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Kooperation / EU-Magazin Horizon / 11.04.2023, 10:47

Wie man eine nukleare Atomuhr zum Ticken bringt

Die nuklearen Atomuhren sind zwar nicht in erster Linie für die Zeitmessung nützlich, aber sie könnten es den Wissenschaftlern ermöglichen, das grundlegende Verständnis der Menschheit, wie die Realität funktioniert, zu testen.

APA/BARBARA GINDL
Eine Uhr kann auf allem basieren, das in regelmäßigen Abständen schwingt und abgelesen werden kann.

Thorsten Schumm könnte man als einen Uhrmacher bezeichnen. Er sitzt jedoch nicht mit einer Lupe am Auge an einer Werkbank und arbeitet auch nicht mit kleinen Federn und Zahnrädern. Denn er stellt einen Zeitmesser her, der in einer ganz anderen Liga spielt.

Sie haben sicherlich schon von Atomuhren gehört. Doch wenn Schumms Forschung wie geplant verläuft, könnte sie den Weg zu einer nuklearen Atomuhr ebnen. Diese würde nicht nur die Zeit anzeigen, sondern auch helfen, einige der am besten gehüteten Geheimnisse des Universums zu entschlüsseln.

„Das ist derzeit aber noch ein Traum“, sagt Schumm, Professor an der Technischen Universität Wien in Österreich, und fügt hinzu: „Niemand weiß, wie es geht.“

Er hat vor, das zu ändern und dabei Licht auf einige der grundlegenden Kräfte der Natur zu werfen.

Der Bruchteil einer Sekunde

Eine Uhr kann auf allem basieren, das in regelmäßigen Abständen schwingt und abgelesen werden kann. Die ersten Uhren waren mechanisch. Viele Armbanduhren nutzen heute die elektromechanischen Schwingungen eines Quarzkristalls.

Doch in den 1950er Jahren machte die Uhrentechnologie mit dem Aufkommen der Atomuhren einen Sprung nach vorne.

Atome bestehen aus einem Nukleus, einem Kern, der von einer umlaufenden Elektronenwolke umgeben ist. Das Ticken einer Atomuhr hängt von den „Quantensprüngen““ ab, den Übergängen, die diese Elektronen machen.

Das funktioniert folgendermaßen. Elektronen können ein Energiepaket absorbieren, das sie von einem „Grundzustand“ in einen „angeregten Zustand““ mit höherer Energie versetzt. Dann können sie wieder in den Grundzustand zurückfallen, wobei sie das Energiepaket auf ihrem Weg nach unten wieder abgeben.

Diese Energieübergänge erfolgen mit einer bestimmten Frequenz, die zur Zeitmessung verwendet werden kann. All dies geschieht erstaunlich schnell.

Eine Sekunde ist zum Beispiel offiziell definiert als 9.192.631.770 Schwingungen eines Energiepakets, das ein Cäsium-133-Atom anregt.

Atomuhren sind deshalb so präzise, weil sie sehr viele Schwingungen, so genannte Ticks, erzeugen. Wenn der Auslesemechanismus also eine oder zwei davon übersieht, ist das bei mehr als 9 Milliarden pro Sekunde kein großes Problem.

Nukleare Atomuhren arbeiten anders. Das Ticken hängt nicht von den Elektronen ab, sondern von den Vibrationen des Atomkerns selbst. Diese sind um ein Vielfaches schneller als das Ticken der Elektronenübergänge.

Aber, wie Schumm sagt, wird weiter daran gearbeitet, eine Atomuhr zum Laufen zu bringen.

Glücklicher Zufall

Sein Interesse an der Lösung dieses nuklearen Rätsels entstand zum Teil aus einem glücklichen Zufall.

Es stellte sich heraus, dass ein seltenes Isotop des Elements Thorium-229 bei weitem das einfachste Material ist, aus dem eine nukleare Atomuhr gebaut werden könnte. Das liegt daran, dass man annimmt, dass er von allen Kernen am langsamsten tickt. Außerdem ist das Institut, an dem Schumm arbeitet, eine der wenigen Einrichtungen, die Zugang zu diesem Material haben.

Thorium-229 kommt in der Natur nicht vor. Es wird ausschließlich durch den nuklearen Zerfall bestimmter Uranarten erzeugt.

Die Technische Universität Wien hat ein Abkommen mit dem Oakridge National Laboratory in den USA, das es ihr ermöglicht, Thorium-229 aus Uranresten zu gewinnen, die vor Jahrzehnten bei Atomtests verwendet wurden.

Schumm ist es nicht entgangen, dass sein Vorname und der Name des Elements beide von dem mythischen nordischen Gott Thor abgeleitet sind.

„Das hat mich angespornt“, erklärt er.

Es ist an der Zeit

Seit 2020 betreibt Schumm Grundlagenforschung zur Entwicklung einer nuklearen Atomuhr im Rahmen des von der EU finanzierten Projekts ThoriumNuclearClock, das noch bis Anfang 2026 läuft.

Er und sein Kollege, Professor Ekkehard Peik von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig, teilen sich die Rolle des Projektleiters mit Marianna Safronova von der University of Delaware in den USA, und Peter Thirolf von der LMU München in Deutschland.

