So kann der qualvolle Tod von männlichen Küken verhindert werden
Durch die Identifizierung des Geschlechts von Küken noch in den Eiern könnten die von der EU finanzierten Technologien dazu beitragen, die Tötung von Millionen Geflügel pro Jahr zu verhindern.
Wil Stutterheim hat eine Mission: Er will verhindern, dass jedes Jahr Milliarden von frisch geschlüpften Küken in der globalen Geflügelindustrie geschlachtet werden.
Männliche Küken gelten für die Geflügelzüchter als weitgehend nutzlos, da sie keine Eier legen und weniger Fleisch produzieren als weibliche Tiere. Infolgedessen werden allein in der EU jedes Jahr schätzungsweise 330 Millionen männliche Küken fast unmittelbar nach dem Schlüpfen getötet.
Ein Duo mit einer Mission
Zusätzlich zu den Protesten von Tierschutzorganisationen haben mehrere Mitgliedstaaten ein EU-weites Verbot dieser Praxis gefordert, die in Deutschland und Frankreich bereits verboten ist. Für Stutterheim, einen niederländischen Unternehmer, ist die Rettung männlicher Küken bereits seit 2011 ein erklärtes Ziel.
Er und Wouter Bruins, ein Kommilitone aus dem Fachbereich Biomedizin an der Universität Leiden in den Niederlanden, suchten nach Lösungen für heikle Probleme als Prüfung für ihren angehenden Unternehmergeist. Erst als Bruins mit Geflügelzüchtern sprach, fiel der Groschen.
„Einer dieser Landwirte erzählte ihm, dass für jede Henne in seinem Stall ein männliches Küken getötet wurde“, so Stutterheim. Diese Erkenntnis veranlasste die beiden 2013, ein Unternehmen – In Ovo – zu gründen, das sich der Suche nach humaneren Lösungen für den Geflügelsektor widmet. Der Durchbruch gelang 2016, als die beiden einen einzigen Biomarker identifizieren konnten, mit dem sich das Geschlecht einer Eizelle schnell und in großen Mengen bestimmen lässt.
Mit Hilfe von EU-Mitteln für ihr InOvotive-Projekt, das 2020 begann und letztes Jahr endete, entwickelten und erweiterten Stutterheim und Bruins ein System, das die jährliche Keulung von Millionen von männlichen Küken verhindert.
Geschlechtsprüfung
Die von der Leidener Firma In Ovo angebotene Hightech-Lösung heißt „Ella“, der Name der Tochter des leitenden Ingenieurs und das spanische Wort für „sie“.
Trays mit Hunderten von Eiern durchlaufen eine Maschine, die das Geschlecht der ungeborenen Küken identifiziert – in weniger als einer Sekunde.
„Wir stechen mit einer kleinen Nadel ein winziges Loch in die Eier, entnehmen ein wenig Flüssigkeit und analysieren diese dann mit einer sehr schnellen Screening-Methode“, erläutert Stutterheim.
Jede Probe wird auf einen natürlichen Biomarker untersucht, der das Geschlecht des Embryos anzeigt. Danach werden die Eier gestempelt und sortiert. Genmodifizierung ist hierbei nicht notwendig.
Wenn es sich um ein Weibchen handelt, verbleibt das Ei in der Brüterei, wo es bis zum Schlüpfen des Kükens warm gehalten wird. Wenn es sich um ein männliches Ei handelt, muss es nicht bebrütet werden – was unnötige Kosten spart – und kann für die Herstellung von Tierfutter, Arzneimitteln oder Kosmetika wiederverwendet werden.
Die Verhinderung der Geburt männlicher Küken spart auch die Kosten für die Aufzucht männlicher Hühner zur Fleischgewinnung. Die Hähnchen wachsen viel langsamer als die Hühnchen und benötigen mehr Zeit und Futter.
Das System wird seit 2020 in einer niederländischen kommerziellen Brüterei eingesetzt und soll bald auch in Belgien in Betrieb genommen werden. Eine Ausweitung auf andere Regionen der Welt ist geplant. Geflügelzüchter aus der Schweiz und Deutschland sowie aus Amerika und Neuseeland haben ihr Interesse bekundet.
„Ziel von In Ovo ist es, eine Lösung für so viele Märkte wie möglich anzubieten, da wir die Praxis der männlichen Keulung in der Geflügelindustrie vollständig beenden wollen“, sagt Stutterheim.
