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Kooperation / EU-Magazin Horizon / 10.01.2024, 14:57

Vogelgezwitscher, frische Luft und Grün beeinflussen die Gesundheit

Die Natur wird in der EU genutzt, um das Wohlbefinden der Menschen in den Städten zu steigern und Einsamkeit zu bekämpfen. 

APA/dpa/Frank Rumpenhorst
Schon ein wenig Natur verbessert das Wohlbefinden

Ihre Recherchen zu den gesundheitlichen Vorteilen der Gemeinschaftsgärten in Denver im US-Bundesstaat Colorado brachten Professor Jill Litt dazu, in Städten in aller Welt zu verbreiten, welch großen Beitrag die Natur zum Wohlbefinden leistet.  

Litt beobachtete, dass städtische Gärten nicht nur sportliche Aktivitäten oder eine gesunde Ernährung förderten, sondern auch dafür sorgten, dass sich die Menschen generell besser fühlten. Sie halfen ihnen, neue Bekanntschaften zu schließen, und linderten Ängste. 

Allgemeine Zufriedenheit 

„Es war, als würden die Befragten ihre Antworten von einem Skript ablesen“, so Litt, leitende Wissenschaftlerin am Barcelona Institute of Global Health (ISGlobal) in Spanien. „Sie sprachen alle über das gute Gefühl, sich die Hände mit Erde schmutzig zu machen, aber auch von der Erholung vom Leben in der Stadt.“ 

Sie interessiert sich dafür, wie Menschen mit Landschaften interagieren und ob sich durch solche Verbindungen Krankheiten vermeiden lassen. Die Erfolge, die Litt beim Urban Gardening beobachtete, ließen sie vermuten, dass ein Zusammenhang zwischen der Natur und dem Wohlergehen von Stadtmenschen besteht.  

„Selbst in sehr städtischen, zugebauten Umgebungen hörten sie Vogelgezwitscher, spürten den Wind im Gesicht und im Haar und hatten ein Gefühl inneren Friedens“, berichtet sie.  Litt glaubt, dass die ästhetischen, physischen und sozialen Aspekte solcher Aktivitäten die Wahrnehmungen der Menschen verstärken, einen emotionalen Effekt haben und ihr allgemeines Wohlbefinden steigern. 

Sie stellt ihre Idee im Rahmen eines von der EU finanzierten Forschungsprojekts auf die Probe, um herauszufinden, wie sich durch Aktivitäten in der Natur eine Ursache für Krankheiten bekämpfen lässt, die von der Medizin häufig übersehen und von der Gesellschaft stigmatisiert wird: Einsamkeit. 

Das Projekt namens RECETAS läuft insgesamt fünf Jahre, bis Februar 2026. An der von ISGlobal geleiteten Initiative sind PartnerInnen aus fünf EU-Staaten – Österreich, Tschechien, Finnland, Frankreich und Spanien – sowie aus dem Vereinigten Königreich, Australien und Ecuador beteiligt.  

Einsamkeit ist in Europa weitverbreitet und betrifft Menschen unabhängig von Alter oder Herkunft. Die erste EU-weite Umfrage zu diesem Thema im Jahr 2022 ergab, dass sich 13 % der Befragten in den vorangegangenen vier Wochen einen Großteil der Zeit oder ständig einsam gefühlt hatten, und 35 % gaben an, dieses Gefühl mindestens einen Teil der Zeit verspürt zu haben. 

Einsamkeit gefährdet zwar die psychische und physische Gesundheit, wird aber meist erst bekämpft, wenn sie zu Beeinträchtigungen führt, die ein medizinisches Eingreifen erfordern. 

 

Frische Luft und Freundschaften 

In sechs Städten – Barcelona, Marseille, Prag und Helsinki in der EU sowie Cuenca in Ecuador und Melbourne in Australien – stellen die Forschenden Nachbarschaftsgruppen zusammen, die sich in der Natur treffen.  

Laut Litt wurden die Beteiligten von Pflegefachkräften als einsam eingestuft und an die RECETAS-Forschenden verwiesen. Die Gruppen suchen sich aus den Angeboten vor Ort Aktivitäten aus wie den Besuch eines Parks oder Botanischen Gartens oder einen Spaziergang am Meer oder einem Fluss. 

In einem begleitenden Kurs sollen die Teilnehmenden lernen, Anzeichen und Symptome von Einsamkeit zu erkennen und während der Aktivitäten mit anderen in Kontakt zu treten, um diese zu lindern.  Die wöchentlichen Treffen beinhalten auch eine Zeit der Reflexion für Tagebucheinträge über die Zeit in der Natur, Achtsamkeitsübungen oder Meditation.  

„Die Natur ist das Schmiermittel, das die Menschen dazu bringt, sich zu öffnen“, meint Litt, die auch am Department of Environmental Studies der University of Colorado Boulder tätig ist. „Selbst eher stillen Personen hilft die Gruppe auf eine bestimmte Weise sehr. Es ist einfach wunderbar, diese Gruppen zu begleiten und zu hören, wie sehr sie eine Leere im Leben der Menschen füllen.“ 

Die tschechische Doktorandin Blanka Novotná stimmt ihr zu.  Novotná arbeitet im Centre of Expertise in Longevity and Long-term Care der Karls-Universität in Prag und sagt, in der Projektgruppe entstandene Freundschaften haben mindestens einer Person geholfen, eine schwere Zeit zu überstehen.  

