neuen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft als Teil des europäischen Green Deal. Dieser umfasst die Förderung der Entwicklung neuer Materialien, die den Abfall reduzieren und die Umweltbelastung verringern.  Gierlingers Vorschlag sieht die Verwendung eines aktuellen Abfallmaterials – Nussschalen – zur Herstellung neuer Materialien vor, die möglicherweise Kunststoffe ersetzen könnten und somit einen zweifachen Umweltnutzen bieten.  Da der durchschnittliche Europäer im Jahr 2022 etwa 186,5 kg Verpackungsabfall verursacht hat, sind wieder verwendbare und kompostierbare Materialien dringender denn je erforderlich.

Gierlinger hofft, dass ein aus Nussschalen hergestelltes Material eine von vielen Lösungen sein könnte, die zur Reduzierung von Kunststoffabfällen in Europa und weltweit beitragen. „Ich denke, Walnussbäume könnten in der Zukunft wichtiger werden, weil sie robuste, widerstandsfähige Bäume mit gutem Holz und gesunden Nüssen sind“, erklärt sie. „Wir versuchen immer, darüber nachzudenken, welche Produkte in einer nachhaltigen Gesellschaft an Bedeutung gewinnen könnten.“ Ihr Vorschlag passt gut zum freiwilligen EU-Rahmen „Safe and Sustainable by Design“, der den Entwicklungsprozess sicherer und nachhaltiger Chemikalien und Materialien unterstützt.

Ein nachhaltiges Verfahren

Gierlinger und ihr Forschungsteam untersuchen Möglichkeiten, wie entsorgte Nussschalen sowohl effizient als auch umweltfreundlich verarbeitet werden können. Der erste Schritt besteht darin, Walnussschalen in einem Lösungsmittel aufzulösen, um die Zellen zu trennen und Lignin zu regenerieren. Der entstehenden Masse wird außerdem Zellulose aus Kombucha-Verarbeitungsabfällen oder Bioreaktoren in unterschiedlichen Mengen zugesetzt, je nach gewünschter Flexibilität des Endprodukts. Die Forscher untersuchen verschiedene Nussmaterial-Optionen, darunter ein lederähnliches und ein kunststoffähnliches Produkt. Das Ziel ist es, nachhaltige, energieeffiziente, ressourcenschonende und biologisch abbaubare Nussschalenmaterialien mit einem niedrigen CO₂- und Umwelt-Fußabdruck herzustellen, die speziell für die Verpackungs- und Textilindustrie entwickelt wurden.

Paraskevi Charalambous, Biochemikerin und Materialwissenschaftlerin an der BOKU, ist Teil des Forschungsteams, das an diesem Verfahren arbeitet. Ein bemerkenswerter Beitrag von ihr behandelt die Forschung an Lösungsmitteln mit einem sehr niedrigen Schmelzpunkt. Das Ziel ist, ein Lösungsmittel zu finden, das selbst recycelbar ist – eine Herausforderung, wie Charalambous einräumt. „Es war nicht einfach, die Chemikalie, die wir verwenden, wieder in ihrer ursprünglichen Form zurückzubekommen“, fügt sie hinzu. Seit Beginn des Projekts im Jahr 2023 wurden erhebliche Fortschritte erzielt, und die Forscher konnten mehrere Muster herstellen, darunter auch ein Muster einer Brieftasche aus Nussleder.

Der große Vorteil des Materials ist seine Recycelbarkeit und Kompostierbarkeit – egal ob als Leder oder Kunststoff. In der Regel sind Verbundmaterialien – eine Kombination von zwei Materialien mit unterschiedlichen Eigenschaften – schwer zu recyceln, weil andere Chemikalien hinzugefügt werden, um die Funktion des Materials anzupassen.  Bei dem in diesem Fall angewandten Verfahren ist dies nicht der Fall, so dass das Produkt wieder aufgelöst und wiederverwendet werden kann. Laut Gierlinger ist es auch möglich, das Material bei Bedarf zu kompostieren, wobei sie jedoch vorrangig auf Wiederverwendung und Recycling setzt.

Sobald der beste Weg nach vorne festgelegt ist, besteht das Ziel darin, diese neuen nussbasierten Materialien in die Produktion zu überführen. „Der nächste Schritt wäre, Unternehmen zu finden, die interessiert sind“, fügt Gierlinger abschließend hinzu. Die Forschung in diesem Artikel wurde vom Europäischen Forschungsrat (ERC) finanziert. Die Ansichten der Interviewpartner spiegeln nicht unbedingt die der Europäischen Kommission wider.

Von Jack McGovan

Weitere Informationen:

SCATAPNUT
PUZZLE MATERIALS
EU-Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft
EU-Rahmen für Sicherheit und Nachhaltigkeit durch Technik
Biobasierte Produkte und Prozesse in der EU

APA-Science Content-Kooperation mit Horizon

Die Forschung in diesem Artikel wurde vom Europäischen Forschungsrat (ERC) finanziert. Die Ansichten der Interviewpartner spiegeln nicht unbedingt die der Europäischen Kommission wider. Dieser Artikel wurde ursprünglich in Horizon, dem EU-Magazin für Forschung und Innovation, veröffentlicht.