Um eine nukleare Atomuhr zum Ticken zu bringen, braucht sie einen Anstoß mit einem Laser, der genau auf das richtige Energieniveau eingestellt ist. Aber für die meisten Kerne ist die erforderliche Energiefrequenz mit der derzeitigen Lasertechnologie nicht annähernd erreichbar.

Thorium-229 ist einer der größten stabilen Kerne, die es gibt. Man ging davon aus, dass er einen Zustand mit einer sehr niedrigen Energie annehmen könnte, den die heutigen Laser erreichen können – obwohl niemand wirklich versteht, wie oder warum er dies tut.

„Zu Beginn war nicht einmal klar, dass dieser Zustand von Thorium-229 überhaupt existiert“, sagte Schumm.

Jetzt weiß man, dass es ihn gibt. Im Jahr 2020 veröffentlichten Schumm und seine Kollegen  eine Messung des Energieniveaus des Isotops. Seitdem haben sie dieses Wissen erweitert.

Damit ist der Weg frei, um die Uhr in der Praxis zu testen. Schumm und seine Forscherkollegen arbeiten daran, einen Laser zu bauen, der speziell dafür ausgelegt ist, das Thorium mit genau der richtigen Frequenz anzuregen.

Bald wollen sie diesen Laser zum ersten Mal auf einige gefangene Thoriumatome richten, um sie zum Ticken zu bringen.

„Wir sind sehr gespannt auf das Ergebnis dieses Experiments, weil es etwas ist, das noch nie zuvor gemacht wurde“, erklärt Peik, und fügt hinzu: „Wir und auch andere haben in der Vergangenheit ähnliche Experimente mit Thorium-229 erfolglos durchgeführt. Dieses Mal fühlen wir uns viel besser vorbereitet.“

Kristallklar

Für diese Experimente werden die Thoriumatome in Atomfallen gehalten. Das ist ein sehr heikles Unterfangen. Schon während der Durchführung des Projekts der ThoriumNuclearClock leitete Schumm zudem ein zweijähriges, von der EU finanziertes Projekt namens CRYSTALCLOCK, das darauf abzielte, ein einfacheres Design und einen einfacheren Auslesemechanismus für eine nukleare Atomuhr zu entwickeln.

Die Idee dabei war, einen Kristall aus Kalziumfluorid zu züchten und eine Streuung von Thorium-229-Atomen im Material zu erzeugen. Auf diese Weise erhält man ein festes Material, mit dem viel einfacher gearbeitet werden kann als mit den Atomfallen.

Schumm und seine Kollegen, zu denen auch Dr. Tomas Sikorsky gehört, haben einen Fachaufsatz veröffentlicht, der zeigt, dass diese thoriumdotierten Kristalle im Jahr 2022 gezüchtet werden können. Der nächste Schritt wird sein, herauszufinden, wie diese Kristalle ticken.

Schumm sagt, dass eine Technik namens Kerntomographie für diesen Zweck angepasst werden könnte und der gesamte Prozess viel einfacher wäre als die Verwendung von Thoriumatomen in Fallen.

Die Kräfte der Natur

Das ist ein lohnenswertes Projekt, jedoch nicht, weil genauere Uhren benötigt werden, sondern weil es erlaubt, das grundlegende Verständnis der Menschheit, wie die Realität funktioniert, zu testen.

Die besten Theorien der Physik erklären, dass es im Universum vier grundlegende Kräfte gibt: die Schwerkraft, den Elektromagnetismus, die schwache Kernkraft und die starke Kernkraft. Die Stärke dieser Kräfte ist bekannt und diese Zahlen werden oft als grundlegende „Konstanten“ bezeichnet.

Nicht bekannt ist jedoch, ob die Stärke dieser Kräfte immer gleich war und immer gleich sein wird. Es gibt Hinweise darauf, dass die Kräfte in der fernen Vergangenheit, in der Zeit des Urknalls, viel stärker waren und sich vielleicht sogar noch geringfügig verändern werden.

Mit Atomuhren und nuklearen Atomuhren lässt sich das möglicherweise überprüfen. Das Ticken einer Atomuhr wird in erster Linie von der Stärke des Elektromagnetismus beeinflusst. Wenn sich also die Geschwindigkeit des Tickens zu ändern begann, würde dies auf eine Abweichung der zugrunde liegenden Kraft hindeuten.

Der Elektromagnetismus ist jedoch sehr schwach, so dass Atomuhren trotz ihrer atemberaubenden Präzision möglicherweise nie in der Lage sein werden, eine Veränderung festzustellen.

Das Ticken der nuklearen Atomuhr wird dagegen von der starken Kraft beeinflusst. Wenn also eine funktionierende nukleare Atomuhr geschaffen würde, könnte man mit ihr beobachten, ob sich die starke Kraft über längere Zeiträume hinweg verändert.

„Beim Übergang von Atomen zu Kernen geht es nicht darum, eine bessere Uhr zu bekommen“, erklärt Schum. „In der Tat ist es wahrscheinlich, dass die erste nukleare Atomuhr nicht so gut sein wird wie die besten Atomuhren. Es geht eher darum, eine völlig neue Art von Technologie zu entwickeln, mit der man im Grunde die starke Kraft testen kann.“

Artikel von Caleb Davies