Sie berichtet von einer Frau, die wenige Wochen nach dem Tod ihres Ehemanns zu der Gruppe stieß und am Anfang zu aufgewühlt war, um mit den anderen zu sprechen. Während eines Waldspaziergangs versicherte ihr ein anderes Gruppenmitglied, das ebenfalls trauerte, dass die Zeit und die Natur ihr helfen würden, die Trauer zu bewältigen. Dies war eine willkommene Unterstützung.  

Hinter jeder Gruppe stehen SozialarbeiterInnen, medizinische Fachkräfte, Fachleute für Landplanung und BiologInnen, die sich mit der Schnittstelle zwischen Natur und psychischer Gesundheit befassen. Eine der Fachkräfte fungiert in den ersten neun Wochen auch als Gruppenleitung. Anschließend soll die Gruppe auf der Grundlage der geknüpften Freundschaften von alleine fortbestehen. 

Grüne Routen 

Laut Dr. Tadhg MacIntyre, einem Umweltpsychologen von der Maynooth University in Irland, lieferten die COVID-19-Pandemie und die deswegen verhängten Lockdowns neue Erkenntnisse, warum Menschen Grünflächen nutzen und wie sie davon profitieren.  

Er sagte, ihre Motive waren meist soziale Interaktion und psychisches Wohlbefinden und nicht sportliche Aktivitäten.  „Die Menschen merkten, dass es um den Kontakt zu NachbarInnen, FreundInnen und Familienmitgliedern ging oder einfach die Möglichkeit, unter einem Baum zu sitzen, die Natur zu genießen und ihre regenerativen Kräfte zu erleben“, so MacIntyre. 

Er leitet ein weiteres von der EU finanziertes Projekt, bei dem untersucht wird, wie die Natur die menschliche Gesundheit fördern kann. Das Projekt GO GREEN ROUTES wurde mitten in der Pandemie im September 2020 gestartet und läuft bis August 2024.  

In sechs urbanen Zentren – Burgas an der bulgarischen Schwarzmeerküste, Limerick in Irland, Lahti in Finnland, der estnischen Hauptstadt Tallinn, Umeå in Schweden und Versailles nahe der französischen Hauptstadt Paris – bauen die Forschenden Parks und Grünflächen auf oder erneuern diese. 

In Limerick entstand so eine 1,2 Kilometer lange Route durch einen Vorort der Stadt. Dr. Mark Lyons, der dort wohnt und an der University of Limerick zu Stärken und Konditionierung lehrt, nutzt die neue Strecke zum Walken und Joggen, während seine Kinder dort Rad und Roller fahren. 

„Das ist mittlerweile eine viel genutzte Verbindung zwischen den örtlichen Schulen, auf der die Leute abseits der verkehrsreichen Straßen gehen und Rad fahren können“, berichtet Lyons. „RadfahrerInnen, SpaziergängerInnen und LäuferInnen können die Strecke sicher nutzen. Eine sehr große Zielgruppe ist hier unterwegs und das ist toll, zu beobachten.“ 

Die Beteiligung der Gemeinschaft ist ein wichtiger Aspekt des Projekts. Die AnwohnerInnen bringen Gestaltungsvorschläge ein und helfen bei der Schaffung der öffentlichen Räume.  Die praktische Interaktion mit der Natur ist Teil der Projekte. Dazu gehören auch Kinderspielbereiche aus natürlichen Materialien wie Baumstämmen zum Balancieren und Mulden mit Hackschnitzeln zum Graben.  

Positiver Kreislauf 

In der Natur verbrachte Zeit fördert nicht nur die psychische und physische Gesundheit der Menschen, sondern ist laut MacIntyre auch ein Gewinn für die Umwelt selbst.  Er sagt, je regelmäßiger sich Menschen in der Natur aufhalten, desto wichtiger ist sie ihnen und desto eher ändern sie ihren Lebensstil, um ihre Auswirkungen auf die Umwelt zu reduzieren.  

Vor seiner Tätigkeit als Umweltpsychologe arbeitete MacIntyre als Sportpsychologe mit ProfisportlerInnen. In diesem Bereich gilt in der Natur verbrachte Zeit – ob aktiv oder passiv – als wichtiger Faktor bei der Stressbehandlung. MacIntyre war auch an Studien beteiligt, die gezeigt haben, dass ein geringerer Baumbestand und eine hohe Lärmbelastung in Städten zu einem höheren Stressniveau bei den Ortsansässigen führen können.  

In Lahti wurde im Rahmen von GO GREEN ROUTES bei einem Gesundheitszentrum ein Waldweg angelegt, um Mitarbeitenden, PatientInnen und BesucherInnen die Vorteile der Natur nahezubringen. Der Bohlenweg führt durch den Wald und bietet Bereiche für Achtsamkeit, Entspannung und soziale Interaktion.  

Das Konzept erinnert an die japanische Idee des Waldbadens, bei dem der Anblick, die Geräusche und Gerüche des Waldes die Entspannung fördern sollen.  „Indem wir die Bürgerinnen und Bürger in viele verschiedene Beispiele von GO GREEN ROUTES einbeziehen, können wir Vorteile für deren Gesundheit nutzen und langfristig der Umwelt helfen“, erläutert MacIntyre. 

Weitere Infos 

Artikel von Ali Jones

APA-Science Content-Kooperation mit Horizon

Recherchen zu diesem Artikel wurden von der EU gefördert. Die Ansichten der Befragten spiegeln nicht unbedingt die der Europäischen Kommission wider. Dieser Artikel wurde ursprünglich in Horizon, dem EU-Magazin für Forschung und Innovation, veröffentlicht.