Seiner Meinung nach ist diese Entwicklung unvermeidlich, da die Verbraucher Eier ohne Schuldgefühle essen wollen. „Dies ist ein großes ethisches Problem im Bereich des Tierschutzes, und deshalb arbeiten wir gerne daran“, erklärt Stutterheim.
Inspiration aus der Kindheit
Er ist nicht der einzige, den das Schicksal der männlichen Küken zum Handeln bewegt. Der Anwalt Yehuda Elram, der auf der Hühnerfarm seiner Großeltern mitgeholfen hat, hat ebenfalls dazu beigetragen, einen Weg zu finden, die Praxis des Kükentötens zu beenden.
Als Dani Offen, Professor für Neurowissenschaften an der Universität Tel Aviv, Elram von den Möglichkeiten einer neuen Gen-Editing-Technologie namens CRISPR erzählte, ergriff dieser die Gelegenheit. Offen beschreibt dies als „Revolution“. Das Ergebnis war eggXYt, ein israelisches Start-up-Unternehmen, das einen Scanner entwickelt hat, mit dem sich das Geschlecht von Hühnerembryonen im Ei schnell und nicht-invasiv bestimmen lässt.
Die EU unterstützte im Oktober 2019 ein nach dem Unternehmen benanntes 30-monatiges Projekt zur Weiterentwicklung der Technologie.
„Es ist eine perfekte, einfache und geniale Lösung“, sagt Elram, Mitbegründer und Geschäftsführer von eggXYt.
Offen suchte nach einer Möglichkeit, durch die Eischale hindurchzusehen, um festzustellen, ob der Embryo männlich oder weiblich ist, ohne das Ei zu beschädigen. CRISPR ermöglicht dies, indem es die Gene der Mutterhühner präzise bearbeitet und ein Stück DNA hinzufügt, das ihren männlichen Embryonen einen fluoreszierenden Biomarker verleiht. Dadurch leuchten die männlichen Eier unter dem Scanner, so dass sie leicht von den weiblichen Eiern getrennt werden können.
Indem eggXYt das Ei durch die Schale hindurch scannt, verhindert es nicht nur das unnötige Ausbrüten und den schnellen Tod männlicher Küken, sondern spart der Geflügelindustrie auch Milliarden an Kosten für das Ausbrüten und die manuelle Geschlechtsbestimmung. Genau wie bei InOvotiv werden nicht bebrütete männliche Eier weiterverwendet, so dass kein Abfall entsteht.
Die Technologie steht kurz vor der Markteinführung auf strategischen Märkten in Europa und Asien.
Vogelgrippe als Nächstes?
Bei eggXYt glaubt man, dass CRISPR ein weiteres Problem der Geflügelindustrie lösen und das Schlachten von mehr als nur männlichen Küken verhindern könnte durch den Fokus auf die Vogelgrippe.
Da CRISPR auf dem Gen-Editing basiert, bietet es die Möglichkeit, die DNA von Hühnern so zu verändern, dass sie vor der Vogelgrippe geschützt sind. Im Grunde geht es darum, einen Abschnitt der Hühner-DNA zu löschen, um zu verhindern, dass das Virus die Zellen befällt.
Die Vogelgrippe kann von Wildvögeln auf Hausgeflügel übertragen werden. Es ist im Allgemeinen für die infizierten Hühner und Truthähne tödlich. Wasservögel infizieren sich meist nur damit, sterben aber nicht daran und fungieren dann als Überträger des Virus. Die Atemwegserkrankung verursacht der Geflügelindustrie Verluste in Milliardenhöhe und bringt die Landwirte, die ihre Geflügelbestände töten müssen, in Bedrängnis.
Aus diesem Grund sucht eggXYt auch nach einem Weg, Hühner gegen die Vogelgrippe zu immunisieren. „Das ist eine große Sache“, sagt Elram. „CRISPR könnte auch zur Lösung dieses anderen unlösbaren Problems genutzt werden.“
Weitere Infos
Von Pieter Devuyst
Recherchen zu diesem Artikel wurden von der EU gefördert. Dieser Artikel wurde erstmals in Horizon, dem EU-Magazin für Forschung und Innovation, veröffentlicht.